VwGH vom 07.03.2022, Ra 2021/13/0109
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Bürgermeisters der Gemeinde Absam, vertreten durch Dr. Michael E. Sallinger und Dr. Christof Rampl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2020/14/2584-11, betreffend Erschließungsbeitrag (TVAG) (mitbeteiligte Partei: Dr. L in I, vertreten durch Dr. Thomas E. Walzel von Wiesentreu, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Museumstraße 28 / 4. Stock), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1Mit Bescheid vom setzte die belangte Behörde (und nunmehr revisionswerbende Partei) den Erschließungsbeitrag nach dem Tiroler Verkehrsaufschließungs- und Ausgleichsabgabengesetz (TVAG) für den „Wiederaufbau“ einer Abstellhalle mit Sanitärzelle, integriertem Werkstättenbereich und Lagerschuppen für nicht gewerbliche Nutzung auf einem näher genannten Grundstück fest.
2Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er machte geltend, im Hinblick auf den Wiederaufbau der Abstellhalle liege kein Sachverhalt vor, der als solcher den Tatbestand der Abgabenpflicht nach dem TVAG erfüllen würde. Es liege weder ein Neubau noch eine Änderung eines Gebäudes, durch die seine Baumasse vergrößert werde, vor. Auch der Baubewilligungsbescheid lasse keinen Neubau, sondern lediglich den Wiederaufbau zu.
3Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab.
4Der Mitbeteiligte beantragte, die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
5Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde Folge und behob den angefochtenen Bescheid ersatzlos. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte sei Eigentümer des gegenständlichen Grundstückes. Mitte des 19. Jahrhunderts sei auf dem Grundstück ein Gebäude errichtet und zu Beginn der 1920iger Jahre umgebaut worden. Bis zum Jahr 2019 sei dieses Gebäude in unveränderter Gestalt fortbestanden.
7Am habe ein Brand das Dach und die Dachkonstruktion aus Holz vollkommen zerstört; diese sei weitgehend heruntergebrochen. Das Mauerwerk selbst sei erhalten geblieben; es sei für den Wiederaufbau geeignet gewesen. Dieses umschließe das Gebäude auf allen vier Seiten; es bestehe aus Steinmauerwerk, Backsteinmauerwerk und teilweise aus betonierten Bereichen.
8Die belangte Behörde habe in der Folge das Grundstück von Freiland (§ 41 Tiroler Raumordnungsgesetz 2016, TROG 2016) in Sonderfläche „Abstellhalle mit Sanitärzelle und integrierten Werkstättenbereich (Nutzfläche Werkstätte maximal 35 m²) für nicht gewerbliche Nutzung“ (§ 43 Abs. 1 lit. a TROG 2016) umgewidmet.
9Mit Bescheid vom habe die belangte Behörde den Wiederaufbau des Gebäudes bewilligt. Der Mitbeteiligte habe das Gebäude wiederaufgebaut. Das vom Brand erhalten gebliebene Mauerwerk sei bestehen geblieben und teilweise verstärkt und ausgebessert worden. Auf dieses Mauerwerk setze sich die Dachkonstruktion aus Holz.
10Augenscheinlich entspreche das wiederaufgebaute Gebäude dem abgebrannten Altbestand. Die Anzahl, die Größe und die Anordnung der Fenster sei gleichgeblieben. Auch der Winkel der Dachschräge habe sich augenscheinlich nicht verändert. Einziger augenscheinlicher Unterschied sei, dass jeweils zwei rautenförmige Fenster an der Nord- und Südseite in der Holzkonstruktion nicht übernommen worden seien.
11Durch den Wiederaufbau des Objektes sei keine Erweiterung der Baumasse erfolgt.
12Der Begriff „Neubau“ werde im TVAG nicht definiert, eine Definition finde sich aber in der Tiroler Bauordnung (TBO). Auch die TBO grenze den Wiederaufbau von einem Neubau ab (§ 6 Abs. 11 TBO). Im vorliegenden Fall sei kein „neues“ Gebäude im Sinne des § 2 Abs. 7 TBO errichtet worden; es sei vielmehr ein bestehendes Gebäude augenscheinlich ident wiederaufgebaut worden. Dabei seien nicht bloß Teile davon (Fundamente oder Mauern) weiterverwendet worden. Der Brand habe das Dach und die Dachkonstruktion aus Holz vollkommen zerstört. Das Mauerwerk, welches das Gebäude auf allen vier Seiten umschließe, sei aber erhalten geblieben. Der Mitbeteiligte habe das Gebäude wiederaufgebaut. Augenscheinlich entspreche das wiederaufgebaute Gebäude dem abgebrannten Altbestand.
13Da sohin kein Neubau vorliege, komme der erste Abgabentatbestand des § 7 Abs. 1 TVAG nicht in Betracht. Zentrales Element des zweiten Tatbestands sei die Baumassenvergrößerung. Da es aber zu einer solchen nicht gekommen sei, liege auch der zweite Tatbestand des § 7 Abs. 1 TVAG nicht vor.
14Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der belangten Behörde.
15Nach Einleitung des Vorverfahrens hat der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
16Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17Die Revision ist - entgegen dem Vorbringen in der Revisionsbeantwortung - zulässig; sie ist auch begründet.
18Wenn in der Revisionsbeantwortung geltend gemacht wird, die Revision nenne keinen tauglichen Revisionspunkt, ist darauf zu verweisen, dass bei Revisionen, die - wie hier - nicht wegen Verletzung in Rechten erhoben werden, an die Stelle der Revisionspunkte die Erklärung über den Umfang der Anfechtung tritt (§ 28 Abs. 2 VwGG).
19Das Tiroler Verkehrsaufschließungs- und Ausgleichsabgabengesetz (TVAG; Titel und Abkürzung idF LGBl. Nr. 134/2017) lautet auszugsweise (die zitierten Bestimmungen in der hier anwendbaren Fassung LGBl. Nr. 58/2011):
„§ 7 Abgabengegenstand, Erschließungsbeitragssatz
(1) Die Gemeinden werden ermächtigt, im Fall des Neubaus eines Gebäudes oder der Änderung eines Gebäudes, durch die seine Baumasse vergrößert wird, einen Erschließungsbeitrag zu erheben. Verlieren Gebäude im Sinn des § 2 Abs. 4 oder Teile davon ihren Verwendungszweck durch bauliche Änderungen, so gilt dies als Neubau.
[...]
§ 11 Bemessungsgrundlage bei Änderungen des Baubestandes
(1) Wird auf einem Bauplatz, für den bereits ein Erschließungsbeitrag nach diesem Gesetz oder nach früheren Rechtsvorschriften unter Zugrundelegung der Gesamtfläche des Bauplatzes entrichtet wurde, ein Neubau errichtet oder ein Gebäude so geändert, dass seine Baumasse vergrößert wird, so ist nur ein dem Baumassenanteil entsprechender Erschließungsbeitrag zu entrichten.
(2) Wird auf einem Bauplatz, für den noch kein Erschließungsbeitrag oder ein Erschließungsbeitrag nach diesem Gesetz oder nach früheren Rechtsvorschriften unter Zugrundelegung nur einer Teilfläche des Bauplatzes entrichtet wurde, auf dem aber bereits ein oder mehrere Gebäude bestehen, ein Neubau errichtet oder ein Gebäude so geändert, dass seine Baumasse vergrößert wird, so ist ein Erschließungsbeitrag zu entrichten, der dem Baumassenanteil sowie einem Bauplatzanteil entspricht, der sich unter Zugrundelegung jener Teilfläche des Bauplatzes ergibt, die sich zur Gesamtfläche des Bauplatzes verhält wie die dem Baumassenanteil zugrunde liegende Baumasse zur Summe aus dieser Baumasse und der Baumasse des bestehenden Gebäudes oder der bestehenden Gebäude. Insgesamt darf dem Bauplatzanteil jedoch höchstens die Gesamtfläche des Bauplatzes zugrunde gelegt werden.
(3) Wird im Fall des Abbruchs oder der sonstigen Zerstörung eines Gebäudes oder Gebäudeteiles, dessen Baumasse bereits Grundlage für die Vorschreibung eines Erschließungsbeitrages nach diesem Gesetz oder nach früheren Rechtsvorschriften war, dieses (dieser) wieder aufgebaut oder auf demselben Bauplatz sonst ein Neubau errichtet oder ein Gebäude so geändert, dass seine Baumasse vergrößert wird, so ist der Baumassenanteil von der um die Baumasse des zerstörten Gebäudes oder Gebäudeteiles verminderten Baumasse zu ermitteln.“
20Knüpft der Gesetzgeber an Begriffe an, die in anderen Rechtsvorschriften verwendet werden, so liegt es nahe (wenn es auch nicht zwingend ist; vgl. dazu , mwN), diese in der Bedeutung zu Grunde zu legen, die ihnen nach der Vorschrift, an die angeknüpft wurde, zukommt. Soweit keine konkreten Anhaltspunkte für einen gegenteiligen gesetzgeberischen Willen vorliegen, besteht kein Anlass, von der im Baurecht geprägten Bedeutung der Begriffe abzugehen (vgl. - zu § 13 TVAG - ; vgl. auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Tiroler Verkehrsaufschließungsabgabengesetz, LGBl. Nr. 22/1998, GZ 407/97, L-360/97, zu § 2: „[...] in Anlehnung an die entsprechenden baurechtlichen Begriffe bzw. das Innsbrucker Gehsteigabgabegesetz [...]“; beim nunmehrigen TVAG handelt es sich um die Wiederverlautbarung jenes Gesetzes).
21§ 2 TVAG enthält zwar eigene Begriffsbestimmungen. „Bauliche Anlagen“ sind demnach mit dem Erdboden verbundene Anlagen, zu deren fachgerechten Herstellung bautechnische Kenntnisse erforderlich sind (§ 2 Abs. 2 TVAG; insoweit wörtlich übereinstimmend mit § 2 Abs. 1 Tiroler Bauordnung 2018, TBO 2018). „Gebäude“ sind überdeckte, allseits oder überwiegend umschlossene bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und die dazu bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen (§ 2 Abs. 3 TVAG, insoweit übereinstimmend mit § 2 Abs. 2 TBO 2018; abweichend von der TBO 2018 sieht das TVAG sodann aber Einschränkungen vor; § 2 Abs. 3 lit. a bis d sowie Abs. 4 TVAG).
22Keine Definition enthält das TVAG für den Begriff des „Neubaus“; es sieht - als Erweiterung des Begriffs - nur vor, dass ein Neubau auch dann vorliegt, wenn Gebäude im Sinn des § 2 Abs. 4 oder Teile davon ihren Verwendungszweck durch bauliche Änderungen verlieren (§ 7 Abs. 1 TVAG).
23Nach § 2 Abs. 7 TBO 2018 ist „Neubau“ die Errichtung eines neuen Gebäudes, auch wenn nach dem Abbruch oder der Zerstörung eines Gebäudes Teile davon, wie Fundamente oder Mauern, weiterverwendet werden. Eine Regelung zum „Wiederaufbau“ enthält § 6 Abs. 11 TBO 2018; es handelt sich dabei um eine Privilegierung im Falle eines Wiederaufbaus (gegenüber einer erstmaligen Errichtung eines Gebäudes) betreffend einzuhaltende Abstände (vgl. dazu ); der Begriff des Wiederaufbaus wird dort nicht definiert. Es entspricht aber der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass jeder Wiederaufbau ein Neubau ist (vgl. neuerlich ; vgl. auch , mwN; vgl. auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Tiroler Bauordnung 1998, LGBl. Nr. 15/1998, GZ 415/97, L-368/97, Seite 23: „Im Zusammenhang mit dem Begriff Neubau wird der Abtragung eines Gebäudes dessen Zerstörung insbesondere auf Grund von Katastrophenereignissen gleichgestellt. [...] Aus Sachlichkeitserwägungen war es schon bisher geboten, den Begriff Neubau weit auszulegen und den Wiederaufbau von Gebäuden generell einzubeziehen.“).
24Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 7 TBO 2018 liegt ein Neubau also auch dann vor, wenn Teile eines Gebäudes (wie Fundamente oder Mauern) nach dessen Abbruch oder Zerstörung weiterverwendet werden. Entscheidend ist dabei, ob der umbaute Raum zur Gänze beseitigt ist und nur einzelne Teile, die nicht mehr raumbildend sind, für eine Wiederverwendung erhalten bleiben (vgl. - zur Tiroler Bauordnung 1964 bzw. 1989 - ; , 95/06/0180). Werden für die Wiedererrichtung eines Gebäudes Überreste eines abgebrannten Bauwerks, die nur mehr aus dem Fundament und schwerbeschädigtem Mauerwerk bestehen und nicht mehr raumbildend sind, verwendet, so liegt ein Neubau vor (vgl. ). Ein Gebäude gilt dann als abgetragen, wenn es keine überdeckte, allseits oder überwiegend umschlossene bauliche Anlage mehr darstellt; die Teile sind dann nicht mehr raumbildend (vgl. , mwN). Ist ein Gebäude - etwa im Hinblick auf einen Brand - nicht mehr „überdeckt“, sondern „nach oben offen“, liegen keine raumbildenden Teile mehr vor (vgl. dazu auch ; , 99/06/0204, mwN).
25Nach den unbestrittenen Sachverhaltsannahmen des Verwaltungsgerichts zerstörte im Mai 2019 ein Brand das Dach und die Dachkonstruktion aus Holz vollkommen. Wenn auch das Mauerwerk erhalten blieb und dieses das Gebäude auf allen vier Seiten umschließt, so war die „Überdeckung“ der baulichen Anlage damit entfernt; die erhalten gebliebenen Teile waren somit nicht mehr raumbildend. Die Wiederrichtung des Gebäudes ist daher im vorliegenden Fall - entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts - als „Neubau“ iSd § 7 Abs. 1 TVAG zu beurteilen, sodass nach dieser Bestimmung ein Erschließungsbeitrag erhoben werden kann.
26Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
27Im fortgesetzten Verfahren wird zu beachten sein, dass § 11 TVAG die Bemessungsgrundlage bei Änderungen des Baubestandes regelt. Ob für den Bauplatz oder für das früher bestehende Gebäude bereits ein Erschließungsbeitrag (auch nach früheren Rechtsvorschriften) vorgeschrieben wurde oder allenfalls vorzuschreiben gewesen wäre (vgl. zum Grundsatz der Einmalbesteuerung , mwN), geht aus den bisherigen Sachverhaltsannahmen des Verwaltungsgerichts, das eine abweichende Rechtsansicht vertreten hat, nicht hervor.
28Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei in dem hier vorliegenden Fall einer Amtsrevision gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, weshalb der diesbezügliche Antrag abzuweisen war (vgl. z.B. , mwN).
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021130109.L00 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.