VwGH vom 05.03.2021, Ra 2021/13/0001

VwGH vom 05.03.2021, Ra 2021/13/0001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revisionen des Stadtrats der Stadtgemeinde Purkersdorf, vertreten durch Dr. Peter Gatternig und Mag. Karl Gatternig, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Renngasse 9, 1. gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-1121/006-2017, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung (Kanalbenützungsgebühr), und 2. gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-1121/004-2017, betreffend Kanalbenützungsgebühr (mitbeteiligte Partei: M GmbH in P, vertreten durch Dr. Stefan Stoiber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Elisabethstraße 26), zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

1. Die Revision gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes vom wird als unbegründet abgewiesen.

2. Die Revision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom wird als verspätet zurückgewiesen.

Begründung

1Mit Bescheid vom wurde der mitbeteiligten Partei (einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung) für eine näher genannte Liegenschaft eine jährliche Kanalbenützungsgebühr für die Benützung des öffentlichen Schmutzwasserkanals von 8.150,75 € vorgeschrieben. In der Begründung wurde darauf verwiesen, der Anteil für die Schmutzwasserentsorgung ergebe sich aus der Multiplikation der Berechnungsfläche (2.404,35 m²) mit dem Einheitssatz (3,39 €/m²).

2Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid Berufung.

3Mit Bescheid vom wies der Stadtrat der Gemeinde Purkersdorf (die nunmehrige revisionswerbende Partei) die Berufung als unzulässig zurück.

4Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

5Mit Erkenntnis vom gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde Folge und änderte den angefochtenen Bescheid dahin ab, dass die jährlich zu entrichtende Kanalbenützungsgebühr im Ausmaß von 2.363,72 € vorgeschrieben werde. Das Verwaltungsgericht berücksichtigte dabei ausgehend von der unstrittigen Berechnungsfläche und dem ebenfalls unstrittigen Einheitssatz gemäß § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 eine Minderung von 71%.

6Mit Erkenntnis vom , Ra 2018/16/0084, hob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

7Mit (dem zweitangefochtenen) Erkenntnis vom gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde neuerlich Folge und änderte den angefochtenen Bescheid dahin ab, dass eine jährlich zu entrichtende Kanalbenützungsgebühr von 2.446,79 € vorgeschrieben werde. Das Verwaltungsgericht berücksichtigte nunmehr (unter Einbeziehung auch von Räumlichkeiten im Keller) eine Berechnungsfläche von 2.727,77 m², einen Einheitssatz von 3,39 € und eine Minderung gemäß § 5b Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 von 73,54%. Das Verwaltungsgericht sprach aus, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

8Das Erkenntnis enthält folgenden „Hinweis“:

„Es besteht die Möglichkeit, binnen sechs Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung

1.Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Eine derartige Beschwerde ist durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Die Beschwerde ist mit € 240,- zu vergebühren.

2.außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Eine außerordentliche Revision ist durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich einzubringen. Sie ist mit € 240,- zu vergebühren. [...]“

9Der Stadtrat der Stadtgemeinde Purkersdorf erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Darin wurde u.a. beantragt, im Fall der Abweisung oder Ablehnung dieser Beschwerde den Akt an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die dann noch auszuführende außerordentliche Revision abzutreten.

10Mit Beschluss vom , E 1291/2020-5, wies der Verfassungsgerichtshof diese Beschwerde zurück. Ein Abspruch über den Abtretungsantrag erfolgte nicht.

11In der Begründung führte der Verfassungsgerichtshof (unter Hinweis auf Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes) im Wesentlichen aus, zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, habe der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, dass die Beschwerdelegitimation nach Art. 144 Abs. 1 B-VG nur dann gegeben sei, wenn durch den bekämpften Bescheid irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein könne, wenn also die bescheidmäßigen Anordnungen oder Feststellungen die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers berührten, der Bescheid demgemäß subjektive Rechte begründet (verändert) oder festgestellt habe. Die Existenz subjektiv-öffentlicher Rechte habe zwingend die Parteistellung im Verwaltungsverfahren zur Folge. Anders ausgedrückt: Es könne die für die Beschwerdeberechtigung maßgebende Möglichkeit, durch den Bescheid in der Rechtssphäre verletzt zu werden, nur bei Personen vorliegen, denen in der im konkreten Verwaltungsverfahren behandelten Sache die Stellung einer Partei zugekommen sei. Für die Beschwerdelegitimation gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG in der mit in Kraft getretenen Fassung gälten sinngemäß dieselben Voraussetzungen.

12Ein solcher Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers als Voraussetzung seiner Berechtigung zur Beschwerdeführung gemäß Art. 144 B-VG sei vom Verfassungsgerichtshof für (insbesondere staatliche) Organe eines Rechtsträgers grundsätzlich verneint worden. Für ein Organ eines Rechtsträgers könne die Legitimation zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof gegen eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes mangels Möglichkeit der Verletzung eines subjektiven Rechts nämlich nicht aus Art. 144 B-VG hergeleitet werden.

13Es bestehe aber auch keine sonstige verfassungsgesetzliche Bestimmung, die dem Organ eines Rechtsträgers unmittelbar die Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof einräume oder dem einfachen (Materien-)Gesetzgeber hiezu die Ermächtigung erteile. Folglich sei auch die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht zur Erhebung einer auf Art. 144 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht legitimiert. Eine zu Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG vergleichbare Bestimmung, die der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht eine Legitimation zur Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof einräume, bestehe für das verfassungsgerichtliche Verfahren nicht. Die Beschwerde sei daher mangels Legitimation zurückzuweisen.

14Mit Eingabe vom beantragte der Stadtrat der Stadtgemeinde Purkersdorf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einreichung der „ordentlichen Revision“ und erhob gleichzeitig außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom . Darin wurde zum Antrag auf Wiedereinsetzung geltend gemacht, der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes sei am zugestellt worden. Bei einer telefonischen Anfrage sei dem Rechtsvertreter der revisionswerbenden Partei vom Verfassungsgerichtshof mitgeteilt worden, dass bei Zurückweisungsbeschlüssen eine Entscheidung über den Antrag auf Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof nicht üblich sei. Nach Ansicht der revisionswerbenden Partei sei Art. 144 Abs. 3 B-VG so zu verstehen, dass auch in Fällen wie dem vorliegenden, in welchem der Verfassungsgerichtshof eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, dass sie durch dieses Erkenntnis in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden sei, die Voraussetzungen zur Abtretung des Aktes an den Verwaltungsgerichtshof vorlägen. Wesentliches Argument für die Zurückweisung der Beschwerde sei gewesen, dass die Möglichkeit einer Verletzung in der Rechtssphäre nur bei Personen vorliege, denen im konkreten Verwaltungsverfahren die Stellung einer Partei zugekommen sei. Dazu sei auf § 18 VwGVG zu verweisen, wonach auch die belangte Behörde Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht sei. Die Zurückweisung von „Beschwerden von Gebietskörperschaften“ sei demnach nicht mehr gerechtfertigt. Auf diese Rechtsansicht gestützt sei die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof eingebracht worden. Dass der Verfassungsgerichtshof dies anders sehe, müsse zwar zur Kenntnis genommen werden, doch dürfe die dargestellte Rechtsmeinung der revisionswerbenden Partei nicht zum Nachteil gereichen. Jedenfalls liege aber der Wiedereinsetzungsgrund des § 46 Abs. 2 VwGG vor. Die Rechtsbelehrung des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes habe dahin gelautet, dass binnen sechs Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung unter anderem Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden könne. Da auch die revisionswerbende Partei als belangte Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Partei dieses Verfahrens sei, habe diese Belehrung auch für sie gegolten. Sie sei daher unverschuldet zur Meinung gekommen, dass eine Verfassungsgerichtshofbeschwerde und ein damit verbundener Antrag zur Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof führen werde.

15Mit (dem erstangefochtenen) Beschluss vom wies das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung ab. Es sprach aus, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

16In der Begründung führte das Verwaltungsgericht - nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens - im Wesentlichen aus, die Behandlung einer Revision auf der Grundlage der Abtretung einer an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde setze einen Abtretungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes voraus. Die Unkenntnis der seit 2014 in Kraft stehenden Rechtslage sei als ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden zu werten und demgemäß ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen. Im vorliegenden Verfahren habe der Verfassungsgerichtshof von der Erlassung eines Abtretungsbeschlusses abgesehen, wodurch es nicht zum Lauf der sechswöchigen Frist zur Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gekommen sei; die eingebrachte Revision sei als verspätet anzusehen.

17Gegen diesen Beschluss richtet sich die erste der vom Verwaltungsgerichtshof zur gemeinsamen Erledigung verbundenen Revisionen des Stadtrats der Stadtgemeinde Purkersdorf. Darin wird - auch zur Zulässigkeit der Revision - im Wesentlichen geltend gemacht, Wille des Gesetzgebers sei es, dass die gesamte staatliche Verwaltung und Gerichtsbarkeit möglichst verfahrens- bzw. prozessökonomisch abgewickelt werde. Dieser Grundgedanke der Verfahrensökonomie liege auch der Regelung zugrunde, dass im Falle der Anrufung des Verfassungsgerichtshofes wegen behaupteter Verletzung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten im Falle der Verneinung des Vorliegens solcher Rechte eine Abtretung des Aktes an den Verwaltungsgerichtshof über Antrag des Beschwerdeführers zu erfolgen habe. In diesem Fall beginne die Frist zur Ausführung der Revision erst mit dieser Abtretung zu laufen. Eine Verfahrenspartei, welche ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes bekämpfe und die der Meinung sein konnte, dass eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte erfolgt sei, befolge dieses Postulat dadurch, dass sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch mache, sofort auch eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu richten. Nachdem der Verfassungsgerichtshof zur Meinung gekommen sei, dass es der revisionswerbenden Partei verwehrt gewesen sei, Ansprüche aus verfassungsrechtlich eingeräumten Grundrechten (insbesondere auf Unversehrtheit des Eigentumsrechtes) geltend zu machen, sei im Rahmen des Antrags auf Wiedereinsetzung zunächst zu prüfen, ob die Vorgangsweise und Rechtsansicht der revisionswerbenden Partei, sie sei zur Geltendmachung von Grund- und Freiheitsrechten berechtigt gewesen, vertretbar oder völlig unvertretbar gewesen sei. Weiters sei auch zu prüfen, ob die vom Verfassungsgerichtshof angenommene fehlende Berechtigung von Gebietskörperschaften, Grund- und Freiheitsrechte geltend zu machen, auf einer einheitlichen Rechtsprechung beruhe. Weiters sei die revisionswerbende Partei der Ansicht, dass die Rechtsmittelbelehrung, welche lediglich darauf hinweise, dass eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zulässig sei, in dieser Form unzutreffend sei. Der Verfassungsgerichtshof habe gerade im vorliegenden Fall - entgegen der Rechtsansicht der revisionswerbenden Partei - den gegenteiligen Standpunkt vertreten und festgehalten, dass die Beschwerde nicht zulässig sei. In solchen Fällen müsste die Unzulässigkeit in der Rechtsmittelbelehrung eindeutig zum Ausdruck kommen. Zur Fristversäumung sei es im vorliegenden Fall nur deshalb gekommen, weil der Verfassungsgerichtshof der vertretbaren Rechtsansicht der revisionswerbenden Partei nicht beigetreten sei.

18Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

19Die Revision gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes vom ist zulässig, aber nicht begründet.

20§ 280 Abs. 4 BAO (insoweit in der Fassung BGBl. I Nr. 13/2014) lautet:

„(4) Ausfertigungen von Erkenntnissen und Beschlüssen haben eine Belehrung über die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und einer ordentlichen oder außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu enthalten. Das Verwaltungsgericht hat ferner hinzuweisen:

a)auf die bei der Einbringung einer solchen Beschwerde bzw. Revision einzuhaltenden Fristen;

b)auf die gesetzlichen Erfordernisse der Einbringung einer solchen Beschwerde bzw. Revision durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt (bei Beschwerden) bzw. durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt oder Wirtschaftstreuhänder (bei Revisionen);

c)auf die für eine solche Beschwerde bzw. Revision zu entrichtenden Eingabengebühren.“

21§ 46 Abs. 1 und 2 VwGG lautet:

„(1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist und der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil das anzufechtende Erkenntnis, der anzufechtende Beschluss oder die anzufechtende Revisionsvorentscheidung fälschlich einen Rechtsbehelf eingeräumt und die Partei den Rechtsbehelf ergriffen hat oder keine Belehrung zur Erhebung einer Revision oder zur Stellung eines Vorlageantrages, keine Frist zur Erhebung einer Revision oder zur Stellung eines Vorlageantrages oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsbehelf zulässig sei.“

22Die Pflicht zur Rechtsbelehrung nach § 280 Abs. 4 BAO folgt dem Vorbild des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, 2007 BlgNR 24. GP 19 f: Hinweis auf § 36 des geplanten VwGVG; vgl. hiezu den Ministerialentwurf zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz [2012], 420/ME 24. GP; nunmehr § 30 VwGVG).

23§ 280 Abs. 4 BAO regelt die Belehrungspflicht des Verwaltungsgerichts - wie § 30 VwGVG - in abschließender Weise (vgl. - zu § 30 VwGVG - , VwSlg. 18887/A; , Ra 2015/02/0204; , Ra 2019/05/0102); die Belehrungspflicht entspricht inhaltlich der zuvor in § 61a AVG geregelten Hinweispflicht (vgl. neuerlich ). Die Bestimmung gebietet - wie die Vorgängerbestimmung - keinen Hinweis (bzw. Belehrung) betreffend die Legitimation zur Einbringung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (vgl. , VfSlg. 16.796; Hengstschläger/Leeb, AVG ErgBd, § 30 VwGVG Rz 13).

24Dass in der im Erkenntnis vom enthaltenen Belehrung nicht darauf hingewiesen wurde, dass eine Beschwerde der belangten Behörde (als Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht) an den Verfassungsgerichtshof nicht zulässig sei, verletzte sohin nicht die Bestimmung des § 280 Abs. 4 BAO. Der Antrag auf Wiedereinsetzung kann daher nicht mit Erfolg auf § 46 Abs. 2 VwGG gestützt werden.

25Ein Rechtsirrtum oder mangelnde Rechtskenntnis kann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd § 46 Abs. 1 VwGG sein, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. Wird ein solcher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. ; , Ra 2015/09/0145, Ra 2016/09/0016). An rechtskundige Parteienvertreter ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. , 0031; , Ra 2018/06/0110 bis 0114).

26Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, dass die Beschwerdelegitimation nach Art. 144 B-VG nur dann gegeben ist, wenn durch den bekämpften Bescheid (nunmehr die bekämpfte Entscheidung eines Verwaltungsgerichts) irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann (vgl. z.B. , VfSlg. 15.733). Entgegen dem Vorbringen im Antrag auf Wiedereinsetzung wurde vom Verfassungsgerichtshof nicht zum Ausdruck gebracht, dass die revisionswerbende Partei in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden sei (was zur Abweisung der Verfassungsbeschwerde und Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof geführt hätte), sondern vielmehr, dass die Möglichkeit der Verletzung eines subjektiven Rechts nicht bestehe. Die Beschwerde wurde daher mangels Legitimation zurückgewiesen; die Zurückweisung einer Beschwerde steht aber einer Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof entgegen (vgl. z.B. , VfSlg. 12.749; , B 2406/97, VfSlg. 15.073; , B 1741/10; , E 3504/2018).

27Zu unterscheiden ist die Beschwerdelegitimation des Rechtsträgers (hier einer Gemeinde) einerseits und die Beschwerdelegitimation des Organs eines Rechtsträgers anderseits (vgl. z.B. , VfSlg. 19.092: Beschwerde der Rechtsanwaltskammer und von Organen der Rechtsanwaltskammer; , E 1823/2017: Beschwerde einer Gemeinde und des Gemeindevorstandes). Dies wird in der Revision - hier eines Organs eines Rechtsträgers - vermengt, wenn etwa die Berechtigung von Gebietskörperschaften, Grund- und Freiheitsrechte geltend zu machen, oder das Recht von Gebietskörperschaften, für sie negative Entscheidungen betreffend Gemeindeabgaben im Hinblick auf das Recht auf Eigentum vor dem Verfassungsgerichtshof zu bekämpfen, behandelt wird (vgl. aber auch ; , Ro 2015/16/0001, VwSlg. 19102/A, wonach kein subjektives Recht der Gemeinde auf Festsetzung oder Erhalt von Gemeindeabgaben abgeleitet werden könne; vgl. auch , mwN).

28Die Revision macht aber auch geltend, der Verfassungsgerichtshof habe die Beschwerde eines Landschaftsschutzanwalts (also eines Organs) mit Erkenntnis vom , B 538/84, VfSlg. 10.366, als unbegründet abgewiesen und damit als zulässig behandelt (vgl. hiezu auch Mayer, B-VG4, Art. 144 B-VG II.5 [„gelegentlich angenommen“] mit Verweis auf Art. 131 B-VG II.2; vgl. aber auch Mayer, a.a.O, Art. 144 B-VG II.2: „eine Organ- oder Amtsbeschwerde ist daher unzulässig“). In der neueren Judikatur verneint der Verfassungsgerichtshof die Beschwerdelegitimation einer Organpartei (vgl. Muzak, B-VG6, Art. 144 B-VG Rz 11). Nach dieser Rechtsprechung kann für ein Organ eines Rechtsträgers die Legitimation zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof mangels Möglichkeit der Verletzung eines subjektiven Rechts nicht aus Art. 144 Abs. 1 B-VG hergeleitet werden (vgl. z.B. , VfSlg. 15.079; , G 4/04 u.a., VfSlg. 17.220; , B 1511/03, VfSlg. 17.234; , B 1298/09, VfSlg. 18.914; , B 155/10, VfSlg. 19.092; , B 264/12; , E 402/2015; , E 1823/2017 [betreffend Gemeindevorstand, Punkt 3.2]; , E 3504/2018). In dem Erkenntnis vom , VfSlg. 17.220, verwies der Verfassungsgerichtshof insbesondere auch auf die Unterschiede zum Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof: Der Verwaltungsgerichtshof erkenne nicht nur über die Verletzung subjektiver Rechte, sondern sei auch für Beschwerden (nunmehr: Revisionen) zuständig, mit denen eine objektive Rechtsverletzung geltend gemacht werde (Amts- bzw. Organbeschwerde; nunmehr Amts- bzw. Organrevision). Demgegenüber sei der Verfassungsgerichtshof nach Art. 144 B-VG nur imstande, über die Behauptung der Verletzung subjektiver Rechte, nicht auch über eine behauptete objektive Rechtsverletzung zu erkennen. Mit Beschluss vom , B 373/06, VfSlg. 17.838, wies der Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde der Bundesministerin für Inneres unter Hinweis auf diese Rechtsprechung zurück. In der Begründung führte der Verfassungsgerichtshof u.a. aus, für den gegenteiligen Standpunkt der revisionswerbenden Partei sei auch aus VfSlg. 10.366 nichts zu gewinnen, und verwies dazu auf VfSlg. 17.220.

29Daraus, dass der belangten Behörde nunmehr im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Parteistellung zukommt (§ 265 Abs. 5 BAO,§ 18 VwGVG) und sie gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG zur Erhebung einer Revision berechtigt ist, kann daher - entgegen dem Revisionsvorbringen - von vornherein keine Befugnis zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof abgeleitet werden, da insoweit keine subjektiven Rechte eingeräumt wurden (vgl. z.B. , VwSlg. 19337/A).

30Im Hinblick auf die ständige (neuere) Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes beruhte aber - bei Zugrundelegung des bei rechtskundigen Vertretern strengeren Maßstabes - die Versäumung der Revisionsfrist wegen Einbringung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mit der Erwartung, nach (allfälliger) negativer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof erheben zu können, auf einem Verschulden, das den minderen Grad des Versehens überschritt.

31Die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung durch das Verwaltungsgericht erweist sich damit im Ergebnis als zutreffend, sodass die dagegen erhobene Revision gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen war.

32Die Behandlung einer Revision auf der Grundlage der Abtretung einer an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG setzt einen Abtretungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes voraus (vgl. ). Ein derartiger (positiver) Abtretungsbeschluss liegt hier nicht vor.

33Die außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom wurde unbestritten erst nach Ablauf der Revisionsfrist beim Verwaltungsgericht (gemeinsam mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung) eingebracht. Da sich der Antrag auf Wiedereinsetzung als nicht berechtigt erwiesen hat, war die Revision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom sohin (da es sich um eine außerordentliche Revision handelt, vom Verwaltungsgerichtshof, vgl. , mwN) - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - als verspätet zurückzuweisen.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021130001.L00

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