VwGH vom 18.03.2014, 2013/22/0191

VwGH vom 18.03.2014, 2013/22/0191

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Steyr vom , Zl. Frp/8344, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den am eingelangten Antrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und habe am erstmals einen Asylantrag gestellt. Diesen Asylantrag habe der Beschwerdeführer, nachdem er am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe, am zurückgezogen. In weiterer Folge habe der Beschwerdeführer eine quotenfreie Erstniederlassungsbewilligung als begünstigter Drittstaatsangehöriger gemäß § 49 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) erhalten. Am sei gegenüber dem Beschwerdeführer ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot (rechtskräftig mit ) erlassen worden, nachdem ein Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass die zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin geschlossene Ehe eine "Scheinehe" sei. Die Ehe sei vom Bezirksgericht H mit näher bezeichnetem Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden.

Am habe der Beschwerdeführer neuerlich einen Asylantrag gestellt, über den - verbunden mit einer Ausweisung - seit "zweitinstanzlich rechtskräftig negativ entschieden" sei.

Am habe der Beschwerdeführer den hier gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß (nunmehr) § 43 Abs. 4 NAG gestellt. Dazu habe die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich Stellungnahmen (zuletzt vom ) abgegeben, denen zufolge - auch unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sachverhaltsänderung durch die Ablegung der Deutschprüfung auf dem Niveau A2 - fremdenpolizeiliche Maßnahmen iSd Art. 8 EMRK zulässig seien.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der seit ca. zehn Jahren in Österreich lebende Beschwerdeführer durch seine Arbeit als Zeitungskolporteur seinen Lebensunterhalt alleine bestreiten könne, in die österreichische Gesellschaft sozial eingebunden sei, über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis verfüge und dass seine - die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende - Schwester in S lebe.

Die Integration des Beschwerdeführers - so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung - basiere nur auf einem durch einen zweiten Asylantrag begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus und sei darüber hinaus durch seine Straffälligkeit (der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Bezirksgerichtes G vom gemäß § 293 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden) "in ihrer sozialen Komponente" gemindert. Weiters habe der Beschwerdeführer versucht, sich durch Eingehen einer Scheinehe im Bundesgebiet niederzulassen, wodurch die "Verfestigung mit dem Bundesgebiet" - nachdem dieses Verhalten eine massive Übertretung der Einwanderungsvorschriften darstelle - entsprechend gemindert sei. Die Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK könne aufgrund dieses Rechtsmissbrauches nicht zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Sein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 4 NAG sei daher mangels Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 3 NAG abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1122/2011-4, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 8 des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, hat der Verwaltungsgerichtshof in Beschwerdeverfahren, in denen der Verfassungsgerichtshof bis zum Ablauf des eine Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat, die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des B-VG und des VwGG weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Weiters ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (am ) das NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 anzuwenden ist.

Die Beschwerde wendet sich gegen den angefochtenen Bescheid und verweist dazu insbesondere auf die sehr guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers, auf seine seit Jahren bestehende Selbsterhaltungsfähigkeit sowie auf seine lange Aufenthaltsdauer in Österreich seit dem Jahr 2000. Damit zeigt sie im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Gemäß § 43 Abs. 4 NAG kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 oder Z 5 NAG in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag eine "Niederlassungsbewilligung" erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist (Z 1) und mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist (Z 2). Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits darauf hingewiesen, dass zwar bei der Prüfung, ob ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall iSd NAG vorliegt, auch die in § 11 Abs. 3 NAG genannten, bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK zu beachtenden Gesichtspunkte in die Beantwortung dieser Frage einfließen können. Dies aber nur in dem Maß, als sie auf den Integrationsgrad des betreffenden Fremden Auswirkungen haben. Daran kann schon deshalb kein Zweifel bestehen, weil § 43 Abs. 4 NAG (ebenso wie § 41a Abs. 10 NAG) erkennbar vor allem jene Konstellationen erfassen soll, in denen die Schwelle des Art. 8 EMRK, sodass gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/22/0164, mit Verweis auf das zur gleichgelagerten früher geltenden Rechtslage nach § 44 Abs. 4 NAG idF vor dem FrÄG 2011 ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0255).

Somit kommt es für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 43 Abs. 4 NAG gerade nicht darauf an, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten wäre. Diese Bestimmung soll vielmehr gerade dann greifen, wenn ein Recht aus Art. 8 EMRK nicht abgeleitet werden kann (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2012/22/0164). Vor diesem Hintergrund gehen die Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, die - nach dem Gesagten in Verkennung der Rechtslage - auf eine Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK abzielen und den während der Anhängigkeit der beiden Asylverfahren unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers sowie das hohe öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften in den Vordergrund rücken, am von ihr zu beurteilenden Gegenstand vorbei.

Hinsichtlich der von ihr im Hinblick auf § 43 Abs. 4 NAG zu beachtenden Umstände gestand die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zwar zu, durch seine Arbeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und sozial integriert zu sein. Auch die vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgebrachte Ablegung einer Deutschprüfung auf dem Niveau A2 wurde von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellt. Allerdings verabsäumte es die belangte Behörde, diese für das Vorliegen eines "besonders berücksichtigungswürdigen Falles" sprechenden Aspekte ihrer Entscheidung erkennbar zugrunde zu legen. Sie hat im Übrigen auch nicht die Voraussetzung des § 43 Abs. 4 Z 2 NAG geprüft.

Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift ins Treffen führt, sie habe den Antrag im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil im Entscheidungszeitpunkt ein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 NAG in Form eines rechtskräftigen Rückkehrverbotes vorgelegen habe, ist ihr zunächst entgegenzuhalten, dass Ausführungen in der Gegenschrift Begründungsmängel nicht zu sanieren vermögen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/06/0206). Darüber hinaus enthält der angefochtene Bescheid lediglich einen Hinweis auf ein gegen den Beschwerdeführer mit rechtskräftig verhängtes, auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot, das - die Richtigkeit dieser Feststellung vorausgesetzt - zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung in jedem Fall schon abgelaufen war.

Somit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG sowie § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, iVm § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Das Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.

Wien, am