VwGH vom 07.05.2014, 2013/22/0137

VwGH vom 07.05.2014, 2013/22/0137

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der H, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 143.105/6- III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (im Folgenden kurz: Behörde) den Zweckänderungsantrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" gemäß § 45 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte sie aus, die Beschwerdeführerin habe am bei der erstinstanzlichen Behörde "einen Verlängerungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verbunden mit einem Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt-EG' eingebracht" (richtig:

einen Verlängerungsantrag, eingelangt bei der erstinstanzlichen Behörde am , und einen Zweckänderungsantrag, eingelangt bei der erstinstanzlichen Behörde am ). Dem Verlängerungsantrag sei bereits stattgegeben worden und eine Niederlassungsbewilligung, gültig von bis , erteilt worden. Der gegenständliche Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EG" sei von der erstinstanzlichen Behörde mit Bescheid vom gemäß § 45 Abs. 1 iVm § 14b Abs. 1 NAG abgewiesen worden, weil die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen dafür - den Nachweis von Deutschkenntnissen auf B1 Niveau (Modul 2 der Integrationsvereinbarung) - nicht erfüllt habe.

Aus dem Akteninhalt - so die Behörde weiter - ergebe sich, dass der Beschwerdeführerin am eine "Niederlassungbewilligung Privat - quotenfrei, § 19 Abs. 5 FrG" erteilt worden sei und sie laufend weitere Aufenthaltstitel erhalten habe. Zuletzt habe sie eine "Niederlassungsbewilligung - beschränkt", gültig bis , innegehabt, die anlässlich des Verlängerungsantrages vom bis verlängert worden sei.

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" gemäß § 45 Abs. 1 NAG, in der seit geltenden Fassung, sei die Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung.

Da die Beschwerdeführerin keinen Nachweis über Deutschkenntnisse auf Niveau B1 erbracht habe und auch die anderen Kriterien des § 14b Abs. 2 NAG auf sie nicht zuträfen, sei das Modul 2 der Integrationsvereinbarung nicht erfüllt worden.

Die Anwendung des § 14 iVm § 14b NAG (Modul 2 der Integrationsvereinbarung) stehe dem "Assoziationsabkommen EWG-Türkei/Assoziationsratsbeschluss 1/80 (ARB)" sowie der in dessen Art. 13 verankerten "Stillhalteklausel" nicht entgegen. Die Integrationsvereinbarung sei erstmalig mit der Fremdengesetznovelle 2002 eingeführt worden und mit Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 am dahingehend modifiziert worden, dass das Modul 2 dann erfüllt sei, wenn Deutschkenntnisse auf B1 Niveau vorlägen. Weiter führte die Behörde wörtlich aus:

"Mit Inkrafttreten des ARB in Österreich am (Beitritt Österreichs zur Europäischen Union) waren zwar demnach keine dem Modul 2 der Integrationsvereinbarung nach der derzeit geltenden Rechtslage entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen vorhanden, § 45 NAG und somit auch die Voraussetzung der Erfüllung des Modu(l)s 2 der Integrationsvereinbarung sind aber dennoch trotz 'Verschlechterungsverbots' uneingeschränkt auch auf türkische Staatsangehörige, für die die Stillhalteklausel gilt, anwendbar.

Einerseits ist das Modul 2 der Integrationsvereinbarung nicht im Fall des Erstzuzuges von türkischen Staatsangehörigen maßgeblich, andererseits ist dieses auch nur im Fall der Beantragung eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt - EG' gem. § 45 NAG bzw. eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger' gem. § 48 NAG zu erfüllen. Im Ergebnis kann daher in dieser Bestimmung keine neue Beschränkung gesehen werden, die bezweckt oder bewirkt, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs durch türkische Staatsangehörige strengeren Voraussetzungen unterworfen wird."

Die Beschwerdeführerin habe die gemäß § 45 Abs. 1 NAG vorgesehene Voraussetzung - Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung - nicht nachgewiesen, weshalb ihrem Zweckänderungsantrag nicht stattgegeben worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die Behörde erwogen:

Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichthof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 68/2013 richtet.

Gemäß § 45 Abs. 1 NAG kann Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen zur Niederlassung berechtigt waren, ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" erteilt werden, wenn sie 1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und 2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 14b) erfüllt haben. Das Modul 2 der Integrationsvereinbarung umfasst unter anderem einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 2 NAG.

Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom (im Folgenden: ARB 1/80) lauten:

"(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
-
nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
-
nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) ...

Artikel 13

Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen."

§ 4c Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG, in der hier

anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 78/1997, lautet:

"Türkische Staatsangehörige

§ 4c. (1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei - ARB - Nr. 1/1980 erfüllen.

(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."

Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie falle - als türkische Staatsangehörige - in den Anwendungsbereich des ARB 1/80; gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz ARB 1/80 sei bereits nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung "volle Arbeitnehmerfreizügigkeit" erreicht. Der Anspruch, den die Beschwerdeführerin daraus geltend machen könne, decke sich mit jenen Rechten, die sich aus dem Titel "Daueraufenthalt-EG" ergäben. Dieser Aufenthaltsstatus dürfe ihr nicht mit der Begründung verweigert werden, dass sie Deutsch auf A2 Niveau, aber nicht auf B1 Niveau beherrsche. Bezugnehmend auf die im Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen enthaltenen "Stand-Still-Klauseln" führte die Beschwerdeführerin aus, die Bestimmung des § 14b Abs. 1 NAG bzw. des § 45 Abs. 1 Z 2 NAG, die Sprachkenntnisse auf B1 Niveau zur Erlangung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EG" vorschreibe, sei als Verschärfung anzusehen. Die Beschwerdeführerin werde am Arbeitsmarkt dadurch eingeschränkt, dass ihr nur der Aufenthaltstitel "Niederlassungsbewilligung beschränkt" erteilt worden sei und dieser eine Beschäftigung nur in Verbindung mit einer Beschäftigungsbewilligung zulasse.

Der Beschwerdeführerin wurde - wie eingangs dargestellt - die gleichfalls beantragte Verlängerung der Niederlassungsbewilligung für ein weiteres Jahr, nämlich vom bis , erteilt. Auf Grund dieser Niederlassungsbewilligung war ihr, soweit sie die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB erfüllt, was sie in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz ARB in der Beschwerde ohne nähere Begründung behauptet, gemäß § 4c AuslBG von Amts wegen eine Beschäftigungsbewilligung zu erteilen (iZm Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz ARB) bzw. ein Befreiungsschein auszustellen (iZm Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz ARB). Vor diesem rechtlichen Hintergrund wurde die Beschwerdeführerin durch die Nichterteilung des auch beantragten Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EG" gemäß § 45 Abs. 1 NAG in ihrem Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt, den der ARB (u.a. Art. 13) schützt, nicht berührt bzw. beschränkt.

Die Beschwerde führt weiter zusammengefasst aus, durch die Schaffung der Integrationsvereinbarung sei ein besonderer Vertrauensschutz geschaffen worden; der österreichische Gesetzgeber hätte eine Übergangsregel nicht nur für das Modul 1 (in § 81 Abs. 16 und Abs. 17 NAG), sondern auch für das Modul 2 vorsehen müssen.

Dem ist allerdings zu erwidern, dass die Änderung der Voraussetzungen für die Erteilung bzw. Verlängerung fremdenrechtlicher Ansprüche keinen Bedenken hinsichtlich einer Verletzung des aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden "Vertrauensschutzes" begegnet (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0657, mit Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/09/0330). Dies gilt insbesondere auch dafür, dass der Gesetzgeber für den Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EG in § 45 Abs. 1 NAG idF des FrÄG 2011, BGBl. Nr. 38, mit im Zusammenhang mit der systematischen Änderung der Integrationsvereinbarung in § 14b NAG (betreffend Modul 2 der Integrationsvereinbarung) nunmehr Kenntnisse der Sprache auf B1-Niveau des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen als Kriterium vorsieht (siehe dazu die Erläuterungen 1078 BlgNR 24. GP 19). Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Antrag im Juli 2012 stellte, zu einem Zeitpunkt also, in dem die angeführte Neuerung des § 45 Abs. 1 NAG bereits ein Jahr in Geltung war.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich daher als nicht begründet und war mangels Verletzung der Beschwerdeführerin in den von ihr geltend gemachten Rechten gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Wien, am