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VwGH vom 09.09.2013, 2013/22/0161

VwGH vom 09.09.2013, 2013/22/0161

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 156.263/9-III/4/13, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Ghana, ihm aus humanitären Gründen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurück.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am in das Bundesgebiet eingereist und habe am selben Tag beim Bundesasylamt einen Asylantrag eingebracht. Diesem Antrag sei letztlich vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom keine Folge gegeben worden.

Die Bundespolizeidirektion G habe mit Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer aufgrund seines unerlaubten Aufenthaltes eine Ausweisung erlassen. Eine gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung habe der Unabhängige Verwaltungssenat für das Land Steiermark mit Bescheid vom abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof habe die dagegen eingebrachte Beschwerde mit Beschluss vom zurückgewiesen (aus der hg. Datenbank ergibt sich, dass mit Beschluss vom , Zl. 2010/21/0163, die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom eingebrachte Beschwerde zurückgewiesen wurde; hingegen wurde die Behandlung der Beschwerde gegen den von der belangten Behörde erwähnten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für das Land Steiermark mit Beschluss vom , Zl. 2012/21/0210, abgelehnt).

Am habe der Beschwerdeführer den hier gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 43 Abs. 3 NAG eingebracht. Die Behörde erster Instanz habe diesen Antrag mit Bescheid vom abgewiesen und dies damit begründet, dass aus den Ausführungen des Beschwerdeführers kein maßgeblich geänderter Sachverhalt (iSd § 44b Abs. 1 Z 1 NAG) seit Erlassung der Ausweisung zu erkennen sei.

In der dagegen erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen eingewendet, er würde sich seit dem Jahr 2003 durchgehend im Bundesgebiet aufhalten und in seinem Heimatland über keine existentiellen Grundlagen mehr verfügen.

Liege bereits eine rechtskräftige Ausweisung vor - so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung - und sei aus dem begründeten Antragsvorbringen kein maßgeblich geänderter Sachverhalt ersichtlich, der einer Neubewertung im Hinblick auf Art. 8 EMRK bedürfe, könne die Behörde den Antrag zurückweisen. Schon die Behörde erster Instanz habe aus den Ausführungen des Beschwerdeführers keinen seit Erlassung der Ausweisung maßgeblich geänderten Sachverhalt erkannt. Allerdings sei in diesem Fall (gemäß § 44b Abs. 1 NAG) der Antrag nicht - wie in erster Instanz ausgesprochen - abzuweisen, sondern zurückzuweisen.

Ergänzend merkte die belangte Behörde noch an, der Beschwerdeführer habe mit Blick auf das unberechtigte Asylbegehren von Beginn an nicht darauf vertrauen dürfen, in Österreich bleiben zu können. Sein Aufenthaltsstatus habe sich somit stets als unsicher dargestellt. Die von ihm ins Treffen geführten Umstände seien in ihrer Gesamtheit nicht so außergewöhnlich, dass sie die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch Wahrung eines geordneten Fremdenwesens überwiegen könnten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 68/2013 richtet.

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 43 Abs. 3 NAG von Amts wegen (§ 44a NAG) oder auf begründeten Antrag (§ 44b NAG), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine "Niederlassungsbewilligung" zu erteilen, wenn

1. kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG vorliegt und

2. dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nach § 41a Abs. 9 NAG ist darüber hinaus erforderlich (gemäß der Z 3 des § 41a Abs. 9 NAG), dass der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 14a NAG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt.

Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG sind, wenn kein Fall des § 44a Abs. 1 NAG vorliegt, Anträge nach § 41a Abs. 9 und § 43 Abs. 3 NAG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Mit Blick auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen ist zunächst auszuführen, dass es sich nach dieser Bestimmung für die hier anzustellende Beurteilung, ob die von der belangten Behörde ausgesprochene Antragszurückweisung zu Recht erfolgte, als nicht weiter relevant darstellt, ob der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 9 oder § 43 Abs. 3 NAG gerichtet ist.

Die belangte Behörde gelangte zu dem Ergebnis, es liege - bezogen auf die seit der oben angeführten Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates für das Land Steiermark vergangenen Zeit - keine Sachverhaltsänderung im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG vor.

Der Sache nach ist der Zurückweisungsgrund des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet. Die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhalts als wesentlich anzusehen ist, können daher auch für die Frage, wann maßgebliche Sachverhaltsänderungen im Sinn des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG vorliegen, herangezogen werden.

Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides (bezogen auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/22/0114, mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2011/22/0035 bis 0039). Für diese Prognose ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2011/22/0133, und vom , Zl. 2012/22/0167).

Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner in seiner zu Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 idF vor dem FrÄG 2011 (BGBl. I Nr. 38) ergangenen, aber auch für Rückkehrentscheidungen nach § 52 Abs. 1 FPG (in der Fassung des FrÄG 2011) maßgeblichen Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass es zwar zutrifft, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Demgegenüber wurde in der Judikatur aber bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ausgegangen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise Ausweisungen (gemäß § 53 Abs. 1 FPG idF vor dem FrÄG 2011) auch nach so einem langen Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. etwa das zu einer Rückkehrentscheidung ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0027, sowie das darin zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0605, mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtslage vor dem FrÄG 2011, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0100).

Der Beschwerdeführer hält sich seit dem im Bundesgebiet auf; somit - anders als im Zeitpunkt der Rechtskraft der gegen ihn verfügten Aufenthaltsbeendigung - zum Zeitpunkt der Erlassung des (wie die belangte Behörde richtig erkannte: der Sache nach) die Zurückweisung aussprechenden erstinstanzlichen Bescheides (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunktes vgl. nochmals das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom ) mehr als zehn Jahre. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dessen Richtigkeit die belangte Behörde nicht in Abrede gestellt hat und das er durch die Vorlage einer Einstellungszusage und von Unterstützungserklärungen sowie eines Nachweises über den Besuch eines weiterführenden Deutschkurses (wenngleich er die den Kurs betreffend Erlangung von Deutschkenntnissen auf dem Niveau A2 abschließende Prüfung nicht bestanden hat) bescheinigt hat, ist zu entnehmen, dass er die Zeit seines Aufenthalts genutzt hat, um seine Integration in einer Weise voranzutreiben, sodass jedenfalls nicht vom gänzlichen Fehlen einer Integration gesprochen werden kann.

Vor diesem Hintergrund kann sich der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung der belangten Behörde, es sei beim nunmehr vorliegenden Sachverhalt selbst bei einer Gesamtbetrachtung eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK als nicht einmal zumindest möglich anzusehen, nicht anschließen (vgl. zu einem insoweit ähnlich gelagerten Fall das schon oben angeführte hg. Erkenntnis vom ).

Sohin erweist sich die von der belangten Behörde ausgesprochene Antragszurückweisung als rechtlich verfehlt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4, 5 und 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das den in § 1 Z 1 lit. a erster Fall der genannten Verordnung für den Ersatz von Schriftsatzaufwand vorgesehenen Betrag übersteigende Mehrbegehren war allerdings abzuweisen.

Wien, am