VwGH vom 29.07.2021, Ra 2021/12/0021

VwGH vom 29.07.2021, Ra 2021/12/0021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Hofrat Mag. Cede als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers MMag. Dr. Gotsbacher, über die Revision des M H in P, vertreten durch die Dax Wutzlhofer & Partner Rechtsanwälte GmbH in 7000 Eisenstadt, Rusterstraße 62/1/ 4. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W257 2012721-2/4E, betreffend Zuerkennung einer Ausgleichsmaßnahme für entgangenes Schmerzengeld gemäß § 23a, 23b GehG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Burgenland), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerber steht als Exekutivbeamter der Landespolizeidirektion Burgenland in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2Am hat der Revisionswerber an einem Einsatztraining teilgenommen, bei dem die Anwendung einsatzbezogener Körperkraft geschult worden ist. Er hat dabei eine Verletzung erlitten und war infolgedessen von bis dienstunfähig.

3Am begehrte der Revisionswerber bei seiner Dienstbehörde die Auszahlung eines Vorschusses auf den Ersatz von entgangenem Verdienst nach dem (damals in Geltung stehenden) Wachebediensteten-Hilfeleistungsgesetz (WHG) sowie die Zuerkennung einer Ausgleichsmaßnahme für entgangenes Schmerzengeld nach § 83c Gehaltsgesetz 1956 (GehG).

4Die Dienstbehörde gewährte dem Revisionswerber einen Vorschuss auf eine Ersatzleistung für entgangenen Verdienst in Höhe von € 10.220,31.

5Den Antrag auf Zuerkennung einer Ausgleichsmaßnahme für entgangenes Schmerzengeld nach § 83c GehG wies die Dienstbehörde mit Bescheid vom ab.

6Zum Hergang des Unfalls enthält der Bescheid folgende Ausführungen (Schreibfehler im Original):

„Sie nahmen am in der Polizeiinspektion Bruckneudorf am Einsatztraining teil. Im Zuge dieser Ausbildung wurde die Anwendung einsatzbezogener Körperkraft geschult. Gegen 15:15 Uhr wurden an Ihnen durch den Einsatztrainer RevInsp [...] unter der Leitung von GrInsp [...] der Schultergelenksdrehhebel angewendet. Um Ihrerseits einen bevorstehenden Gleichgewichtsverlust vorzubeugen, stiegen Sie mit dem linken Fuss zurück, wobei Sie Schmerzen im linken Kniegelenk verspürten. Aufgrund dieser Verletzung begaben Sie sich anschließend zur weiteren Behandlung in die Unfallambulanz Frauenkirchen, wobei die folgende Verletzungen festgestellt wurden: Riss des vorderen Kreuzbandes, Einriss des äußeren Seitenbandes, sowie eine Läsion des linken Meniskus“.

7In rechtlicher Hinsicht begründete die Behörde die Antragsabweisung damit, dass sich der Revisionswerber die Verletzung anlässlich eines Dienstunfalles zugezogen habe, der sich im Rahmen einer Ausbildung ereignet habe. § 83c GehG erfordere für die Gewährung einer Ausgleichsmaßnahme für entgangenes Schmerzengeld einen Dienstunfall im Sinne von § 4 Abs. 1 (Z 1 und 2) WHG. „Ausbildungs-Dienstunfälle“ seien jedoch nicht von § 4 Abs. 1 (Z 1 und 2) WHG erfasst, sondern von § 4 Abs. 3 leg.cit.. Selbst für den Fall, dass „Ausbildungs-Dienstunfälle“ unter § 4 Abs. 1 Z 1 WHG fielen, müssten diese (um anspruchsbegründend zu sein) unter besonders gefährlichen Umständen, somit in unmittelbarer Ausübung exekutivdienstlicher Pflichten bzw. unter einsatzähnlichen Bedingungen durchgeführt worden sein. Eine unmittelbare Ausübung exekutivdienstlicher Pflichten im Sinne des WHG sei dann gegeben, wenn der Wachebedienstete den Dienstunfall in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang „mit dem der Dienstpflicht des Wachebediensteten eigenen Element des Aufsuchens der Gefahr oder des Verbleibens im Gefahrenbereich“ erleide. Ausbildungsunfälle, die unter besonders gefährlichen Umständen, somit unter unmittelbarer Ausübung exekutivdienstlicher Pflicht, durchgeführt werden, seien Unfälle, wie sie sich zum Beispiel bei Alpinübungen im hochalpinen Gelände, Lawinensuchhundeausbildung im Alpingelände, Großübungen mit anderen Blaulichteinheiten unter Einbeziehung der Zivilbevölkerung mit hohem Praxisbezug usw. ereignen würden. Die verpflichtende Teilnahme an Ausbildungen, Fortbildungen und Weiterbildungen sei als Auflage des exekutivdienstlichen Arbeitsplatzes zu werten und es handle sich hierbei um eine Tätigkeit der allgemeinen Exekutivpflichten. Auch Trainingsmaßnahmen und Weiterbildungsmaßnahmen diverser Sonderabteilungen seien Teile der allgemeinen Dienstpflichten, keinesfalls aber als unmittelbare Ausübung exekutivdienstlicher Pflichten im Sinne des WHG zu verstehen.

8In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde führte der Revisionswerber zu den näheren Umständen des Einsatztrainings vom aus, dass der Einsatztrainer an ihm die Einsatztechnik „Schultergelenksdrehhebel“ vorgeführt habe, wobei sich der Revisionswerber die Verletzungen zugezogen habe, auf die er seine Ansprüche stütze. In rechtlicher Hinsicht führte der Revisionswerber aus, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2005/12/0182, ausgesprochen habe, dass § 4 Abs. 1 WHG zu eng gefasst sei und „in Anbetracht des häufig unter besonders gefährlichen Umständen auszuübenden Exekutivdienstes“ auf Fälle zu erweitern sei, die sich „in unmittelbarer Ausübung der exekutivdienstlichen Pflichten“ ereigneten. Im Rahmen des Einsatztrainings vom seien insbesondere Einsatztaktik und Szenarientraining geschult worden. Der Dienstunfall sei in einem örtlichen, zeitlichen „oder zumindest ursächlichen“ Zusammenhang mit der Dienstpflicht eines Wachebediensteten gestanden. Der Revisionswerber beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

9In einer zur Erwiderung des Beschwerdevorbringens erstatteten Äußerung vom brachte die belangte Behörde (unter anderem) vor, dass „laut Schilderung des Sachverhaltes ... kein Fremdverschulden“ vorgelegen und „die Verletzung durch Anwendung eigener Körperkraft“ verursacht worden sei. Im Fall von „Ausbildungs-Dienstunfällen“ erfordere die Gewährung einer Ausgleichsmaßnahme für entgangenes Schmerzengeld „einen Dienstunfall[,] bei dem durch einen Dritten die Verletzung zugefügt wurde“.

10Mit Schreiben vom übermittelte das Bundesverwaltungsgericht diese Äußerung dem Revisionswerber und räumte ihm die Möglichkeit ein, sich dazu binnen zwei Wochen zu äußern. Aus dem im Akt liegenden Zustellnachweis ergibt sich, dass die Zustellung dieses Schreibens an den anwaltlichen Vertreter des Revisionswerbers mittels ERV am Mittwoch, „erfolgreich hinterlegt“ wurde.

11Mit dem angefochtenen (mit datierten) Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

12In dem mit „Feststellungen“ überschriebenen Abschnitt seines Erkenntnisses führte das Bundesverwaltungsgericht unter anderem Folgendes aus (Schreibfehler im Original):

„Im Rahmen des exekutivdienstlichen Einsatztrainings, in der die Anwendung einsatzbezogener Körperkraft geschult wird und wie die Waffenübungen zur routinemäßigen Aus- und Fortbildung eines Exekutivbeamten gehören, verletzte sich der Beschwerdeführer am ohne Fremdverschulden an seinem Knie dermaßen, dass er zweimal operiert werden musste und sich bis zum in Krankenstand befand. Der Verdienstentgang wurde ausgeglichen, ein Schmerzensgeld wurde ihm nicht zugestanden.

Der Unfall geschah bei der Anwendung einsatzbezogener Körperkraft, indem gegen 15.15 Uhr des an dem Beschwerdeführer ein Schultergelenksdrehebel angewendet wurde. Um den bevorstehenden Gewichtsverlust auszugleichen, stieg der Beschwerdeführer mit dem linken Fuß zurück, wobei er Schmerzen in linken Kniegelenk verspürte“.

13In rechtlicher Hinsicht erörterte das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage sowohl im Lichte der § 23a und 23b GehG in der seit geltenden Fassung der Dienstrechtsnovelle 2018, BGBl. I Nr. 60, als auch im Lichte der vor der Dienstrechtsnovelle 2018 geltenden Rechtslage und gelangte zur Auffassung, dass der Revisionswerber „nicht einmal behauptet“ habe, dass Fremdverschulden vorliege und daher ein Anspruch zu verneinen sei, weil von einem Dienstunfall mit Verletzungsfolgen „ohne Fremdeinwirkung“ auszugehen sei, der Revisionswerber sich die Verletzung „ohne fremdes Zutun“ zugezogen habe und in einem solchen Fall des „Eigenverschuldens“ die Zuerkennung einer Ausgleichsmaßnahme sowohl gemäß § 83c GehG (Hinweis auf ) als auch nach der geltenden Rechtslage ausgeschlossen sei, weil der Anspruch „mangels Schadenszufügung durch eine andere Person (einen Täter), von der sein Schmerzengeld hätte gefordert werden können“, ausscheide.

14Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

15Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, in der (unter anderem) das Unterbleiben der Verhandlung bemängelt und als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Ihre Zulässigkeit begründet die Revision (unter Anführung von Rechtsprechungsnachweisen) damit, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht abgewichen sei.

16Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:

17Die Revision erweist sich infolge des in der Revision aufgezeigten Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte als zulässig und berechtigt.

182.1. § 19 und 21 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 44/2019, lauten auszugsweise:

„Geschäftsordnung

§ 19. (1) ...

(2) In der Geschäftsordnung kann insbesondere festgelegt werden, wann (Amtsstunden) und wo (Dienststelle am Sitz, Außenstelle) Schriftsätze beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht werden können. Schriftsätze, die im elektronischen Verkehr übermittelt oder im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebracht worden sind, gelten mit dem Tag ihrer Einbringung als eingebracht, und zwar auch dann, wenn sie nach dem Ende der Amtsstunden eingebracht wurden; allfällige Pflichten des Bundesverwaltungsgerichtes zur Vornahme bestimmter Handlungen werden diesfalls jedoch frühestens mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden ausgelöst.

...

4. Abschnitt

Elektronischer Rechtsverkehr

§ 21. (1) Die Schriftsätze können auch im Wege des nach diesem Abschnitt eingerichteten elektronischen Rechtsverkehrs wirksam eingebracht werden. ...

...

(8) Als Zustellungszeitpunkt elektronisch übermittelter Ausfertigungen von Erledigungen des Bundesverwaltungsgerichtes und Eingaben (Abs. 1) gilt jeweils der auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgende Werktag, wobei Samstage nicht als Werktage gelten.“

192.2. § 23a (zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 60/2018) und § 23b (zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 152/2020) Gehaltsgesetz 1956, BGBl. Nr. 54/1956, lauten:

„Besondere Hilfeleistungen

§ 23a. Der Bund hat als besondere Hilfeleistung die vorläufige Übernahme von Ansprüchen zu erbringen, wenn

1.eine Beamtin oder ein Beamter

a)einen Dienstunfall gemäß § 90 Abs. 1 des Beamten-Kranken-und Unfallversicherungsgesetzes - B-KUVG, BGBl. Nr. 200/1967, oder

b)einen Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955,

in unmittelbarer Ausübung ihrer oder seiner dienstlichen Pflichten erleidet, und

2.dieser Dienst- oder Arbeitsunfall eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung zur Folge hatte und

3.der Beamtin oder dem Beamten dadurch Heilungskosten erwachsen oder ihre oder seiner Erwerbsfähigkeit voraussichtlich durch mindestens zehn Kalendertage gemindert ist.

Vorschuss zur besonderen Hilfeleistung

§ 23b. (1) Der Bund leistet als besondere Hilfeleistung einen Vorschuss (vorläufige Übernahme von Ansprüchen), wenn

1.sich die Beamtin oder Beamte im Zusammenhang mit einem Dienst- oder Arbeitsunfall im Sinne des § 23a Z 1 an einem Strafverfahren beteiligt, das nach Prüfung des Bestandes der Ansprüche mit einer rechtskräftigen Entscheidung über Ersatzansprüche der Beamtin oder des Beamten oder der Hinterbliebenen gegen den Täter abgeschlossen wird, oder

2.solche Ersatzansprüche der Beamtin oder des Beamten im Zivilrechtsweg nach Prüfung des Bestandes der Ansprüche rechtskräftig zugesprochen werden.

(2) Ein Vorschuss nach Abs. 1 Z 1 und Z 2 ist höchstens bis zum 27-fachen Referenzbetrag gemäß § 3 Abs. 4 für Heilungskosten, Schmerzengeld sowie für jenes Einkommen, das der Beamtin oder dem Beamten wegen der erlittenen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung entgangen ist oder künftig entgeht, zu leisten.

(3) Das Schmerzengeld und das Einkommen gemäß Abs. 2 umfassen auch die jeweils bis zur rechtskräftigen Entscheidung über Ersatzansprüche anfallenden Zinsen.

(4) Ist eine gerichtliche Entscheidung über die Ansprüche gemäß Abs. 2 unzulässig, kann diese nicht erfolgen oder ist diese ohne Prüfung des Bestandes der Ansprüche erfolgt, hat die Dienstbehörde nach Prüfung des Bestandes der Ansprüche die Heilungskosten sowie jenes Einkommen, das der Beamtin oder dem Beamten wegen der erlittenen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung entgangen ist oder künftig entgeht, zu ersetzen. Die Zahlung von Schmerzengeld ist nach Prüfung des Bestandes der Ansprüche höchstens bis zum fünffachen Referenzbetrag gemäß § 3 Abs. 4 möglich. Die Gesamtkosten dürfen jedoch jene gemäß Abs. 2 nicht überschreiten.

(5) Die vorläufige Leistungspflicht des Bundes besteht nur insoweit, als die Ansprüche der Beamtin oder des Beamten nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung oder nach dem Bundesgesetz über die Gewährung von Hilfeleistungen an Opfer von Verbrechen, BGBl. Nr. 288/1972, gedeckt sind.

(6) Die Ansprüche der Beamtin oder des Beamten gegen die Täterin oder den Täter gehen, soweit sie vom Bund bezahlt werden, durch Legalzession auf den Bund über.“

203.1. Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen durchzuführen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher jedenfalls dann durchzuführen, wenn es sich um „civil rights“ oder um „strafrechtliche Anklagen“ im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. , mwN).

213.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass dienstrechtliche Streitigkeiten öffentlich Bediensteter unter den Begriff der „civil rights“ im Verständnis des Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen, soweit derartige Streitigkeiten (wie die vorliegende) durch die innerstaatliche Rechtsordnung geregelte, subjektive Rechte oder Pflichten des jeweils betroffenen Bediensteten zum Gegenstand haben (vgl. erneut , mwN).

223.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Entfall der mündlichen Verhandlung damit begründet, dass die Verhandlung nicht beantragt worden sei, und führt ergänzend (ohne dies jedoch fallbezogen näher darzulegen) aus, dass „der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt“ sei, eine mündliche Erörterung „die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt“, die Lösung des Falles „ausschließlich von Rechtsfragen“ abhänge und „der zugrundeliegende Sachverhalt nicht strittig“ sei.

233.4.1. Mit der Annahme, die Verhandlung sei nicht beantragt worden, entfernt sich das Bundesverwaltungsgericht vom Inhalt Beschwerde, in der ausdrücklich der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt worden ist.

243.4.2. Auch dass jener Sachverhalt, auf den das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung tragend gestützt hat, „unstrittig“ oder „geklärt“ gewesen sei, ist nicht zu sehen.

25Der pauschale Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Tatbestände der Ziffern 1 und 2 des § 23b Abs. 1 GehG nicht erfüllt seien, lässt den relevanten Sachverhalt schon deshalb nicht als geklärt erscheinen, weil der Antrag des Revisionswerbers auf eine Leistung nach § 23b Abs. 4 GehG abzielte.

263.4.3. Nach den dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegenden Regelungen ist das Vorliegen von Fremdverschulden Voraussetzung für die Zuerkennung der Hilfeleistung durch vorläufige Übernahme von Ansprüchen im Sinne der Leistung eines Vorschusses (zu § 23b GehG iVm § 23a GehG vgl. , unter Hinweis darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof dies bereits im Erkenntnis vom , 2011/12/0037, zu den insofern gleichlautenden Vorgängerregelungen des WHG und des § 83c GehG ausgesprochen hat).

273.4.4. Anders als das Bundesverwaltungsgericht stützte die belangte Behörde die Abweisung des Antrags nicht darauf, dass die vom Revisionswerber erlittene Verletzung ohne Fremdverschulden eingetreten sei, sondern zum einen darauf, dass sie die Folge eines „Ausbildungs-Unfalls“ gewesen sei, für den die in § 83c GehG vorgesehene Ausgleichsmaßnahme nicht in Betracht komme, und zum anderen darauf, dass der „Ausbildungs-Unfall“ nicht als unmittelbare Ausübung exekutivdienstlicher Pflichten im Sinne des WHG zu verstehen sei. Die im Bescheid der belangten Behörde enthaltenen Ausführungen zum Unfallgeschehen (siehe deren Wiedergabe oben in Rn. 6) nahm die belangte Behörde nicht zum Anlass, auch auf das Fehlen von Fremdverschulden zu schließen. Ohne weitere Ermittlung der näheren Umstände hätten diese Ausführungen im Übrigen für eine derartige Schlussfolgerung auch keine ausreichende Grundlage geboten.

283.4.5. Daher durfte auch das Bundesverwaltungsgericht allein aus dem Umstand, dass der Revisionswerber in seiner Beschwerde den der Antragsabweisung zugrundeliegenden Überlegungen der belangten Behörde entgegengetreten ist, ohne auch auf für die Frage des Fremdverschuldens relevante Sachverhaltsaspekte näher einzugehen, nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass der (von Amts wegen zu klärende) Sachverhalt hinsichtlich dieser (erstmals) im angefochtenen Erkenntnis tragend zugrunde gelegten Aspekte „geklärt“ und unstrittig gewesen sei. Daran ändert es auch nichts, dass der Revisionswerber auf Vorhalt der das Vorliegen von Fremdverschulden bestreitenden Äußerung der belangten Behörde vom nicht reagiert hat. Zum einen wurde das angefochtene Erkenntnis nämlich bereits am erlassen, sohin noch vor Ablauf der zweiwöchigen Frist, die dem Revisionswerber (zu Handen seines anwaltlichen Vertreters im elektronischen Rechtsverkehr am hinterlegt und damit gemäß § 21 Abs. 8 BVwGG am zugestellt) zur Stellungnahme eingeräumt wurde. Zum anderen lässt bereits die Gewährung von Parteiengehör zur Äußerung der belangten Behörde erkennen, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht von einem geklärten Sachverhalt ausging.

293.4.6. Von einem geklärten Sachverhalt dahin, dass die Verletzungen des Revisionswerbers ohne Fremdverschulden eingetreten seien (oder davon, dass die Entscheidung „ausschließlich von Rechtsfragen“ abhänge), durfte das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren daher nicht ausgehen.

303.5. Da sich die vom Bundesverwaltungsgericht dafür herangezogenen Gründe somit als nicht tragfähig erweisen (und auch sonst keine ausreichenden Gründe dafür ersichtlich sind), war das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung rechtswidrig.

31Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb ohne nähere Prüfung einer Relevanz des Verfahrensmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben (vgl. , mwN).

324. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021120021.L00

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