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VwGH 26.01.2022, Ra 2021/08/0152

VwGH 26.01.2022, Ra 2021/08/0152

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
AVG §45 Abs2
VwGVG 2014 §24
RS 1
Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. einander widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (; , Ra 2016/08/0007).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/08/0251 E RS 2
Normen
ASVG §111
ASVG §113
ASVG §33
AVG §38
RS 2
Die Beurteilung im Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG kann für das Beitragszuschlagsverfahren keine Bindungswirkung entfalten; vielmehr ist in beiden Verfahren unabhängig voneinander die Vorfrage des Vorliegens einer gemäß § 33 ASVG meldepflichtigen Beschäftigung zu klären (vgl. idS etwa , mwN).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Dr. J, vertreten durch Dr. Michael E. Sallinger und Dr. Christof Rampl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , I412 2238785-1/8E, betreffend Beitragszuschlag nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof einer Revision auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegen stehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

2 Um die vom Gesetzgeber bei einer Entscheidung über die aufschiebende Wirkung geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. den hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 10.381/A) erforderlich, dass der Antragsteller - unabhängig vom notwendigen Fehlen eines zwingenden öffentlichen Interesses - konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt. Im Fall der Auferlegung von Geldleistungen ist es notwendig, die im Zeitpunkt der Antragstellung bezogenen Einkünfte sowie Vermögensverhältnisse (unter Einschluss der Schulden nach Art und Ausmaß) konkret - tunlichst ziffernmäßig - anzugeben; weiters sind Angaben dazu erforderlich, welcher Vermögensschaden durch welche Maßnahme droht und inwiefern dieser Schaden im Hinblick auf die sonstigen Vermögensumstände der revisionswerbenden Partei unverhältnismäßig ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , AW 2010/08/0003).

3 Mit dem zur Begründung des vorliegenden Antrags erstatteten Vorbringen, dass der (mit dem angefochtenen Erkenntnis vorgeschriebene) Beitrag zwar bezahlt werden könne, wenn er sofort eingehoben werde, dass es jedoch eine „zumutbare Entlastung wäre“, zunächst einmal die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes abzuwarten, wird ein unverhältnismäßiger Nachteil des Revisionswerbers nicht dargetan.

4 Dem Antrag war daher nicht Folge zu geben.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Dr. J B in V, vertreten durch Sallinger & Rampl Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Sillgasse 21/III, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , I412 2238785-1/8E, betreffend Vorschreibung von Beitragszuschlägen nach § 113 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Österreichische Gesundheitskasse hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis schrieb das Bundesverwaltungsgericht der Revisionswerberin - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung - im Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) einen Beitragszuschlag in der Höhe von € 1.400,-- vor. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2 Das Bundesverwaltungsgericht stellte aufgrund des Akteninhalts fest, dass Organe der Finanzpolizei am um 11:40 Uhr eine Kontrolle auf einer Baustelle des Revisionswerbers durchgeführt hätten, wo sie zwei Personen (nämlich MR und AT) bei der Arbeit angetroffen hätten, welche vom 12. bis zum 13. (MR) beziehungsweise bis zum  (AT) für den Revisionswerber tätig und geringfügig beschäftigt gewesen seien. Eine Meldung zur Sozialversicherung sei erst nach der Kontrolle durch die Finanzpolizei am , um 13:12 Uhr verspätet erstattet worden. Es habe sich um den ersten Meldeverstoß des Revisionswerbers gemäß § 113 Abs. 1 ASVG gehandelt.

3 Das Bundesverwaltungsgericht begründete diese Feststellungen näher in einer Beweiswürdigung, in der es sich unter anderem mit dem Beschwerdevorbringen des Revisionswerbers auseinandersetzte, wonach der Revisionswerber davon ausgegangen sei, dass AT „als selbstständiges Unternehmen“ beauftragt worden sei und zur Tatzeit um 08:00 Uhr niemand auf der Baustelle gearbeitet habe.

4 In seiner rechtlichen Würdigung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass „unstrittig“ sei, dass die genannten Personen „für“ den Revisionswerber „tätig“ gewesen seien. Der Revisionswerber sei somit Dienstgeber im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG und als solcher verpflichtet gewesen, die Anmeldung zur Pflichtversicherung rechtzeitig und auf die richtige Weise vorzunehmen. Auf ein Verschulden des Dienstgebers komme es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Frage, ob ein Beitragszuschlag verhängt wird, nicht an. Im vorliegenden Fall habe der Revisionswerber die angeführten Dienstnehmer entgegen der sich aus § 33 ASVG ergebenden Verpflichtung nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung gemeldet. Es liege das typische Bild eines Meldeverstoßes im Sinn des § 113 Abs. 1 ASVG vor. Die Höhe des Beitragszuschlages setze sich im Fall der nicht rechtzeitig erstatteten Anmeldung zur Pflichtversicherung gemäß § 113 Abs. 2 ASVG aus zwei Teilbeträgen zusammen, mit denen die Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz pauschal abgegolten würden. Der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung belaufe sich auf € 400,-- je nicht vor Arbeitsantritt angemeldeter Person; der Teilbetrag für den Prüfeinsatz auf € 600,--. Bei erstmaliger verspäteter Anmeldung mit unbedeutenden Folgen könne der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung entfallen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz bis auf € 300,-- herabgesetzt werden. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen könne auch der Teilbetrag für den Prüfeinsatz entfallen.

5 Unbedeutende Folgen seien nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs etwa dann gegeben, wenn sie hinter dem typischen Bild eines Meldeverstoßes zurückblieben, beispielsweise wenn die Anmeldung zwar verspätet erfolgt, im Zeitpunkt der Durchführung der Kontrolle aber bereits vollzogen gewesen sei (also entgegen dem typischen Regelfall feststehe, dass Schwarzarbeit nicht intendiert gewesen sei; Hinweis auf ). Da im vorliegenden Fall im Rahmen der Kontrolle der Finanzpolizei zwei Personen angetroffen worden seien, für die noch keine Anmeldung zur Pflichtversicherung erfolgt sei, könne nicht von unbedeutenden Folgen gesprochen werden, vielmehr sei das typische Bild eines Meldeverstoßes gegeben. Ebenso liege kein besonders berücksichtigungswürdiger Fall vor, der den Entfall des Teilbetrages für den Prüfeinsatz rechtfertige.

6 Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass „der entscheidungsrelevante Sachverhalt aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde sowie dem weiteren Vorbringen“ erwiesen erscheine und sich die Entscheidung ergänzend auch auf die Ergebnisse einer Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht im Verwaltungsstrafverfahren nach dem ASVG stützen könne.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Einleitung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

8 Zur Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber unter anderem die Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht geltend. Die Revision erweist sich aus dem genannten Grund als zulässig und berechtigt.

9 Aufgrund des in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gestellten Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durfte das Bundesverwaltungsgericht nach § 24 Abs. 4 VwGVG von der Verhandlung nur dann absehen, wenn die Akten hätten erkennen lassen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstanden (vgl. , 0071).

10 Der dem angefochtenen Bescheid der ÖGK zugrunde gelegten Sachverhaltsannahme, dass (unter anderem) die Personen MR und AT bei der Kontrolle „bei der Arbeit angetroffen“ worden seien und es sich dabei um „Dienstnehmer“ gehandelt habe, ist der Revisionswerber in der Beschwerde mit dem Vorbringen entgegengetreten, dass Herr AT „als selbständiges Unternehmen damit beauftragt“ worden sei, „die Bodenlegerarbeiten auszuführen“, so jedenfalls sei es „die Annahme“ des Revisionswerbers gewesen. Er sei dann „am um ca. 08 Uhr auf der Baustelle“ gewesen, „um zu besprechen“. Es habe zu den im angefochtenen Bescheid angeführten Zeiten „niemand gearbeitet“, es habe auch keine Leistungen gegeben und „keine Arbeit, bei der man jemand betreten konnte“. Damit ist der Revisionswerber den für die rechtliche Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens einer Pflichtversicherung des MR und des AT (und deren „unmittelbarer Betretung“ iSd. § 113 Abs. 2 ASVG) maßgeblichen Sachverhaltsannahmen substantiiert entgegengetreten. Vor diesem Hintergrund lagen im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht vor. Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. widersprechender prozessrelevanter Behauptungen - wie hier vorliegend - zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichtes, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. zB , mwN). Im Hinblick auf das Unmittelbarkeitsprinzip durfte das Bundesverwaltungsgericht auch nicht auf die Ergebnisse der im Verwaltungsstrafverfahren durchgeführten Verhandlung zurückgreifen. Im Übrigen trifft es - anders als der Revisionswerber zu meinen scheint - nicht zu, dass die Beurteilung im Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG für das Beitragszuschlagsverfahren Bindungswirkung entfalten könnte; vielmehr ist in beiden Verfahren unabhängig voneinander die Vorfrage des Vorliegens einer gemäß § 33 ASVG meldepflichtigen Beschäftigung zu klären (vgl. idS etwa , mwN).

11 Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der Ersatz einer Eingabengebühr kommt im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG nicht in Betracht.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Norm
VwGG §30 Abs2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080152.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAE-88456