VwGH vom 17.08.2010, 2009/06/0201
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Beschwerde
1. des JM und 2. der DM, beide in X, beide vertreten durch Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA13B-12.10-S312/2009-2, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. FD und 2. AD, beide in X; 3. Gemeinde Y), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Grundstücke des Erst- und der Zweitmitbeteiligten Nr. 12/1 und der Beschwerdeführer Nr. 5 sind seitlich benachbart. Nachdem ein Bauansuchen der Beschwerdeführer für eine Brandmauer deshalb "zurückgestellt" worden war, weil der geforderte Seitenabstand in Anbetracht eines auf dem Grundstück der Beschwerdeführer befindlichen Wirtschaftsgebäudes nicht eingehalten würde, zeigten die Beschwerdeführer ihrerseits mit Eingabe vom an, dass dieses Wirtschaftsgebäude konsenslos errichtet worden und daher für den Abstand des Projektes der Beschwerdeführer irrelevant sei, weshalb das Ansuchen betreffend die Brandmauer aufrecht erhalten werde. Dies wurde dem Erst- und der Zweitmitbeteiligten vorgehalten, weshalb sie mit Eingabe vom die Erteilung einer Baubewilligung für einen Zubau zum bestehenden Wirtschaftsgebäude auf dem Grundstück Nr. 12/1, EZ 1, KG K, beantragten.
Bei der mündlichen Bauverhandlung am brachten die Beschwerdeführer, soweit hier noch wesentlich, vor, dass zwar die auf dem Grundstück Nr. 5 der Beschwerdeführer befindlichen Gebäudeteile einer Lagerhalle und eines Silos gegenwärtig noch nicht dem rechtmäßigen Bestand angehörten. Gleiches gelte derzeit allerdings hinsichtlich des gegenständlichen Bauprojektes. Auch hinsichtlich der Bauten der Beschwerdeführer sei ein nachträgliches Ansuchen anhängig, das aber der Beurteilung des hier gegenständlichen Bauprojektes nicht zugrunde gelegt werde. Dies sei offensichtlich ein Irrtum und würde zu dem zufälligen Ergebnis führen, dass das hier gegenständliche Bauprojekt einzig wegen des zeitlichen Zuvorkommens bewilligt werden könnte. Das auch schon die längste Zeit anhängige Projekt der Beschwerdeführer würde sodann wegen der früheren Erteilung der Baubewilligung für das hier gegenständliche Projekt den Gebäudeabstand allenfalls verletzen. Bei zwei Gebäuden, die beiderseits den Gebäudeabstand verletzten und beide noch nicht dem Rechtsbestand angehörten, müssten die Entscheidungen der Behörde zeitgleich über beide Projekte ergehen. Andernfalls würde willkürlich vorgegangen werden. Die in der Natur bereits bestehenden Gebäude hielten den gesetzlichen Gebäudeabstand nicht ein. Zum gegenständlichen Bauprojekt hielt der bautechnische Sachverständige in seinem Befund fest, dass der Abstand des Zubaues zur südlichen Nachbargrundgrenze der Beschwerdeführer 3,64 m bzw. 4,35 m betrage. Der Mindestabstand von 3 m zur Nachbargrundgrenze werde eingehalten. Der Abstand des Zubaues zum Stallgebäude auf der Nachbargrundfläche der Beschwerdeführer betrage 7,38 m bzw. 8,10 m. Der erforderliche Mindestabstand von 6 m zum Stallgebäude werde eingehalten. Der Abstand des Zubaues zur Lagerhalle der Beschwerdeführer betrage 5,07 m bzw. 4,20 m. Der diesbezüglich erforderliche Mindestabstand von 6 m werde unterschritten. Der Abstand des Zubaues zum Betonsilo der Beschwerdeführer betrage 3,90 m. Der erforderliche Mindestabstand von 7 m werde unterschritten. Bei der Lagerhalle und bei dem Betonsilo handle es sich aber um keinen rechtmäßigen Baubestand.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde die beantragte Baubewilligung unter der Vorschreibung von Auflagen erteilt. Begründend wurde, soweit hier noch von Bedeutung, im Wesentlichen ausgeführt, der gesetzliche Abstand des Zubaues zu den vorhandenen baulichen Anlagen der Beschwerdeführer (Lagerhalle und Betonsilo) werde nicht eingehalten. Es sei auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens aber festzustellen, dass für die Lagerhalle und den Betonsilo der Beschwerdeführer keine Baubewilligung vorhanden sei. Diesbezüglich seien daher auch Abstandsbestimmungen nicht von Relevanz.
Die Beschwerdeführer erhoben Berufung, welcher mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom keine Folge gegeben wurde.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde wurde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführer als unbegründet abgewiesen. Begründend legte die belangte Behörde dar, dass die Vorstellungsbehörde ihrer Entscheidung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gemeinderates zugrunde zu legen habe. Es stehe fest, dass weder für die Lagerhalle noch für den Silo auf der Liegenschaft der Beschwerdeführer eine Baubewilligung vorliege. Diese Anlagen seien daher de iure nicht vorhanden, und zwar unabhängig davon, ob für sie um baubehördliche Bewilligung angesucht worden und ein Bauverfahren anhängig sei. Die Behörde sei auch nicht gezwungen, zeitgleich über eingebrachte Bauansuchen zu entscheiden. Hinsichtlich der Abstände sei festzuhalten, dass die bewilligte Brandmauer auf dem Grundstück der Beschwerdeführer kein Gebäude darstelle und demzufolge auch nicht für die Berechnung des Gebäudeabstandes von Relevanz sei. Der Abstand des Zubaues zum Stallgebäude der Beschwerdeführer betrage 7,38 m bzw. 8,10 m, wodurch der Mindestabstand von 6 m eingehalten werde. Der Abstand zur Lagerhalle betrage 5,07 m bzw. 4,20 m. Der Mindestabstand von 6 m werde dabei unterschritten. Auch werde der Mindestabstand zum Silo der Beschwerdeführer von 7 m nicht eingehalten, da dieser lediglich 3,90 m betrage. Da aber sowohl die Lagerhalle als auch der Silo baubehördlich nicht genehmigt seien, seien sie der Beurteilung der Abstände nicht zugrunde zu legen. Die Umstände, warum eine Baubewilligung für diese Bauten nicht vorliege, seien nicht von Bedeutung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführer bringen im Wesentlichen vor, der Zubau des Erstmitbeteiligten werde nachträglich bewilligt. Dieser Zubau und ein gleichfalls alter Baubestand (Silo und Lagerhalle) auf der Liegenschaft der Beschwerdeführer stünden einander so gegenüber, dass sie wechselseitig den Gebäudeabstand gemäß § 13 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) verletzten. Die Beschwerdeführer hätten nahezu auf den Tag genau gleichzeitig mit dem Erstmitbeteiligten die nachträgliche Genehmigung ihrer konsenslos errichteten Baubestände in Angriff genommen und seien mit ihren Projekten letztlich durch Zufall (oder willkürlich) hintangereiht worden. Des Näheren wird in der Beschwerde dargestellt, dass seitens der Baubehörden aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Ergänzung der ursprünglichen Einreichung der Beschwerdeführer hinsichtlich der Errichtung einer Brandmauer um den Zubau einer Lagerhalle und eines Silos nicht als Ergänzung und Projektänderung, sondern als ein eigenes Projekt behandelt worden sei. Dieser Irrtum habe die Beschwerdeführer in Verzug gegenüber dem Projekt des Erstmitbeteiligten gebracht. Ausweislich der Projektergänzung vom sei aber keine alleinstehende Brandmauer, sondern vielmehr auch ein Zubau (Lagerhalle und Silo) Verfahrensgegenstand gewesen. Das Verfahren habe bloß mit der Bewilligung einer Brandmauer geendet, obwohl die Beschwerdeführer ständig auf der einheitlichen Behandlung ihres nur irrig beschränkt auf eine Brandmauer beurteilten Projektes beharrt hätten. Da die Rechtsmittel der Beschwerdeführer keine Abhilfe geschafft hätten, hätten die Beschwerdeführer danach neuerlich um zwei Projekte einkommen müssen und seien gegenüber dem hier gegenständlichen Verfahren betreffend den Zubau des Erstmitbeteiligten ins Hintertreffen geraten. Sie seien daher mit zwei getrennten Ansuchen vom mit zwei weiteren Projekten in Bezug auf die Lagerhalle und den Silo bei der Baubehörde erster Instanz eingekommen. Den Gebäudeabstand zum Zubau zum Wirtschaftsgebäude des Erstmitbeteiligten verletze dieses Projekt zugegebenermaßen genauso, wie umgekehrt das Projekt des Erstmitbeteiligten den Abstand zum Projekt der Beschwerdeführer verletze. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides des Gemeinderates seien die Bauansuchen der Beschwerdeführer längst anhängig gewesen. Sie wären daher bei gleichheitskonformer Auslegung des § 13 Abs. 1 Stmk. BauG zu berücksichtigen gewesen. Bei einer sachgerechten Auslegung des § 13 Abs. 1 Stmk. BauG könne es nämlich nicht angehen, dass bei zwei konkurrierend (je und je erst nachträglich) zur Bewilligung beworbenen Projekten, die zueinander im Gebäudeabstandskonflikt stünden, eines der beiden Projekte durch Zufall oder Willkür zeitlich zuvorkommend bewilligt werde, womit das andere Projekt wegen Verletzung des Gebäudeabstandes bewilligungsunfähig würde. Zeitgleichheit herrsche, wenn das konkurrierende Projekt spätestens noch während der Anhängigkeit des anderen Projektes seinerseits anhängig gemacht werde, umso mehr aber, wenn es sogar nahezu auf den Tag genau zugleich anhängig gemacht worden sei. In diesem Fall habe die Behörde die Bescheide gleichzeitig zu erlassen und die Abstandsfrage unter der Prämisse zu beurteilen, dass sie beide Projekte gleichzeitig auf ihre Bewilligungsfähigkeit prüfe. Alles andere widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz und hätte keine Rechtsgrundlage.
§ 13 Abs. 1 Stmk. BauG lautet:
"§ 13
Abstände
(1) Gebäude sind entweder unmittelbar aneinander zu bauen oder müssen voneinander einen ausreichenden Abstand haben. Werden zwei Gebäude nicht unmittelbar aneinandergebaut, muss ihr Abstand mindestens so viele Meter betragen, wie die Summe der beiderseitigen Geschoßanzahl, vermehrt um 4, ergibt (Gebäudeabstand)."
§ 13 Abs. 6 Stmk. BauG lautet:
"(6) Bei Gebäuden oder Gebäudeteilen ohne die übliche Geschoßeinteilung oder mit Geschoßhöhen von über 3,0 m ist die Abstandsermittlung unter Zugrundelegung einer fiktiven Geschoßeinteilung mit einer Höhe von 3,0 m an jeder Gebäudeecke über dem natürlichen Gelände vorzunehmen. Restgeschoßhöhen von mehr als 1,5 m sind als Geschoß anzurechnen."
Unbestritten haben die Bauten auf der Liegenschaft der Beschwerdeführer, hinsichtlich derer der hier gegenständliche Zubau den Abstand nicht einhält, im Zeitpunkt der Entscheidung des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde (mangels anderslautender gesetzlicher Regelung ist hier die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides maßgebend, und zwar auch im Fall einer nachträglichen Baubewilligung - vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/06/0226) keine Baubewilligung gehabt.
Das Steiermärkische Baugesetz geht davon aus, dass Baubewilligungen vor der Bauführung eingeholt werden müssen (vgl. § 41 Abs. 1 Stmk. BauG über die Baueinstellung). Gleichwohl sind auch nachträgliche Baubewilligungen möglich (vgl. die bei Hauer/Trippl , Steiermärkisches Baurecht, 4. Auflage, S. 343 f zitierte hg. Judikatur). Auszugehen ist weiters davon, dass der Gesetzgeber die normierten Abstände - soweit er nicht selbst Ausnahmen vorsieht: uneingeschränkt - eingehalten wissen will.
Hinsichtlich der einzuhaltenden Abstände ist grundsätzlich zu beachten, dass bei deren Bemessung gemäß § 13 Stmk. BauG nur ein rechtmäßiger Baubestand eine Rolle spielt; eine vorschriftswidrige bauliche Anlage stellt keinen solchen rechtmäßigen Bestand dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/06/0064). Da eine solche Anlage zu beseitigen ist (vgl. § 41 Abs. 3 Stmk. BauG), ist auch in einem solchen Fall von der Einhaltung der Abstände durch den letzten Endes faktisch vorhandenen, rechtmäßigen Baubestand auszugehen.
Der Grundsatz, dass vorschriftswidrige Bauten bei der Abstandsbemessung nicht zu berücksichtigen sind, kann allerdings dann nicht uneingeschränkt gelten, wenn die zu erteilende Bewilligung als nachträgliche ihrerseits einen schon vorhandenen Baubestand betrifft, weil sonst, wie der vorliegende Fall zeigt, die bloße zeitliche Abfolge der Absprüche über die Bauansuchen für die betroffenen Schwarzbauten ausschlaggebend dafür sein könnte, ob eine Baubewilligung zu erteilen oder zu versagen ist. Damit wäre keine Gewähr für eine gleichheitskonforme Vorgangsweise der Behörde gegeben, kann doch die Verfahrensdauer oder auch - einleitung von verschiedenen Umständen abhängen, die, wie z.B. Erkrankungen, keine sachliche Rechtfertigung für das letzten Endes erzielte Ergebnis böten.
Beachtet man das Ziel des Gesetzgebers, dass nämlich die Abstände einzuhalten sind, wird es zunächst darauf ankommen, ob bezüglich eines der beteiligten Schwarzbauten noch andere Versagungsgründe für eine Baubewilligung als jener des nicht eingehaltenen Gebäudeabstandes (gegenüber dem anderen Schwarzbau) vorliegen (liegen solche anderen Versagungsgründe hinsichtlich beider Bauten vor, kommt ohnedies für beide keine Baubewilligung in Frage und stellt sich die hier gegenständliche Problematik nicht). Dieser Schwarzbau könnte dann schon aus diesen anderen Gründen keine nachträgliche Baubewilligung erhalten. Es ist somit sachgerecht, ihn bei der Abstandsberechnung im Zuge des Baubewilligungsverfahrens für den anderen Schwarzbau (entsprechend der oben zitierten hg. Judikatur) nicht zu berücksichtigen.
Könnten allerdings beide Bauten (abgesehen davon, dass sie wechselseitig den Gebäudeabstand verletzen) bewilligt werden, kann der gesetzlichen Regelung über die Abstände nur dadurch sachlich gerechtfertigt entsprochen werden, wenn keiner von beiden eine nachträgliche Baubewilligung erhält. Dies stellte auch keine ungerechtfertigte Härte eines Eigentumseingriffes dar, ist doch ein Schwarzbau an sich nicht besonders schützenswürdig und würde anderenfalls eins sogar gleichheitswidriger Eigentumseingriff bewirkt.
Da die belangte Behörde keine Prüfung nach den oben dargelegten, von einer gleichheitskonformen Auslegung geforderten Kriterien vorgenommen hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am