VwGH vom 23.11.2010, 2009/06/0081

VwGH vom 23.11.2010, 2009/06/0081

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Beschwerde


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1.
des Dipl. Ing. K K, 2. der C B, 3. der Mag. E L, 4. der M L,
5.
der A D und 6. der H G, alle in X, alle vertreten durch Tögl Maitz Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in 8010 Graz, Schmiedgasse 31, gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom , Zl. 077918/2004-38, betreffend Nachbareinwendungen im Bauverfahren (mitbeteiligte Partei: Dr. K K in X, vertreten durch Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6; weitere Partei:
Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte kann auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/06/0050, verwiesen werden. Gegenstand des damaligen - wie des vorliegenden - Beschwerdeverfahrens ist das auf Antrag des Mitbeteiligten eingeleitete baurechtliche Bewilligungsverfahren betreffend die Errichtung einer Außenaufzugsanlage im Hof des Gebäudes N-Gasse 6 (auf Grund einer Änderung im Berufungsverfahren) mit den Ausmaßen von 1,85 m Tiefe und 2,0 m Breite, wobei diese Liftanlage zur nördlichen Grenze des Nachbargrundstückes der Beschwerdeführer lediglich einen Grenzabstand von 7,07 m statt eines Grenzabstandes gemäß § 13 Abs. 2 Stmk. BauG von 9,0 m aufweist. Die Beschwerdeführer sind Miteigentümer des nördlich an das eine Baugrundstück Nr. 1229/2 angrenzenden Grundstückes Nr. 1225/1, KG St. L.

Die belangte Behörde erteilte diesem im Berufungsverfahren verkleinerten Liftvorhaben mit Bescheid vom die baurechtliche Bewilligung. Sie qualifizierte den verfahrensgegenständlichen Liftschacht als vorspringenden Bauteil im Sinne des § 4 Z. 29 Stmk. BauG. Der Verwaltungsgerichtshof hob diesen Bescheid mit dem angeführten Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf und vertrat die Ansicht, dass dieser vom Boden hochgeführte Liftschacht im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum vorspringenden Bauteil nicht als ein solcher qualifiziert werden könne, weshalb diese Liftanlage gegen die Bestimmung betreffend die Einhaltung des Grenzabstandes gemäß § 13 Abs. 2 Stmk. BauG verstoße.

Die belangte Behörde erteilte mit dem angefochtenen Bescheid der beantragten Errichtung der angeführten Aufzugsanlage im Hof des Gebäudes N-Gasse 6 auf der Grundlage der im Berufungsverfahren geänderten Pläne unter Auflagen die baurechtliche Bewilligung. Sie führte dazu im Wesentlichen aus, dass mit der Novelle zum Baugesetz LGBl. Nr. 27/2008 § 13 Abs. 8 Stmk. BauG insofern geändert worden sei, als die Behörde nunmehr auch geringere Abstände von den Nachbargrundgrenzen und Nachbargebäuden für barrierefrei (§ 4 Z. 5) ausgebildete Außenaufzugsanlagen zur Personenbeförderung als Zubau zu bestehenden Gebäuden zulassen könne. Gemäß § 119 f Stmk. BauG, wonach die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle LGBl. Nr. 27/2008 anhängigen Verfahren nach den bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle geltenden Bestimmungen zu Ende zu führen seien, normiere u. a. betreffend § 13 Abs. 8 Stmk. BauG eine Ausnahme.

Es sei zu prüfen, ob es sich im vorliegenden Fall um eine barrierefrei ausgebildete Aufzugsanlage zur Personenbeförderung als Zubau zu einem bestehenden Gebäude handle. Die gegenständliche Anlage diene der Personenbeförderung und stelle einen Zubau, also eine Vergrößerung des bestehenden Gebäudes der Breite nach dar. Die Aufzugsanlage selbst sei im Sinne des § 4 Z. 5 Stmk. BauG barrierefrei ausgebildet und ermögliche behinderten Menschen, die an einen Rollstuhl gebunden seien, einen barrierefreien Zugang zu den einzelnen Geschoßen des Wohnhauses.

Zum Vorbringen der Beschwerdeführer, dass die Aufzugsanlage nicht barrierefrei ausgebildet sei, da der Lift erst im Halbstock beginne, sei festzustellen, dass die im Hofbereich geplante Aufzugsanlage selbst, wie bereits ausgeführt, barrierefrei ausgebildet sei und der Zugang von der Verkehrsfläche N-Gasse zum Innenhof über das Stiegenhaus vom Bauwerber durch Treppenlifte, Rampen oder Rampenschienen, also durch bewilligungsfreie innere Umbauten nach § 21 Stmk. BauG, barrierefrei ausgebildet werden könne, sodass die Erreichbarkeit der Aufzugsanlage für behinderte Personen sichergestellt sei.

Um die Erreichbarkeit des Dachgeschoßes auch für behinderte Menschen zu gewährleisten - das sei das Motiv des Gesetzgebers bei Erlassung der genannten Ausnahmebestimmung gewesen -, sei die Errichtung der gegenständlichen Aufzugsanlage als Zubau zum Gebäude N-Gasse 6 in einem geringeren Abstand zur Grundgrenze der Nachbarn zulässig.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im vorliegenden Beschwerdefall kommt das Stmk. BauG, LGBl. Nr. 59/1995 (Stmk. BauG), in der Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 27/2008 zur Anwendung, ausgenommen § 13 Abs. 8 und § 85 Stmk. BauG (gemäß der Übergangsbestimmung § 119f der angeführten Novelle).

Gemäß § 4 Z. 5 Stmk. BauG bedeutet Barrierefreiheit die bauliche Gestaltung, die notwendig ist, um die unterschiedlichen physischen Möglichkeiten aller Menschen in der gebauten Umwelt besser berücksichtigen zu können.

Gemäß § 13 Abs. 2 Stmk. BauG muss jede Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrenze errichtet wird, von dieser mindestens so viele Meter entfernt sein, wie die Anzahl der Geschoße, vermehrt um zwei, ergibt (Grenzabstand).

Gemäß Abs. 8 dieser Bestimmung in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 27/2008 kann die Behörde geringere Abstände von den Nachbargrundgrenzen und Nachbargebäuden u.a. zulassen

"- für barrierefrei (§ 4 Z. 5) ausgebildete Außenaufzugsanlagen zur Personenbeförderung als Zubau zu bestehenden Gebäuden."

Die Beschwerdeführer rügen zunächst zu Recht die Überlegung im angefochtenen Bescheid, dass die Berufungsbehörde die Frage zu beantworten habe, ob der geplante Liftschacht mit einer Tiefe von 1,85 m als ein vor die Außenwandfläche eines Gebäudes vorspringender Gebäudeteil in einem gewöhnlichen Ausmaß oder als abstandsrelevante Gebäudefront anzusehen sei. Die belangte Behörde ist auf diese Frage, die bereits mit dem angeführten hg. Erkenntnis beantwortet worden ist, jedoch in der Folge nicht mehr eingegangen und hat sich zutreffend auf die im vorliegenden Beschwerdefall maßgeblich geänderte Rechtslage betreffend § 13 Abs. 8 Stmk. BauG in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 27/2008 gestützt. Die Bindungswirkung an ein aufhebendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes findet in einer maßgeblichen Änderung der Sach- oder Rechtslage in dem für die Behörde, die den Ersatzbescheid zu erlassen hat, diesbezüglich maßgeblichen Zeitpunkt ihre Grenze (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/21/0270, und Mayer, B-VG4, Kommentar, S. 888f, Pkt. III zu § 63 VwGG).

Nach Ansicht der Beschwerdeführer führe die belangte Behörde selbst aus, dass eine Barrierefreiheit zum gegenständlichen Zeitpunkt tatsächlich nicht bestehe. Es könne lediglich in der Zukunft eine Barrierefreiheit möglicherweise erreicht werden. Eine Barrierefreiheit der Aufzugsanlage sei zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht gegeben gewesen.

Dieses Vorbringen ist zielführend. § 13 Abs. 8 Stmk. BauG in der Fassung der angeführten Novelle LGBl. Nr. 27/2008 stellt auf barrierefrei (§ 4 Z. 5) ausgebildete Außenaufzugsanlagen zur Personenbeförderung ab; nur derartige Anlagen muss der Nachbar im Abstandsbereich hinnehmen. Unter Barrierefreiheit ist gemäß § 4 Z. 5 Stmk.BauG die bauliche Gestaltung zu verstehen, die notwendig ist, um die unterschiedlichen physischen Möglichkeiten aller Menschen in der gebauten Umwelt besser berücksichtigen zu können. Im systematischen Zusammenhang dieser beiden Bestimmungen und auch vom Zweck der Regelung des § 13 Abs. 8 Stmk. BauG her muss der Begriff der barrierefrei ausgebildeten Außenaufzugsanlage auch auf ihre Zugänglichkeit bezogen werden. § 13 Abs. 8 Stmk. BauG steht ohne Frage im Interesse behinderter Menschen. Nach den Gesetzesmaterialien (für § 13 Abs. 8 Stmk. BauG war der Initiativantrag EZ. 1662/1, XV. GP des Stmk. Landtages maßgeblich) muss ein solcher Aufzug die Beförderung zumindest einer Person im Rollstuhl zulassen. Stellte man dabei nicht auch auf seine Zugänglichkeit für einen behinderten Menschen mit Rollstuhl ab, führte dies zu dem Ergebnis, dass eine für einen Rollstuhlfahrer nicht zugängliche Aufzugsanlage rein theoretisch eine Größe hat, dass eine Person im Rollstuhl befördert werden kann. Dass der Gesetzgeber dies gewollt hätte, kann ihm nicht zugesonnen werden. Von einer barrierfrei ausgebildeten Aufzugsanlage kann daher nur gesprochen werden, wenn auch ihre Zugänglichkeit barrierefrei möglich ist. Dies ist im vorliegenden Fall unbestritten nicht gegeben. Die Beschwerdeführer wurden daher in ihrem Nachbarrecht auf Einhaltung des Grenzabstandes gemäß § 13 Stmk. BauG verletzt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am