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VwGH vom 29.05.2013, 2013/22/0094

VwGH vom 29.05.2013, 2013/22/0094

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der F, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom , Zl. E1/8334/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, reiste im Oktober 2003 nach Österreich ein. Am heiratete sie einen österreichischen Staatsbürger und stellte im Hinblick darauf am einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom rechtskräftig abgewiesen, weil die Voraussetzung für die Erteilung des Aufenthaltstitels, nämlich die Führung eines gemeinsamen Familienlebens, nicht gegeben war. Die Ehe der Beschwerdeführerin wurde im Jänner 2007 geschieden.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend hielt die belangte Behörde fest, dass die Beschwerdeführerin illegal eingereist und seit Oktober 2003 rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig sei. Dies stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, zumal der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme.

Im Rahmen der Interessenabwägung nahm die belangte Behörde zunächst auf die familiäre Situation der Beschwerdeführerin Bedacht. Diese wohne bei ihren Eltern und ihren zwei Brüdern (wobei ihr Vater und ein Bruder bereits österreichische Staatsbürger seien) und sie werde von ihrer Familie finanziell unterstützt. Ausgehend davon sei mit der Ausweisung ein schwerwiegender Eingriff in ihr Familienleben verbunden. Es sei allerdings auch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin, die nicht (mehr) verheiratet sei und keine Kinder habe, bereits volljährig sei. Sie habe auch keine genügende Veranlassung gehabt, von einer Erlaubnis zum dauerhaften Aufenthalt in Österreich auszugehen. Ihre Interessen an einem Verbleib in Österreich seien dadurch als gemindert anzusehen.

Zum langjährigen Inlandsaufenthalt der Beschwerdeführerin hielt die belangte Behörde fest, dass dieser durchgehend rechtswidrig gewesen sei. Auch die Abweisung ihres Antrags auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung im Dezember 2005 habe die Beschwerdeführerin nicht dazu veranlassen können, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen. Zwar habe sie im Zuge einer Einvernahme am angekündigt, nach Abschluss ihres Scheidungsverfahrens auszureisen. Entgegen dieser Angabe sei sie ihrer Ausreiseverpflichtung aber nicht nachgekommen, was allerdings erst bekannt geworden sei, nachdem sie im Mai 2009 einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) gestellt habe. Die Beschwerdeführerin habe es somit "offensichtlich darauf angelegt, die bestehenden Einwanderungsvorschriften zu umgehen". Darüber hinaus ging die belangte Behörde - im Hinblick auf das (im angefochtenen Bescheid zusammengefasst dargestellte) Ergebnis der diesbezüglich von der erstinstanzlichen Behörde durchgeführten Erhebungen - davon aus, dass es sich bei der vormaligen Ehe der Beschwerdeführerin um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe.

Über die familiären Bindungen hinausgehende, besondere integrationsbegründende Umstände seien nicht dargelegt worden. Die Beschwerdeführerin habe keine Deutschkenntnisse und keinen Versicherungsschutz nachgewiesen. Auch die von ihrem Bruder Murat G. abgegebene, im Niederlassungsverfahren vorgelegte "Patenschaftserklärung" könne nichts daran ändern, dass die Beschwerdeführerin selbst keine wirtschaftliche Integration vorzuweisen habe. Schließlich habe die Beschwerdeführerin auch keine nachvollziehbaren Gründe dafür dargelegt, warum es ihr nicht zumutbar gewesen sei, vom Ausland aus ordnungsgemäß einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu stellen.

Angesichts der nicht bloß geringfügigen Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen sei die Ausweisung trotz des damit verbundenen Eingriffs in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin dringend geboten iSd § 66 FPG. Die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet seien nicht schwerer zu gewichten als das dargestellte öffentliche Interesse. Es seien auch keine Umstände ersichtlich, wonach die belangte Behörde im Rahmen der Ermessensübung von der Erlassung der Ausweisung hätte Abstand nehmen müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG oder des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - jeweils um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 dieser Gesetze.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG bei der Beschwerdeführerin vorläge. Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0549, mwN).

Die Beschwerdeführerin verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf ihren mehr als sechsjährigen Aufenthalt in Österreich und auf die Bindungen zu ihren Familienangehörigen, bei denen sie wohnhaft sei und von denen sie finanziell unterstützt werde. Sie sei auch sozial integriert und der deutschen Sprache mächtig.

Diesem Vorbringen ist zunächst zu entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin in Österreich und ihre familiären Bindungen der Interessenabwägung nach § 66 FPG zugrunde gelegt und diese Umstände auch entsprechend berücksichtigt hat. Ausgehend davon hat sie anerkannt, dass mit der Ausweisung schwerwiegend in das Familienleben der Beschwerdeführerin eingegriffen werde. Die belangte Behörde musste aus diesen Umständen aber noch nicht ableiten, dass die Ausweisung der Beschwerdeführerin aus Österreich unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unverhältnismäßig sei. So durfte die belangte Behörde die familiären Bindungen dadurch als gemindert ansehen, dass die Beschwerdeführerin bereits volljährig ist und dass sie - insbesondere nach der Abweisung ihres Antrags auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" im Dezember 2005 - nicht damit rechnen durfte, dauerhaft in Österreich bleiben zu können. Ebenso konnte die belangte Behörde in Anschlag bringen, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin zur Gänze unrechtmäßig gewesen ist und dass die Beschwerdeführerin auch nach der genannten Antragsabweisung - entgegen ihrer Angabe im Zuge einer Vernehmung im Februar 2006, nach Abschluss des Scheidungsverfahrens auszureisen - das Bundesgebiet nicht verlassen hat.

Die geltend gemachte soziale Integration und die behaupteten Deutschkenntnisse wurden - worauf auch die belangte Behörde hingewiesen hat - nicht näher substantiiert. Zu den Sprachkenntnissen ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Vernehmung der Beschwerdeführerin im März 2010 laut Verwaltungsakten unter Beiziehung eines Dolmetschers erfolgen musste. Das Fehlen einer beruflichen Integration wird in der Beschwerde nicht bestritten. Soweit die Beschwerdeführerin im vorliegenden Beschwerdeverfahren im Zuge einer ergänzenden Stellungnahme vom Oktober 2010 vorbringt, seit dem als Kellnerin zu arbeiten, handelt es sich dabei um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG). Zutreffend hat die belangte Behörde auch darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin keine nachvollziehbaren Gründe ins Treffen geführt hat, weshalb ihr eine Antragstellung vom Ausland aus unzumutbar gewesen sein sollte. Daran vermag auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, in der Türkei über keine Verwandten und keine finanziellen Mittel zu verfügen, nichts zu ändern, zumal damit nicht dargelegt wird, weshalb eine finanzielle Unterstützung durch ihre Angehörigen von Österreich aus in die Türkei für die Dauer eines ordnungsgemäß durchgeführten Niederlassungsverfahrens unmöglich sein sollte.

Die Beschwerdeführerin bestreitet weiters, dass es sich bei ihrer vormaligen Ehe um eine "Scheinehe" gehandelt habe, zumal diese Ehe nicht für nichtig erklärt, sondern geschieden worden sei. Damit zeigt sie schon deshalb keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil sich die belangte Behörde auf diesen Umstand nicht tragend gestützt hat. Zudem stellt die Nichtigerklärung einer Ehe gemäß § 23 des Ehegesetzes keine Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens einer Aufenthaltsehe dar.

Die Beschwerdeführerin moniert schließlich noch, dass sie trotz dahingehenden Beweisantrages nicht (erneut) vernommen worden sei bzw. dass der "Aufenthaltsakt" (betreffend ihr im Mai 2009 eingeleitetes Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 44 Abs. 4 NAG) nicht beigeschafft worden sei und die dort vorgelegten Urkunden nicht berücksichtigt worden seien. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0326). Außerdem legt die Beschwerdeführerin, die zuletzt am von der Bundespolizeidirektion G vernommen worden ist, nicht dar, welche darüber hinausgehenden, entscheidungserheblichen Angaben sie bei einer neuerlichen Vernehmung gemacht hätte. Auch dem sonstigen Vorbringen zu den behaupteten Verfahrensmängeln fehlt es an der erforderlichen Relevanzdarstellung. Die von der Beschwerdeführerin angesprochene, im Niederlassungsverfahren vorgelegte "Haftungserklärung" hat die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Welche weiteren - von der belangten Behörde nicht bereits berücksichtigten - Umstände zu erheben bzw. einzubeziehen gewesen wären, wird in der Beschwerde nicht näher ausgeführt. Entgegen der Beschwerdeauffassung ist der angefochtene Bescheid auch ausreichend begründet.

Insgesamt stellen sich die Bindungen der Beschwerdeführerin auch in Verbindung mit der Aufenthaltsdauer (von über sechseinhalb Jahren) somit nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf ihren Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Im vorliegenden Fall ist es daher nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung ihres bereits seit mehreren Jahren andauernden unrechtmäßigen Inlandsaufenthaltes. In der Beschwerde werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am