TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 09.09.2013, 2013/22/0117

VwGH vom 09.09.2013, 2013/22/0117

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Banu Kurtulan, Rechtsanwältin in 1020 Wien, Praterstraße 66/4/41, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 908/05, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom , mit dem sein Antrag auf Aufhebung des gegen ihn mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom verhängten, unbefristeten Aufenthaltsverbotes abgewiesen worden war, keine Folge.

Begründend führte sie aus, dass sich der Beschwerdeführer laut eigenen Angaben seit 1973 mit Unterbrechungen in Österreich aufhalte; aktenkundig seien zumindest Sichtvermerke von 1979 bis 1993. Einem Auszug der Wiener Gebietskrankenkasse zufolge sei er - mit einer Unterbrechung von sechs Jahren - von April 1973 bis Dezember 1998 in Österreich versichert gewesen.

Dem Aufenthaltsverbot sei zum einen zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen des Vergehens des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer eineinhalbmonatigen, bedingten Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sei. Die Verurteilung sei erfolgt, weil der Beschwerdeführer im Mai und Juni 1993 durch Vorgabe, Wohnungen beschaffen zu können, einen Dritten zur Herausgabe von ÖS 35.000,--

verleitet habe.

Zum anderen sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB sowie der Vergehen des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB und der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe (nach Erhöhung durch das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom ) in der Dauer von fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer im Juli und September 1996 bei zwei Gelegenheiten jeweils einem Dritten Betäubungsmittel verabreicht und in der Folge aus der jeweiligen Wohnung des Opfers Bargeld und sonstige Gegenstände im Wert von einmal ca. ÖS 35.000,-- bzw. im anderen Fall von ca. ÖS 28.000,-- an sich genommen habe. Zudem habe er im Juli 1993 gemeinsam mit einem Mittäter einen Dritten zur Zahlung eines Ablösebetrages von ÖS 50.000,-- für eine Wohnung veranlasst, obwohl sie nicht zur Weitergabe der Wohnung berechtigt gewesen seien. Weiters habe er im Juni 1993 einen geleasten, im Eigentum der P. AG stehenden PKW zum Verkauf angeboten und unter Vortäuschung seiner Verfügungsbefugnis nach Vereinbarung eines Kaufpreises eine Anzahlung von ÖS 50.000,-- entgegengenommen.

Nach Verbüßung der Strafhaft sei der Beschwerdeführer am in seine Heimat abgeschoben worden.

In seinem am gestellten Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass sich seine Ehegattin, seine drei Kinder - allen vieren sei mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden - und sein Bruder in Österreich befänden. Nach Verbüßung der Strafhaft und Abschiebung in seine Heimat habe er seine Lebenseinstellung geändert und keine strafbaren Handlungen mehr begangen. Seine Abwesenheit würde zu einer psychischen Belastung seiner gesamten Familie führen. Weiters habe er auf eine Bestätigung verwiesen, wonach er bei einer Wiedereinreise in Österreich eine Arbeit aufnehmen könne.

Nach Verweis auf die Anwendbarkeit des am in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) und Wiedergabe der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen Folgendes aus:

Da die Ehefrau des Beschwerdeführers, welche dem Akteninhalt zufolge seit die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe, sei der Beschwerdeführer nicht begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd "§§ 2 Abs. 4 Z 11 und 9 Abs. 1 Z 1 FPG". Der Beschwerdeführer sei jedoch Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 12 FPG, weshalb gemäß § 87 FPG die §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG anwendbar seien.

In Anbetracht des schwerwiegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers bestehe nach Auffassung der belangten Behörde kein Zweifel daran, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes iSd "§ 60 Abs. 1 FPG bzw. § 86 FPG nach wie vor gerechtfertigt" sei. Die von ihm ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sei "auch derzeit so schwerwiegend, dass sich die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen auch gegenwärtig als dringend geboten und sohin zulässig erweisen" müsse. In Anbetracht seiner schwerwiegenden Verfehlungen sei der "seit der Begehung der letzten Straftat bzw. seit seiner Entlassung aus der Strafhaft im November 2001 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichene Zeitraum noch definitiv zu kurz", um auf einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen schließen zu können. Das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers stelle auch derzeit noch eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit (insbesondere die körperliche Integrität und das Eigentum Dritter) dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft iSd § 86 Abs. 1 FPG berühre.

Soweit der Beschwerdeführer im Hinblick auf § 66 FPG geltend mache, auf Grund des Aufenthaltsverbotes nicht mit seiner Familie im Bundesgebiet zusammenleben zu können, sei ihm zu entgegnen, dass diese in Anbetracht der besagten maßgeblichen öffentlichen Interessen in Kauf zu nehmende Einschränkung keine relevante Änderung seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes darstelle, sondern vielmehr eine Folge des Aufenthaltsverbotes sei. Daran vermöge auch die zwischenzeitige Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an seine Familienangehörigen nichts zu ändern.

Da der Beschwerdeführer sohin nicht darlegen habe können, dass die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes führenden Gründe nunmehr weggefallen seien, sei der Berufung keine Folge zu geben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.

Zunächst ist auf die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 3 FPG zu verweisen, wonach Aufenthaltsverbote, deren Gültigkeitsdauer bei Inkrafttreten des FPG (am ) noch nicht abgelaufen war, als nach dem FPG erlassene Aufenthaltsverbote mit derselben Gültigkeitsdauer gelten. Dies trifft auf das gegenständliche Aufenthaltsverbot zu.

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Ein darauf abzielender Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben. Bei Fremden, die seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes - wie der Beschwerdeführer - die Stellung eines Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) eines Österreichers erlangt haben, ist überdies zu beachten, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes nur im Grunde des § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG zulässig ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0321, mwN).

Nach der hg. Rechtsprechung kommt es bei dieser Beurteilung darauf an, ob eine Gefährlichkeitsprognose dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes (oder Rückkehrverbotes) erforderlich ist, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige oder erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig (vgl. dazu das - die Aufhebung eines Rückkehrverbotes betreffende - hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0237, mwN).

Für die Beantwortung der Frage, ob diese Annahme gerechtfertigt ist, ist demnach zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. erneut das soeben zitierte Erkenntnis Zl. 2008/18/0237).

Der Beschwerdeführer verweist in seiner Beschwerde insbesondere auf sein Wohlverhalten seit der Haftentlassung und moniert, dass sich die belangte Behörde mit dieser Änderung nicht beschäftigt habe. Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu:

Auch wenn die Straftaten des Beschwerdeführers in keiner Weise verharmlost werden können und der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach der ersten Verurteilung einschlägig rückfällig geworden ist, zu beachten ist, so ist doch zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides seit der letzten Straftat mehr als 13 Jahre und seit der Entlassung aus der Strafhaft mehr als acht Jahre vergangen sind und dass sich der Beschwerdeführer seitdem wohlverhalten hat. Die belangte Behörde hat weder ein danach gesetztes strafrechtliches Fehlverhalten des Beschwerdeführers noch ein fremdenrechtliches Fehlverhalten (wie etwa einen Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot) festgestellt.

Die belangte Behörde hat - allerdings ohne näheres Eingehen auf den dargestellten erheblichen Zeitraum des Wohlverhaltens - die Auffassung vertreten, dass der "bis zur Erlassung des angefochtenen (somit des erstinstanzlichen) Bescheides" verstrichene Zeitraum definitiv zu kurz sei. Dazu ist zunächst anzumerken, dass sich der Zeitraum des maßgeblichen Wohlverhaltens nicht nach der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides, sondern nach der Erlassung des Bescheides durch die belangte Behörde bemisst. Die belangte Behörde hat - ungeachtet dessen, dass das Berufungsverfahren knapp fünf Jahre gedauert hat - auch nicht näher begründet, wieso sie zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung immer noch eine vom Beschwerdeführer ausgehende, gegenwärtige und den - im Hinblick auf seine nunmehrige Eigenschaft als Familienangehöriger anzuwendenden - erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 86 Abs. 1 FPG erfüllende Gefährdung angenommen hat.

Angesichts dessen, dass das - wenn auch gravierende - Fehlverhalten des Beschwerdeführers bereits mehr als 13 Jahre zurücklag, vermag der Verwaltungsgerichtshof die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, vom Beschwerdeführer gehe "auch derzeit noch" eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 86 Abs. 1 FPG aus, nicht zu teilen. Im vorliegenden Fall hat sich die dem Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Prognose einer fortwährenden Gefährdung über einen - beginnend mit der Haftentlassung - Zeitraum von mehr als acht Jahren nicht erfüllt und kann daher nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. etwa auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2010/21/0110, und vom , Zl. 2010/22/0089).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am