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VwGH vom 19.11.2014, 2013/22/0197

VwGH vom 19.11.2014, 2013/22/0197

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl und die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schweda, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Mag.a Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 163.790/2-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (im Folgenden kurz: Behörde) den Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, vom auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung als "Studierender" gemäß § 64 Abs. 1 und 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) und § 8 Z 7 lit. b Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) ab.

Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe bereits mehrmals über Aufenthaltsbewilligungen als Schülerin bzw. zum Zweck des Studiums, zuletzt gültig vom bis , verfügt.

Am habe sie den verfahrensgegenständlichen Verlängerungsantrag gestellt. Aus der Bestätigung des Studienerfolges der Technischen Universität über den Nachweiszeitraum vom bis gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin im vorangegangenen Studienjahr 10,5 ECTS-Punkte (7,5 Semesterstunden) erreicht habe. Sie habe somit für den geforderten Zeitraum nachweislich keinen entsprechenden Studienerfolg erbracht, weil sie einen Nachweis für mindestens 16 ECTS-Anrechnungspunkte bzw. acht Semesterstunden hätte vorlegen müssen.

In der Berufung habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, sie wäre im Wintersemester 2011/2012 psychisch erkrankt, weshalb sie die Leistungen nicht im gewünschten Ausmaß hätte erbringen können. Entgegen den Behauptungen der Beschwerdeführerin in der Berufung, dass ihre Erkrankung nur im Wintersemester 2011/2012 aufgetreten wäre, werde in der vorgelegten Bestätigung des Psychotherapeuten A. vom angeführt, dass sie seit dem Sommer 2009 in weitmaschiger fachärztlicher psychiatrischer Behandlung bei Frau Dr. H. stünde und seit mehreren Jahren an einer diagnostizierten schizoaffektiven Störung leide.

Nach Ansicht der Behörde sei die Erkrankung der Beschwerdeführerin als dauerhaft einzustufen. Psychische Erkrankungen könnten auch nicht als Hinderungsgrund iSd § 64 Abs. 3 NAG gewertet werden. Fehle es von vornherein - etwa wegen einer Krankheit - grundsätzlich an der geistigen und/oder körperlichen Voraussetzung, in Österreich ein Studium zu absolvieren, könne nicht von einem "unabwendbaren oder unvorhergesehenen" Hinderungsgrund im Sinn der oben genannten Bestimmung die Rede sein. Ein derartiger Hinderungsgrund dürfe somit nicht dauerhaft sein (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/22/0124, sowie vom , Zl. 2009/22/0305).

Es lägen daher keine Gründe vor, die der Einflusssphäre der Beschwerdeführerin entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar wären, dass trotz Fehlens des Studienerfolges eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden könnte. Aus den erstinstanzlichen Unterlagen gehe überdies hervor, dass der Beschwerdeführerin bereits in der Vergangenheit eine "Aufenthaltsbewilligung - Studierender" erteilt worden sei, obwohl sie keinen entsprechenden Studienerfolg habe nachweisen können.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 415/2013-6, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren nach Aufforderung ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Februar 2013 sind die Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 50/2012 maßgeblich.

Gemäß § 64 Abs. 3 NAG ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck des Studiums nur zulässig, wenn ein Studienerfolgsnachweis nach den maßgeblichen studienrechtlichen Bestimmungen erbracht wird. Liegen Gründe vor, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind, kann trotz Fehlens des Studienerfolges eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden.

§ 8 Z 7 lit. b NAG-DV idF BGBl. II Nr. 201/2011 nennt als Studienerfolgsnachweis einen solchen gemäß § 75 Abs. 6 Universitätsgesetz (UG) 2002. Gemäß dieser Bestimmung ist ein Studienerfolgsnachweis auszustellen, sofern der oder die Studierende im vorausgegangenen Studienjahr positiv beurteilte Prüfungen im Umfang von mindestens 16 ECTS-Anrechnungspunkten (acht Semesterstunden) abgelegt hat.

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, im maßgeblichen Studienjahr 2011/2012 keinen ausreichenden Studienerfolg iSd § 75 Abs. 6 UG nachgewiesen zu haben. Sie macht jedoch geltend, dass sie krankheitsbedingt keinen Studienerfolg habe erreichen können. Sie leide seit mehreren Jahren an einer schizoaffektiven Störung; ab November 2011 seien ihre Medikamente reduziert bzw. abgesetzt worden. Dies habe für drei Monate zum Auftreten von verschiedenen Symptomen dieser Krankheit geführt, weshalb sie im Wintersemester 2011/2012 keine Prüfungen habe ablegen können. Die Reaktion der Beschwerdeführerin auf die Veränderung der Therapie ihrer Ärztin bzw. ihres Therapeuten sei unvorhersehbar gewesen. Der Zustand der Beschwerdeführerin könne ab Juli 2012 wieder als stabil bezeichnet werden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es der Beschwerdeführerin von vornherein grundsätzlich an der geistigen und/oder körperlichen Voraussetzung fehle, in Österreich ein Studium zu absolvieren. Ihr sei es trotz der Erkrankung sehr wohl möglich, mit einer medikamentösen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Begleitung ihr Studium abzuschließen (Hinweis auf den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Befund des Psychotherapeuten A. vom ). Durch ihre Leistungen in der Vergangenheit habe sie sehr wohl unter Beweis gestellt, dass sie in der Lage sei, ihr Studium erfolgreich zu betreiben. Aus dem angefochtenen Bescheid gehe nicht hervor, welche Ermittlungen die Behörde hinsichtlich der Erkrankung der Beschwerdeführerin geführt hätte.

Aus dem - im Verwaltungsverfahren vorgelegten - Kurzbefund des Psychotherapeuten A. vom geht hervor, dass die Beschwerdeführerin bis Herbst 2011 wegen der Einnahme von Psychopharmaka großteils psychisch stabil gewesen sei; ab November 2011 habe sie ihre Medikamente reduziert bzw. abgesetzt, was dazu geführt habe, dass ab diesem Zeitpunkt verschiedene Symptome der schizoaffektiven Störung aufgetreten seien; ab Jänner 2012 habe sich ihr psychischer Zustand wieder allmählich gebessert und stabilisiert; im Juni 2012 habe sie einen etwa dreibis vierwöchigen manisch - depressiven Rückfall erlitten; ab Juli 2012 sei die Beschwerdeführerin wieder als stabil anzusehen.

Entgegen der Ansicht der Behörde lässt sich aus diesem Kurzbefund weder ableiten, dass die psychische Erkrankung die Beschwerdeführerin dauerhaft daran hindert, ihr Studium zu absolvieren, noch, dass der mangelnde Nachweis eines ausreichenden Studienerfolges in der Vergangenheit (also im Studienjahr 2010/2011) auf die Erkrankung zurückzuführen ist. Vielmehr geht daraus hervor, dass der Zustand der Beschwerdeführerin bei Behandlung ihrer schizoaffektiven Störung seit Sommer 2009 bis Herbst 2011 stabil war und ab Juli 2012 wieder als stabil anzusehen ist. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass es der Beschwerdeführerin grundsätzlich an der geistigen oder körperlichen Voraussetzung fehlt, ein Studium zu absolvieren. Auch der mangelnde Studienerfolg im Studienjahr 2010/2011 kann aufgrund der Aussagen im Kurzbefund nicht auf ihre Erkrankung zurückgeführt werden.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am