Suchen Hilfe
VwGH vom 03.10.2013, 2013/22/0114

VwGH vom 03.10.2013, 2013/22/0114

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des J, vertreten durch den Sachwalter Mag. S, dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Hamerlingplatz 7/14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FRG/5/576/2010-4, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen tschechischen Staatsangehörigen, der an einer psychischen Erkrankung leidet und für den ein Sachwalter u.a. zur Vertretung vor Gerichten und Behörden bestellt ist, gemäß § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dem Aufenthaltsverbot lagen mehrere Verurteilungen des Beschwerdeführers - überwiegend wegen Eigentumsdelikten - im Zeitraum zwischen 1997 und 2008 zugrunde. Die Zustellung des Bescheides erfolgte nach dem im Verwaltungsakt befindlichen Rückschein an den Beschwerdeführer "zH. d. Bevollmächtigten Mag. (T.S.)" eigenhändig an einer näher bezeichneten Anschrift.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers als verspätet zurück. In ihrer Begründung führte sie aus, dass der erstinstanzliche Bescheid "durch die Post am zugestellt und vom Vertreter des (Beschwerdeführers) persönlich übernommen" worden sei. Die Rechtsmittelfrist habe daher am geendet, die Berufung sei aber laut Poststempel erst am eingebracht worden. Daher sei die Berufung ohne Eingehen auf die Berufungsausführungen als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, dass die am eingebrachte Berufung rechtzeitig erfolgt sei, weil die eigenhändige Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides erst am durch persönliche Übernahme durch den Sachwalter T.S. erfolgt sei. Der Sachwalter sei am zum Zeitpunkt der versuchten Zustellung nicht mehr an der Abgabestelle aufhältig gewesen. Der Zusteller habe das Dokument im Sekretariat hinterlassen, der Sachwalter habe das Dokument aber erst am übernommen und an diesem Tag sei auch der unterschriebene Rückschein vom Zusteller abgeholt worden. Der Datumsvermerk auf dem Rückschein () stamme jedenfalls nicht vom Sachwalter, sondern dürfte durch den Zusteller erfolgt sein. Zwar sei der Rückschein eine öffentliche Urkunde, die die Vermutung der Echtheit und der Richtigkeit begründe, allerdings sei der Gegenbeweis zulässig. Als mögliche Beweismittel für den geschilderten Ablauf der Geschehnisse wurden die Vernehmung des Zustellers, des Sachwalters und einer näher bezeichneten Sekretariatsmitarbeiterin ins Treffen geführt. Ausgehend davon hätte die belangte Behörde die Berufung nicht als verspätet zurückweisen dürfen.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Rechtsfrage, ob eine Berufung rechtzeitig oder verspätet eingebracht wurde, auf Grund von Tatsachen zu entscheiden, welche die Behörde festzustellen hat. Dabei ist der Partei gemäß § 45 Abs. 3 AVG Gelegenheit zu geben, vom Ermittlungsergebnis Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Die Verletzung dieser Verfahrensvorschrift führt zu einem rechtserheblichen Verfahrensmangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei dessen Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/02/0286, mwN; siehe auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/05/0102).

Weder die Bescheidbegründung noch der vorgelegte Verwaltungsakt enthalten Anhaltspunkte dafür, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides Gelegenheit gegeben hat, zu der im Rückschein dokumentierten, aber widerlegbaren Vermutung des Zeitpunktes der Zustellung Stellung zu nehmen.

Im Hinblick auf das näher begründete und durch entsprechende Beweisanbote gestützte Vorbringen des Beschwerdeführers, die eigenhändige Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei erst mit rechtswirksam erfolgt, ist dieser Verfahrensfehler auch relevant, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei einer Einräumung von Parteiengehör zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am

Fundstelle(n):
HAAAE-88444