VwGH vom 11.06.2014, 2013/22/0166
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2013/22/0216 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der N, vertreten durch die Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Schmiedgasse 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 322.424/2- III/4/13, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die Bundesministerin für Inneres (im Folgenden: Behörde) gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) die in erster Instanz mit Bescheid vom erfolgte Abweisung des Antrags der Beschwerdeführerin, einer kosovarischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus".
Die Behörde führte zunächst aus, die Beschwerdeführerin sei am gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist und habe (ebenso wie ihr Lebensgefährte) am einen Asylantrag gestellt. Die Asylanträge seien in erster Instanz am 24. bzw. negativ erledigt und es sei eine asylrechtliche Ausweisung erlassen worden. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom sei die eingebrachte Beschwerde der Beschwerdeführerin als verspätet zurückgewiesen worden. Die erstinstanzliche Ausweisung sei mit in Rechtskraft erwachsen. Die Berufung des Lebensgefährten sei "noch offen" und dieser verfüge seit über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz.
Am habe die Beschwerdeführerin eine Tochter geboren. Der für das minderjährige Kind am gestellte Asylantrag sei in erster Instanz verbunden mit einer Ausweisung negativ erledigt worden. Die Berufung dagegen sei ebenfalls noch anhängig.
Am habe die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 9 NAG eingebracht.
Laut aktuellem Melderegisterauszug seien die Beschwerdeführerin und ihr Lebensgefährte seit mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet, zuletzt an der Wohnadresse B-Straße 39, G. Die Beschwerdeführerin sei zu keinem Zeitpunkt während ihres Aufenthaltes in Österreich einer erlaubten Beschäftigung nachgegangen und könne daher keine Integration am österreichischen Arbeitsmarkt nachweisen. Sie habe zum Großteil aus der Grundversorgung gelebt und sei als Asylwerberin krankenversichert gewesen. Die Beschwerdeführerin sei im Kosovo geboren worden und habe dort bis zu ihrem siebenten Lebensjahr gelebt. Die Grundschule habe sie von 1993 bis 2000 in Deutschland besucht. Ihr Vater lebe in Deutschland, jedoch habe sie keinen Kontakt mehr zu ihm. Die Allgemeinbildende Höhere Schule habe sie von 2000 bis 2007 im Kosovo besucht.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark habe zu diesem Antrag gemäß § 41a Abs. 9 NAG am eine begründete Stellungnahme abgegeben, in der festgestellt worden sei, dass Bedenken gegen die Ausstellung des beantragten Aufenthaltstitels bestünden.
In ihrer Begründung ging die Behörde davon aus, dass die persönlichen Interessen der (knapp) dreijährigen Tochter in erster Linie von jenen der Eltern geprägt seien. Auch sei auf Grund des geringen Alters von einer hohen Anpassungsfähigkeit auszugehen. Hinsichtlich der Beschwerdeführerin seien zwar die positive Deutschprüfung auf dem Niveau A2 und die Einstellzusage bzw. der Vorvertrag zu berücksichtigen, jedoch sei der Verstoß gegen das Einwanderungsrecht zum Nachteil der Beschwerdeführerin in die Interessenabwägung einzubeziehen. Weiters erachtete es die Behörde als maßgeblich, dass die erstinstanzliche Abweisung der Asylanträge der Beschwerdeführerin und ihres Lebensgefährten bereits mit Bescheiden vom August 2009 erfolgt sei. Zum Zeitpunkt der Geburt der Tochter () hätten weder die Beschwerdeführerin noch ihr Lebensgefährte, unabhängig vom Ausgang des im Instanzenzug bekämpften Asylbescheides, mit einer weiteren Niederlassung in Österreich rechnen können.
Die Behörde führte weiters aus, dass die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" einen Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin und ihrer Familienangehörigen darstelle. Ein Eingriff in das Familienleben sei jedoch nicht gegeben, weil alle im Familienverband lebenden Angehörigen über keinen Aufenthaltstitel verfügen würden. Sohin gelangte die Behörde zum Ergebnis, dass keine berücksichtigungswürdigen Aspekte im Hinblick auf Art. 8 EMRK erkennbar seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass es sich beim vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall nicht um einen Übergangsfall nach dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
Weiters wird festgehalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 50/2012 richtet.
Gemäß § 41a Abs. 9 NAG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a NAG) oder auf begründeten Antrag (§ 44b NAG), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen wenn,
"1. kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt,
2. dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, und
3. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§14a) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt."
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ein schützenswertes Privat- und Familienleben vorliege. Diesbezüglich führt sie u.a. aus, sie sei gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten nach Österreich gekommen, lebe mit ihm in einer Lebensgemeinschaft und dieser sei auch der Vater der gemeinsamen Tochter. Sowohl ihr Lebensgefährte als auch die dreijährige Tochter würden über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung in Österreich verfügen, weil sich ihre Asylverfahren im Berufungsstadium befänden. Eine abweisende Entscheidung des Antrages, "mit der Konsequenz der Ausweisung aus dem Bundesgebiet", sei ein schwerwiegender Eingriff in ihr Familienleben. Dies müsse jedenfalls so lange angenommen werden, so lange nicht über die Berufungen ihres Lebensgefährten und ihrer Tochter gegen die erstinstanzlichen Bescheide der Asylbehörde entschieden worden sei. Entsprechende Feststellungen dazu seien dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:
Die Behörde hat nämlich bei der Bewertung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen und des entgegenstehenden Interesses der Beschwerdeführerin an der Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht ausreichend auf die familiäre Situation der Beschwerdeführerin Bedacht genommen. Die Behörde geht davon aus, dass kein Eingriff in das Familienleben vorliegt, weil keiner der im Familienverband lebenden Angehörigen der Beschwerdeführerin über einen Aufenthaltstitel verfüge.
Die Behörde nimmt in ihren Erwägungen jedoch nicht erkennbar darauf Bedacht, dass die Asylverfahren der Familienangehörigen der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht rechtskräftig beendet waren. Dass den Familienangehörigen der Beschwerdeführerin keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach asylrechtlichen Bestimmungen zugekommen wäre, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Ausgehend davon ist die Auffassung der Behörde, wonach im vorliegenden Fall durch die "Nichtgewährung" des Aufenthaltstitels nicht in ein Familienleben eingegriffen werde, für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar (vgl. das zu § 73 Abs. 2 NAG in der Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005 ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0403; siehe in diesem Zusammenhang weiters die - jeweils Ausweisungen betreffenden - hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2011/23/0176, und vom , Zl. 2009/21/0197).
Bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig ist, ist nämlich auch zu beachten, ob eine Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist bzw. ob auf Grund einer aus Asylgründen bedingten Trennung der Familie der Eingriff in das Familienleben als unzulässig zu werten wäre (vgl. die - jeweils die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln an Angehörige eines Asylberechtigten betreffenden - hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2013/22/0224, und vom , Zl. 2011/22/0081). Diese Aspekte hat die Behörde im Rahmen ihrer Interessensabwägung aber völlig unberücksichtigt gelassen und somit die Rechtslage in einem wesentlichen Punkt verkannt.
Da schon das Vorbringen zur Verletzung des Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK der Beschwerde zum Erfolg verhilft, musste auf die ins Treffen geführten Argumente betreffend eine Verletzung des Privatlebens nicht eingegangen werden.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG sowie § 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, iVm § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Das auf Ersatz der Eingabegebühr sowie des Verhandlungsaufwandes gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Beschwerdeführerin im Rahmen der Verfahrenshilfe von der Entrichtung der Eingabegebühr befreit worden ist bzw. eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht stattgefunden hat.
Wien, am