VwGH vom 14.07.2021, Ra 2021/09/0019
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die außerordentliche Revision des A B in C, vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W156 2234599-1/4E, betreffend Versagung der Zulassung als Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit Bescheid vom versagte die gemäß § 20d Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) mit dem Antrag des Revisionswerbers, eines kosovarischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte“ befasste vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde die Zulassung als „sonstige Schlüsselkraft“ gemäß § 12b Z 1 AuslBG.
2Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die erforderliche Mindestpunkteanzahl gemäß Anlage C zum AuslBG von 55 Punkten nicht erreicht werde, da (insgesamt) nur 50 Punkte angerechnet werden könnten. Da die vom Revisionswerber vorgelegten Dokumente zur Berufserfahrung weder von den Unternehmen unterzeichnet bzw. bestätigt worden seien noch Tätigkeitsbeschreibungen bei den beiden Dienstgebern vorhanden gewesen wären, die in Zusammenhang zur beantragten Tätigkeit stünden, habe „der Nachweis der Berufserfahrung nicht berücksichtigt“ werden können.
3In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte vor, die belangte Behörde gehe aktenwidrig davon aus, dass die vorgelegten Dokumente zur Berufserfahrung nicht unterzeichnet seien. Dies widerspreche eindeutig dem Inhalt der vorliegenden Nachweise, die sowohl einen Stempel als auch eine Unterschrift aufwiesen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb diese Dokumente nicht geeignet sein sollten, die Berufserfahrung zu belegen.
4Mit Schreiben vom forderte das Bundesverwaltungsgericht den Revisionswerber auf, binnen zwei Wochen „geeignete Nachweise der Berufserfahrung, wie durch Auszug aus der Sozialversicherung oder Dienstzeugnisse“ vorzulegen. Die vorgelegten Urkunden seien aus näher dargestellten Gründen nicht geeignet, die Berufserfahrung nachzuweisen.
5Dieses Schreiben wurde - dem vorgelegten Gerichtsakt zufolge - versehentlich nicht abgefertigt.
6Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.
7Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass vom Revisionswerber weitere Unterlagen nicht vorgelegt worden seien bzw. zum Parteiengehör nicht Stellung genommen worden sei. Es seien keine geeigneten Nachweise betreffend die Berufserfahrung vorgelegt worden. Die vorgelegten Unterlagen seien nicht geeignet, eine Berufserfahrung nachzuweisen, zumal ein näher genanntes Dokument vom Revisionswerber eigenhändig ausgefüllt und unterfertigt worden sei und keinen behördlichen Stempel trage.
8Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich gewesen sei, weil der festgestellte Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erscheine und durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten gewesen sei. Es sei auch keine Frage der Beweiswürdigung aufgetreten, sodass dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehe.
9Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht fallunspezifisch mit dem Fehlen grundsätzlicher Rechtsfragen.
10Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentlichen Revision.
11Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.
12Die belangte Behörde erstattet eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
13Der Revisionswerber sieht die Zulässigkeit seiner Revision unter anderem darin gelegen, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewichen sei. Schon unter diesem Aspekt ist die Revision zulässig und auch begründet.
14Der vorliegende Fall gleicht sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht in seinen entscheidungswesentlichen Umständen insofern, als es sich beim Verfahren betreffend die Zulassung von Ausländern zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft um ein „civil right“ im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR , Jurisic und Collegium Mehrerau/Österreich, 62539/00, sowie EGMR , Coorplan-Jenni GmbH und Hascic/Österreich, 10523/02) handelt und die Parteien bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen grundsätzlich ein Recht darauf haben, dass ihre Angelegenheit in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird und hier weder ausschließlich rechtliche noch bloß hochtechnische Fragen zu klären waren, jenem Fall, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2015/09/0051, zu Grunde lag und auf dessen Begründung daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird (vgl. auch ; , Ra 2019/09/0119; , Ra 2018/09/0136).
15Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits wiederholt ausgesprochen, dass bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK gebotenen mündlichen Verhandlung keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen ist. Diese zu Art. 6 EMRK entwickelte Rechtsprechung findet in gleicher Weise für das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung Anwendung (vgl. auch dazu ; , Ra 2019/09/0119).
16Anders als das Bundesverwaltungsgericht annahm, wurden vom Revisionswerber im Verfahren auch Tatsachenfragen aufgeworfen, die einer Behandlung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bedurft hätten. So hat der Revisionswerber - wie er auch in seiner Revision geltend macht - bereits in seiner Beschwerde die Beweiswürdigung der belangten Behörde zu den vorgelegten Urkunden zur Berufserfahrung bekämpft und das Bundesverwaltungsgericht insofern eigene beweiswürdigende Überlegungen angestellt. Wenn das Verwaltungsgericht eine zusätzliche, die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzende Beweiswürdigung vornimmt, hat eine ergänzende Beweiswürdigung aber regelmäßig erst nach Durchführung einer Verhandlung zu erfolgen (vgl. , mwN). Entgegen der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses wurde dem Revisionswerber auch nicht etwa schriftliches Parteiengehör eingeräumt, zumal das Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom unstrittig nicht zugestellt wurde.
17Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
18Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021090019.L00 |
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