VwGH vom 03.12.2021, Ra 2021/07/0071

VwGH vom 03.12.2021, Ra 2021/07/0071

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler, Mag. Haunold, Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des K B in B, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , Zl. LVwG-327-2/2021-R6, betreffend Einstellung eines Beschwerdeverfahrens in einer Angelegenheit nach dem WRG 1959 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bregenz; mitbeteiligte Partei: Landeshauptstadt Bregenz in 6900 Bregenz, Rathausstraße 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurden der Mitbeteiligten für den Umbau mehrerer Abwasserkanäle samt Begleitmaßnahmen (Abwasserreinigungsanlage Bregenz - Bauabschnitt 29) Bewilligungen nach den §§ 32, 105, 111 Wasserrechtsgesetz 1959 - WRG 1959 (Spruchpunkte I. bis III.), dem Forstgesetz (Spruchpunkte IV. bis IX.) und dem Vorarlberger Gesetz über Naturschutz und Landschaftsentwicklung (Spruchpunkt X.) erteilt. Zu den bewilligten Maßnahmen gehört die Neuerrichtung einer Seeablaufleitung DN1800, welche drei bestehende Ablaufleitungen, unter anderem eine Ablaufleitung DN1000 in den Bodensee, ersetzen soll. Diese bestehende Seeausleitung soll projektgemäß rückgebaut werden.

2Dieser Bescheid wurde dem Revisionswerber nicht zugestellt. Am erhob der Revisionswerber eine Beschwerde gegen diesen Bescheid an das Verwaltungsgericht. Diese lautete auszugsweise wörtlich (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Angefochten wird der Bescheid insoweit: 1. wegen der bisherigen Nichtzahlung der Wasserrechtlichen Entschädigung und 2. der beabsichtigten Entfernung des altes Auslaufbauwerks landseitig zum Übergabebauwerk wegen Beeinträchtigung der Fahrrinne zum Gst. 222 GB. R.

1.Die im Bescheid auf Seite 23 erwähnte, und durch Schriftverkehr (Beilage 2) vereinbarte Wasserrechtliche Entschädigung für die Bauarbeiten, wurde bis zum heutigen Datum nicht beglichen. Die Vereinbarung für die Wasserrechtliche Entschädigung ist daher offenbar nicht zustande gekommen.

2.Außer Eigentümer der Fischereirechte bin ich auch Eigentümer der direkt an die Baustelle angrenzenden Liegenschaft Gst. 222 GB. R.

In dieser Eigenschaft als Eigentümer von Gst. 222 GB. R. wurde ich übergangen. Das direkt angrenzende Gst. 222 wird im Bescheid nicht einmal erwähnt.

Als betroffener Eigentümer der direkt angrenzenden Liegenschaft Gst. 222 wende ich daher ein, dass durch die beabsichtigte vollständige Entfernung des Auslaufbauwerks - das als schützende Buhne wirkt - und die vorgesehene Aufschüttung bzw. ‚Gestaltung‘ eines weiteren Flachufers, diese Fahrrinne zum Gst. 222 durch Verlandung infolge von Kiesverfrachtung durch Wellenschlag und Strömung stark beeinträchtigt wird.

Ich verlange daher, dass die bisherige Situation belassen wird. Ansonsten werden neben den rechtlichen und technischen Fragen, weitere Entschädigungsfragen zu klären sein, insbesondere auch die anfallenden Kosten für die Freihaltung der Fahrrinne infolge der Verlandung.“

3Am richtete der Revisionswerber folgende, wiederum auszugsweise wörtlich wiedergegebene Eingabe an das Verwaltungsgericht (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„... kann ich Ihnen mitteilen, dass sich der Beschwerdepunkt 1. wegen der inzwischen erfolgten Zahlung der wasserrechtlichen Entschädigung durch den Antragsteller Landeshauptstadt B. erledigt hat.

Der Beschwerdepunkt 1. wird daher zurückgezogen.

Der Beschwerdepunkt 2. wird hingegen weiter aufrecht erhalten und die mündliche Verhandlung verlangt.

Als betroffener Eigentümer der direkt angrenzenden Liegenschaft Gst. 222 habe ich einen Rechtsanspruch auf die Unversehrtheit der rechtmäßig bestehenden, zum Grundstück führenden Fahrrinne.“

4Mit dem in Revision gezogenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes vom wurde in Spruchpunkt I. die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung (Spruchpunkt X. des bekämpften Bescheides) als unzulässig zurückgewiesen und in Spruchpunkt II. das Beschwerdeverfahren betreffend die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung (Spruchpunkte I. bis III. des bekämpften Bescheides) eingestellt.

5Als Sachverhalt stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Revisionswerber Alleineigentümer der Liegenschaft mit der GSt-Nr. 222 GB R. sei und dieses Grundstück an jene grenze, auf denen das gegenständliche Projekt umgesetzt werde. Weiters komme ihm im Bereich des vom Projekt erfassten Gebietes ein Fischereirecht zu. Zu Spruchpunkt I. seines Beschlusses erwog das Verwaltungsgericht (näher begründet), dass dem Revisionswerber als Liegenschaftseigentümer im naturschutzrechtlichen Verfahren keine Parteistellung zukomme, weshalb die Beschwerde insoweit zurückzuweisen sei. Zu Spruchpunkt II. hielt es fest, dass der Revisionswerber „hinsichtlich der Beschwerde betreffend die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung“ „diesen Punkt seiner Beschwerde ausdrücklich zurückgezogen hat“. Das Beschwerdeverfahren sei somit „im Hinblick auf die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung“ einzustellen.

6Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Diese wurde, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Beschlusses richtet (Zurückweisung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Bewilligung), mit Beschluss des dafür zuständigen Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2021/10/0154, mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG zurückgewiesen.

7Über die Revision, soweit sie sich gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses richtet (Einstellung eines Beschwerdeverfahrens in Bezug auf die wasserrechtliche Bewilligung), wurde vom Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet.

8Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in der sie vorbringt, dem Revisionswerber komme im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren mangels unmittelbarer Betroffenheit seines Liegenschaftseigentums keine Parteistellung zu. Eine solche hätte er auch infolge Präklusion gemäß § 42 Abs. 1 AVG verloren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9Die Revision ist, soweit sie sich gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses richtet, zulässig, weil das Verwaltungsgericht mit einer unvertretbaren Rechtsansicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie ist daher auch begründet.

10Auf die Zurückziehung einer Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Berufungsverzicht bzw. der Zurückziehung von Berufungen nach § 63 Abs. 4 AVG zu übertragen (vgl. , Rn 10, unter Hinweis auf ; weiters ). Demnach ist das Vorliegen eines Berufungsverzichtes besonders stringent zu prüfen. Die Zurückziehung einer bereits erhobenen Berufung ist nichts anderes als ein nachträglicher Berufungsverzicht. Die Berufungsrücknahme (hier: Beschwerderücknahme) muss ausdrücklich, das heißt eindeutig (zweifelsfrei) erklärt werden (vgl. erneut , mwN; weiters zum Beschwerdeverzicht vor dem Verwaltungsgericht Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG ErgBd [2017] § 7 VwGVG Rz 42).

11Das Verwaltungsgericht hat offenbar den „Beschwerdepunkt 1.“ (Nichtzahlung einer wasserrechtlichen Entschädigung) der wasserrechtlichen Bewilligung zugeordnet, während es den „Beschwerdepunkt 2.“ (Beeinträchtigung von Liegenschaftseigentum durch drohende Verlandung einer zum Grundstück des Revisionswerbers führenden Fahrrinne) als ausschließlich gegen die naturschutzrechtliche Bewilligung gerichtet gedeutet hat. Dementsprechend hat es in der ausdrücklichen Rücknahme des „Beschwerdepunktes 1.“ eine Zurückziehung der Beschwerde insgesamt, soweit sie sich gegen die wasserrechtliche Bewilligung richtet, erblickt.

12Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann die in vertretbarer Weise vorgenommene fallbezogene Auslegung von Parteierklärungen nicht erfolgreich mit Revision bekämpft werden. Einer vertretbaren Auslegung kommt keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall ist nur dann erfolgreich mit Revision bekämpfbar, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung im Sinn einer unvertretbaren Rechtsansicht unterlaufen ist (vgl. etwa , mwN).

13Eine solche krasse Fehlbeurteilung liegt hier vor. Weder hat der Revisionswerber den aufrecht gebliebenen „Beschwerdepunkt 2.“ ausdrücklich einem konkreten Rechtsgebiet zugeordnet und darauf beschränkt, noch lässt sich eine solche Zuordnung und Einschränkung dem Inhalt nach eindeutig treffen. So macht der Revisionswerber diesbezüglich auch keine spezifisch naturschutzrechtlichen Aspekte geltend.

14Zwar enthält die naturschutzrechtliche Bewilligung in Spruchpunkt X.9. des Bescheides der belangten Behörde eine Auflage, wonach im Rahmen des Rückbaus der bestehenden Abschlagsleitung der unmittelbare Seeuferbereich als Flachufer auszugestalten ist. Jedoch ist bereits der Rückbau selbst, gegen den sich der Revisionswerber richtet, Teil des beantragten Projektes der Mitbeteiligten (vgl. etwa die Darstellung auf Seite 3 vierter Absatz im Vorspruch des Bescheides der belangten Behörde sowie in dessen Spruchpunkt I. die Erklärung der ökologischen Begleitplanung vom  zum Bestandteil des Bescheides) und insofern auch von der wasserrechtlichen Bewilligung umfasst.

15Außerdem geht das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf , selbst davon aus, dass einem betroffenen bzw. benachbarten Grundeigentümer im gegenständlichen Verfahren nach dem Vorarlberger Gesetz über Naturschutz und Landschaftsentwicklung keine Parteistellung zukommt. Demgegenüber genießen in Verfahren nach dem WRG 1959 u.a. diejenigen Parteistellung, deren wasserrechtlich geschützte Rechte berührt werden, wobei zu diesen Rechten auch das Grundeigentum gehört (vgl. § 102 Abs. 1 lit. b, § 12 Abs. 2 WRG 1959).

16Unabhängig von der in der Revisionsbeantwortung der belangten Behörde thematisierten Frage, ob dem Revisionswerber im konkreten Verfahren letztlich tatsächlich als Grundeigentümer Parteistellung nach dem WRG 1959 zukommt oder ob er eine solche nach § 42 Abs. 1 AVG bereits verloren hat, kann vor diesem Hintergrund die ausdrücklich auf „Beschwerdepunkt 1.“ eingeschränkte und allein mit der Zahlung der begehrten Entschädigung begründete Beschwerdezurückziehung nicht zweifelsfrei und eindeutig auf das wasserrechtliche Bewilligungsverfahren insgesamt bezogen werden.

17Indem das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es seinen Beschluss in Spruchpunkt II. mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Er war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

18Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021070071.L00

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