VwGH vom 15.03.2022, Ra 2021/11/0068

VwGH vom 15.03.2022, Ra 2021/11/0068

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des A Z in J (Slowenien), vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof, MMag. Maja Ranc und Mag. Sara Julia Grilc, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 33.13-160/2021-5, betreffend Übertretungen nach dem LSD-BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird im Umfang der Anfechtung des Schuldspruches des angefochtenen Erkenntnisses zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

In seinem über den Schuldspruch hinausgehenden Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

11. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe es als Inhaber der Einzelunternehmung S. mit Sitz in Slowenien verwaltungsstrafrechtlich zu verantworten, dass diese Unternehmung zwei näher genannte, von ihr nach Österreich entsandte Arbeitnehmer in einem näher genannten Zeitraum beschäftigt habe, ohne diesen das gebührende Entgelt unter Beachtung der Einstufungskriterien geleistet zu haben.

2Wegen dieser beiden Übertretungen des LSD-BG wurde über den Revisionswerber jeweils gemäß § 29 Abs. 1 LSD-BG eine Geldstrafe in Höhe von € 1.000,00, im Fall deren Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tag und 9 Stunden verhängt. Unter einem wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von € 200,00 vorgeschrieben.

32.1. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Revisionswerbers, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen, teilweise Folge, indem es die beiden verhängten Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen sowie den Verfahrenskostenbeitrag herabsetzte, den Schuldspruch jedoch bestätigte. Die Erhebung einer ordentlichen Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

42.2. Dieser Entscheidung legte das Verwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - folgende Sachverhaltsfeststellungen zu Grunde:

5Die beiden im Straferkenntnis angeführten, vom Einzelunternehmen S. für Trockenbauarbeiten eingesetzten Arbeiter hätten für ihre Tätigkeit einen Bruttostundenlohn von € 12,11 erhalten. Entsprechend dem im relevanten Zeitraum in Geltung stehenden anzuwendenden Kollektivvertrag für Trockenausbauer (Bauhilfsgewerbe), Steiermark, 2019, habe der gebührende Bruttostundenlohn für angelernte Arbeiter € 12,52 betragen. Das aliquote Weihnachtsgeld sei nicht gewährt worden. Im Zeitraum vom bis hätten die Arbeiter bei einer Beschäftigung von jeweils insgesamt 54,50 Stunden je ein Entgelt von € 660,00 erhalten. Das gebührende Entgelt inklusive aliquotem Weihnachtsgeld hätte € 747,93 betragen. Es sei somit eine Unterentlohnung je Arbeitnehmer von € 87,93 bzw. 11,76 % vorgelegen. Im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens seien die Differenzbeträge am den beiden Arbeitnehmern nachbezahlt worden.

6In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz - aus, den beiden Arbeitnehmern sei ein den gemäß dem Kollektivvertrag für Bauhilfsgewerbe, gültig für die Steiermark ab , gebührenden unterschreitender Bruttostundenlohn ausbezahlt worden. Das Beschwerdevorbringen, wonach die Unterentlohnung ausschließlich auf dem fehlenden aliquoten Weihnachtsgeld beruhe, sei somit nicht richtig. Beiden Arbeitnehmern sei das aliquote Weihnachtsgeld nicht zeitgerecht bezahlt worden. Der verwaltungsstrafrechtliche Tatbestand der Unterentlohnung in zwei Fällen sei somit in objektiver Hinsicht erfüllt.

7Der Revisionswerber habe im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens sowohl den fehlenden Betrag hinsichtlich des Bruttostundenlohns als auch das nicht gewährte aliquote Weihnachtsgeld und somit die gesamte Differenz nachbezahlt. § 29 Abs. 3 LSD-BG sehe im Falle einer vollständigen Nachzahlung der Differenz ein Absehen von der Verhängung einer Strafe vor, wenn entweder die Unterschreitung des maßgeblichen Entgelts gering war oder das Verschulden des Arbeitgebers leichte Fahrlässigkeit nicht übersteigt. Im gegenständlichen Fall habe der Arbeitgeber durchschnittlich fahrlässig gehandelt, da er weder die - in der Regel übliche - jährliche Erhöhung des Bruttostundenlohns berücksichtigt noch Erkundungen eingeholt habe, welche Entgeltbestandteile einem Arbeitnehmer im Zuge einer Entsendung zu gewähren seien. Die Regelung, dass neben dem Grundlohn auch Sonderzahlungen zu gewähren seien, bestehe seit . Somit könne im November 2019 nicht mehr von einer bloß leichten Fahrlässigkeit die Rede sein. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könne die Unterentlohnung im gegenständlichen Fall, die ein Ausmaß von jeweils 11,76 % aufweise, nicht als gering erkannt werden. Zusammengefasst folge daraus, dass aufgrund des Umstandes, dass weder eine geringe Unterentlohnung noch eine bloß leichte Fahrlässigkeit gegeben sei, die Voraussetzungen des § 29 Abs. 3 LSD-BG trotz Nachzahlung des Differenzbetrages nicht vorlägen und folglich nicht von der Verhängung einer Strafe abgesehen werden könne.

8Zur Strafbemessung führte das Verwaltungsgericht aus, der gegenständliche Fall stelle eine erstmalige Begehung dar, und es seien zwei Arbeitnehmer von der Unterentlohnung betroffen, sodass der erste Strafsatz des § 29 Abs. 1 LSD-BG anzuwenden sei, welcher die Verhängung einer Geldstrafe von € 1.000,00 bis € 10.000,00 je Arbeitnehmer vorsehe. Die belangte Behörde habe daher die Mindeststrafe verhängt. Gemäß § 20 VStG könne die Mindeststrafe bis zur Hälfte unterschritten werden, wenn die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich überwögen. Aufgrund des Vorliegens des gewichtigen Milderungsgrundes der erfolgten gänzlichen Nachzahlung und des Milderungsgrundes der Unbescholtenheit, bei Nichtvorhandensein von Erschwerungsgründen, und vor dem Hintergrund des präventiven Charakters des § 29 Abs. 1 LSD-BG seien die von der belangten Behörde festgesetzten Geldstrafen jeweils auf die Hälfte der Mindeststrafe herabzusetzen gewesen.

93. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

10Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

114. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

124.1. Die Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit hinsichtlich des Strafausspruches geltend, nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Maksimovic ua, C-64/18, seien im Zusammenhang mit Formaldelikten nach dem LSD-BG die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe, die Kumulation von Strafen nach der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer und die Beachtung von Mindeststrafen unzulässig. Es stelle sich die Frage, ob diese Judikatur auch auf den gegenständlichen Fall einer geringfügigen Unterentlohnung Anwendung zu finden habe. Insbesondere widerspreche es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Strafen, wenn selbst bei geringfügigen Unterentlohnungen wie fallgegenständlich eine Mindeststrafe in der Höhe von EUR 1.000,00 vorgesehen sei. Ferner bringt die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit hinsichtlich der Strafbarkeit der angelasteten Unterentlohnung vor, das Verwaltungsgericht habe trotz Nachweises der vollständigen Entgeltnachzahlung im Beschwerdeverfahren durch den Revisionswerber nicht von der Verhängung einer Strafe abgesehen, womit es § 29 Abs. 3 LSD-BG unrichtig angewendet habe. In diesem Zusammenhang habe das Verwaltungsgericht ferner insofern zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, als der Revisionswerber in seiner Beschwerde dem Vorwurf der belangten Behörde entgegengetreten sei, er habe auf die Aufforderung zur Rechtfertigung nicht reagiert. Vielmehr habe der Revisionswerber bei der belangten Behörde angerufen und die Auskunft erhalten, er möge auf die Entscheidung warten. Im angefochtenen Erkenntnis sei auf diese Frage überhaupt nicht eingegangen worden.

134.2. Ad Spruchpunkt I. (Schuldspruch):

14Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

16Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17Das Zulässigkeitsvorbringen enthält keine auf den Schuldausspruch der Straferkenntnisse bezogenen Ausführungen. Insbesondere betreffen auch die Ausführungen zu § 29 Abs. 3 LSD-BG den Strafausspruch (vgl. zur Vorgängerbestimmung des § 7Abs. 6 AVRAG , Rn. 19). Somit werden vom Revisionswerber keine den Schuldspruch betreffenden Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weshalb die Revision in ihrem den Schuldausspruch betreffenden Umfang gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war.

184.3. Ad Spruchpunkt II. (Strafausspruch und Verfahrenskostenbeitrag):

19Der Verwaltungsgerichtshof hat hinsichtlich des Strafausspruches und der Auferlegung des Verfahrenskostenbeitrages erwogen:

20Die Revision erweist sich im Ergebnis als zulässig und begründet.

21Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ra 2019/11/0015, 0016, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt hat, wird durch die mit der Novelle BGBl. I Nr.174/2021 in den §§ 26 bis 28 und § 29 Abs. 1 LSD-BG vorgenommenen Änderungen klargestellt, dass - unabhängig von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer - nur mehr eine einzige Verwaltungsübertretung vorliegt, die mit einer einzigen Geldstrafe zu bestrafen ist. Gleichzeitig wird eine Höchstgrenze für diese Geldstrafe festgelegt, während die Untergrenze (Mindeststrafe) entfällt. Diese Bestimmung ist nach § 72 Abs. 10 letzter Satz der Novelle auf alle am - auch vor dem Verwaltungsgerichtshof - anhängigen Verfahren anzuwenden. Der Verwaltungsgerichtshof hat somit in bei ihm anhängigen Revisionsverfahren sämtliche angefochtenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte in Verwaltungsstrafsachen nach dem LSD-BG, unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Erlassung, am Maßstab der §§ 26 bis 28 und § 29 Abs. 1 LSD-BG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 zu prüfen (vgl. auch , 0034).

22Vor diesem Hintergrund erweist sich das angefochtene Erkenntnis in seinem Spruchpunkt II. als inhaltlich rechtswidrig, da es § 29 Abs. 1 LSD-BG idF der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 widerspricht, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

234.4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere §§ 50 und 52 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021110068.L00

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