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VwGH vom 09.10.2007, 2007/02/0004

VwGH vom 09.10.2007, 2007/02/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des MK in N, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom , Zl. Senat-MD-05- 1027, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er sei als verantwortlicher Beauftragter der A AG mit dem Sitz in WN dafür verantwortlich, dass am um 10.30 Uhr in der Filiale der A AG in F folgende Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten worden seien:

1) Der Notausgang neben der Flaschenrückgabe im Verkaufsraum ins Freie sei durch Lagerungen (es folgt die nähere Beschreibung der Lagerungen) verstellt gewesen, obwohl sich Arbeitnehmer im Raum aufgehalten hätten und Notausgänge nicht verstellt sein dürften.

2) Der Notausgang nach den Kassen ins Freie sei an der Außenseite durch Lagerungen (es folgt die nähere Beschreibung der Lagerungen) verstellt gewesen, obwohl sich Arbeitnehmer im Raum aufgehalten hätten und Notausgänge nicht verstellt sein dürften.

3) Der Fluchtweg vor dem unter Spruchpunkt 2) näher bezeichneten Notausgang sei im Bereich der Wippen durch Lagerungen (es folgt die nähere Beschreibung der Lagerungen) verstellt gewesen, obwohl sich Arbeitnehmer im Raum aufgehalten hätten und Fluchtwege nicht verstellt sein dürften.

Er habe dadurch zu 1) und 2) zwei Übertretung gemäß § 20 Abs. 1 Z. 2 Arbeitsstättenverordnung (AStV), zu 3) eine Übertretung gemäß § 19 Abs. 1 Z. 2 AStV begangen. Es wurden gemäß § 130 Abs. 1 Z. 15 des Arbeitnehmer/innenschutzgesetzes (ASchG) drei Geldstrafen in der Höhe von je EUR 1.500,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von je 10 Tagen) verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides stellte die belangte Behörde folgenden Sachverhalt fest:

"Ein Organ des Arbeitsinspektorates Graz hat am die Betriebsstätte in F besichtigt und die schlussendlich zur Anzeige gebrachten widerrechtlichen Verstellungen der Notausgänge bzw. des Fluchtweges zur Anzeige gebracht.

Bei gegenständlicher Betriebsstätte handelt es sich um eine solche der B AG, eingebettet darin eine Betriebsstätte des damalig rechtlich existenten Unternehmens der A AG mit Sitz in WN.

An dieser Betriebsstätte waren bis zu drei Dienstnehmer der A AG vor allem im räumlichen Bereich der rund 1,6 m hohen Fleischtheke regelmäßig beschäftigt.

Sowohl die Mitarbeiter der B AG als auch die Dienstnehmer der A AG an dieser Örtlichkeit benutzten die selben Ein- und Ausgänge. Eigene Ein- bzw. Ausgänge bzw. Notausgänge für Mitarbeiter der A AG bestanden nicht."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier maßgeblichen Vorschriften der AStV, BGBl. II Nr. 368/1998, lauten auszugsweise:

"§ 1. (1) Die Bestimmungen dieser Verordnung - mit Ausnahme des 6. Abschnittes - gelten für Arbeitsstätten im Sinne des § 19 ASchG, und zwar sowohl für Arbeitsstätten in Gebäuden als auch, soweit sich die einzelnen Bestimmungen nicht ausdrücklich auf Gebäude oder auf Räume beziehen, für Arbeitsstätten im Freien.

(2) Arbeitsstätten, die nur einen Teilbereich eines Gebäudes umfassen, dürfen nur in Gebäuden eingerichtet werden, in denen auch die außerhalb der jeweiligen Arbeitsstätte gelegenen Gebäudeteile, die von Arbeitnehmer/innen benutzt werden, dem 1. und dem 2. Abschnitt dieser Verordnung entsprechen.

...

§ 17. (1) Arbeitsstätten sind so zu gestalten, dass von jedem Punkt der Arbeitsstätte aus

1. nach höchstens 10 m ein Verkehrsweg erreicht wird, der in seinem gesamten Verlauf bis zum Endausgang den Anforderungen der §§ 18 und 19 entspricht (Fluchtweg)

...

(3) Als Endausgänge im Sinne des Abs. 1 gelten jene Ausgänge, die in einen sicheren, öffentlich zugänglichen Bereich im Freien führen.

(4) Folgende Ausgänge sind entsprechend den Anforderungen der §§ 18 und 20 zu gestalten (Notausgänge):

1. alle Ausgänge im Verlauf von Fluchtwegen,

2. der Endausgang am Ende eines Fluchtweges.

...

§ 18. (1) Fluchtwege müssen folgende nutzbare Mindestbreite

aufweisen:

...

(2) Notausgänge müssen folgende nutzbare Mindestbreite

aufweisen:

...

(3) Die Personenzahlen in Abs. 1 und 2 bezeichnen jeweils

1. die höchstmögliche zu erwartende Anzahl

gleichzeitig anwesender Personen, die im Gefahrenfall auf den Fluchtweg oder Notausgang angewiesen sein könnten ...

...

§ 19. (1) Arbeitgeber/innen haben dafür zu sorgen, dass Fluchtwege folgende Anforderungen erfüllen:

...

2. Fluchtwege dürfen nicht verstellt oder unter die

nach § 189 Abs. 1 erforderliche nutzbare Mindestbreite eingeengt

werden.

...

§ 20. (1) Arbeitgeber/innen haben dafür zu sorgen, dass

Notausgänge folgende Anforderungen erfüllen:

1. Notausgänge müssen jederzeit leicht und ohne fremde

Hilfsmittel von innen auf die gesamte nach § 18 Abs. 2

erforderliche nutzbare Mindestbreite geöffnet werden können,

solange sich Arbeitnehmer/innen in der Arbeitsstätte aufhalten,

die auf die Notausgänge angewiesen sein könnten.

2. Notausgänge dürfen nicht verstellt oder unter die

nach § 18 Abs. 2 erforderliche nutzbare Mindestbreite eingeengt

werden.

3. Notausgänge dürfen nicht von Gegenständen begrenzt

werden, die leicht umgestoßen oder verschoben werden können.

..."

§ 19 des ASchG, BGBl. Nr. 450/1994, lautet auszugsweise:

"(1) Arbeitsstätten sind

1. alle Gebäude und sonstigen baulichen Anlagen sowie

Teile von Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen, in denen Arbeitsplätze eingerichtet sind oder eingerichtet werden sollen oder zu denen Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Arbeit Zugang haben (Arbeitsstätten in Gebäuden), sowie

2. alle Orte auf einem Betriebsgelände, zu denen

Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Arbeit Zugang haben (Arbeitsstätten im Freien).

..."

Die eingangs wiedergegebene Sachverhaltsfeststellung wird in der Beschwerde nicht konkret bestritten. Mit dem Vorbringen, aus dem Umstand, dass die Arbeitnehmer der B AG und der A AG die selben Ein- und Ausgänge benützten, lasse sich nicht schließen, dass keine eigenen Ein- bzw. Ausgänge bzw. Notausgänge für Mitarbeiter der A AG bestanden hätten, wird jedenfalls nicht konkret dargetan, dass für die Arbeitnehmer der A AG die Benützung der gegenständlichen Ein- bzw. Ausgänge, Fluchtwege bzw. Notausgänge nicht in Frage kam (nur auf das möglicherweise Angewiesensein auf die Benützung kommt es im Hinblick auf § 18 Abs. 3 AStV bzw. § 20 Abs. 1 Z. 1 AStV (arg.: "Personen, die ... angewiesen sein könnten") an). Dass die Arbeitnehmer der A AG in diesem Sinne möglicherweise darauf angewiesen sein könnten, die gegenständlichen Fluchtwege und Notausgänge zu benützen, ist auf Grund der in der Beschwerde enthaltenen - im Wesentlichen die Beschreibung der belangten Behörde bestätigenden - Beschreibung der Fleischabteilung der A AG (diese verfüge über keine Außenwände, sondern bestehe lediglich aus einer Theke) keineswegs auszuschließen. Die in allgemeiner Form gehaltenen Verfahrensrügen zur objektiven Tatseite zeigen damit jedenfalls keine Relevanz eines eventuellen Verfahrensmangels auf.

Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass nicht er, sondern ausschließlich der Verantwortliche der B AG, also desjenigen Betriebes, in den die "Arbeitsstätte" der A AG "eingebettet" sei, zur Verantwortung zu ziehen sei. Die Lagerungen hätten sich im Bereich der "Betriebsanlage" der B AG befunden, er hätte ein Weisungsrecht über die Angestellten der B AG haben müssen, um seiner Verantwortlichkeit gerecht zu werden. Der Begriff der Arbeitsstätte sei gemäß § 34 Abs. 1 Arbeitsverfassungsgesetz auszulegen; danach sei er für den Bereich, in dem sich die Lagerungen befunden hätten, nicht verantwortlich.

Durch die in § 19 Abs. 1 ASchG enthaltene Definition der Arbeitsstätte iVm § 1 Abs. 1 AStV ist zu ersehen, dass der Begriff Arbeitsstätte für den Bereich des ASchG und der AStV ausschließlich im Sinne der in § 19 Abs. 1 ASchG enthaltenen Umschreibung zu verstehen ist; für die vom Beschwerdeführer - der im Übrigen verkennt, dass es bei der von ihm zum Beleg seiner Ansicht zitierten Rechtsprechung um den Betriebsbegriff und nicht um dem Begriff der Arbeitsstätte geht - geforderte Interpretation nach § 34 Abs. 1 ArbVG bleibt kein Raum. In dem ebenfalls vom Beschwerdeführer zitierten hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/02/0234 (auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird), wurde auch der Inhalt des Begriffes Arbeitsstätte klargestellt. Es handelt sich dabei um die Orte in den Gebäuden des Unternehmens und/oder Betriebs, die zur Nutzung für Arbeitsplätze vorgesehen sind, einschließlich jedes Ortes auf dem Gelände des Unternehmens und/oder Betriebs, zu dem Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Arbeit Zugang haben.

Schon aus der genannten Definition, aber auch verstärkt durch die Wortfolge "in seinem gesamten Verlauf bis zum Endausgang" in § 17 Abs. 1 Z. 1 AStV ist klar, dass sich die Bestimmungen der AStV - mit Ausnahme des hier nicht interessierenden

6. Abschnittes - nicht nur auf den unmittelbaren Bereich der "eingebetteten" Fleischabteilung der A AG, sondern auch auf die hier interessierenden Fluchtwege und Notausgänge im Gebäude, in dem sich diese Fleischabteilung befindet, beziehen. Bestärkt wird dieses Verständnis etwa durch § 18 Abs. 3 AStV, nach dem unter anderem auch die (hier) in der Fleischabteilung arbeitenden Dienstnehmer der A AG auf die Dimensionierung der Fluchtwege und Notausgänge mit einzurechnen sind.

Daraus folgt, dass sich §§ 19 Abs. 1 und 20 Abs. 1 AStV an alle Arbeitgeber richten, deren Arbeitnehmer auf die Benützung der Fluchtwege und Notausgänge möglicherweise angewiesen sind (und deshalb auch auf die Dimension der Fluchtwege und Notausgänge mitzuzählen waren). Für den Fall der gegenständlichen "eingebetteten" Fleischabteilung bedeutet dies, dass sowohl der Arbeitgeber der in dieser Fleischabteilung eingesetzten Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber der diese Fleischabteilung umschließenden Betriebsstätte der B AG für die Einhaltung der Bestimmungen der §§ 19 Abs. 1 und 20 Abs. 1 AStV zu sorgen haben.

Der Hinweis des Beschwerdeführers auf Rechtsprechung zu § 8 ASchG geht an der Sache vorbei, weil ihm keine Verletzung dieser Norm vorgeworfen wurde.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am