VwGH vom 29.05.2013, 2013/22/0093
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. E1/17429/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes, rechtskräftig seit , im Instanzenzug abgewiesen.
Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus. In ihrer Begründung führte sie - nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der maßgeblichen Rechtsvorschriften - zunächst aus, dass sich der Beschwerdeführer seit dem negativen Abschluss seines Asylverfahrens rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer seit Mai 2003 im Bundesgebiet aufhältig sei und mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind in Österreich lebe. Angesichts dessen sei ihm eine "entsprechende Integration" zuzubilligen. Allerdings sei deren Gewicht dadurch gemindert, dass er sein Privat- und Familienleben während eines Zeitraumes geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht damit rechnen dürfen, weiterhin in Österreich bleiben zu können, zumal sein Asylantrag erstinstanzlich bereits im Juli 2003 "negativ entschieden" worden sei.
In weiterer Folge verwies die belangte Behörde darauf, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Beachtung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zukomme. Der fast einjährige unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland, der nach Abschluss seines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht verlassen habe, beeinträchtige die öffentliche Ordnung schwerwiegend. Im Ergebnis würde das dem Beschwerdeführer vorwerfbare Fehlverhalten im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration überwiegen. Es seien auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine Ermessensübung zu seinen Gunsten begründen könnten. Auch die Tatsache, dass seine Lebensgefährtin "HIV positiv" sei, schließe nicht aus, dass der Beschwerdeführer vom Ausland aus versuchen könne, einen Aufenthaltstitel für Österreich zu erlangen. Dass es für diesen Zeitraum keine Alternativen für die notwendige Pflege seiner Lebensgefährtin gebe, habe der Beschwerdeführer selbst nicht erwähnt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird ausdrücklich zugestanden, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG beim Beschwerdeführer vorläge. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, begegnet somit keinen Bedenken.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0303).
Unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG verweist der Beschwerdeführer - neben seinem bereits sieben Jahre andauernden Aufenthalt in Österreich - insbesondere darauf, dass seine Lebensgefährtin "HIV-positiv" sei und dass seine beiden Kinder daher auf die persönliche Betreuung und Pflege durch ihn angewiesen seien. Es sei seiner Lebensgefährtin (die ebenso wie die beiden Kinder über eine Niederlassungsbewilligung verfüge) auf Grund ihrer Erkrankung auch nicht zumutbar, gemeinsam mit dem Beschwerdeführer ins Ausland auszureisen. Diese Umstände habe die belangte Behörde nicht entsprechend berücksichtigt. Darüber hinaus moniert der Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid lediglich von einem Kind des Beschwerdeführers ausgegangen ist und somit - trotz entsprechenden Vorbringens im Verwaltungsverfahren - die am erfolgte Geburt seines Sohnes und dessen Betreuungsbedürftigkeit in keiner Weise in ihre Interessenabwägung einbezogen hat.
Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerde im Ergebnis einen relevanten Verfahrensmangel auf:
Die belangte Behörde hat zwar zutreffend den hohen Stellenwert der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betont. Allerdings hat sie die Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit einer zur Niederlassung im Bundesgebiet berechtigten Fremden und die familiäre Bindung zu seinen beiden (knapp drei Jahre bzw. knapp ein Jahr alten) Kindern nicht im erforderlichen Ausmaß berücksichtigt und sich nicht näher mit den konkreten Auswirkungen der Ausweisung auf seine Situation und auf die seiner Angehörigen befasst. Dazu wäre es auch notwendig gewesen, nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers und seiner Familie zu treffen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/23/0029, mwN). Zutreffend rügt der Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde die Bindung zu seinem zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung knapp ein Jahr alten Sohn nicht erkennbar berücksichtigt hat. Der belangten Behörde ist auch anzulasten, dass eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, auf Grund der Erkrankung seiner Lebensgefährtin seien sowohl diese als auch seine Kinder auf die persönliche Betreuung durch ihn angewiesen, nur unzureichend erfolgte. Die belangte Behörde hat diesbezüglich lediglich die Pflege der Lebensgefährtin in den Blick genommen und sie hat auch nicht dargelegt, wie und durch wen die Betreuung der Lebensgefährtin und der beiden Kleinkinder im Fall der Ausreise des Beschwerdeführers erbracht werden könnte. Feststellungen dazu, dass den zur Niederlassung in Österreich berechtigten Angehörigen des Beschwerdeführers eine gemeinsame Ausreise mit ihm zumutbar wäre, bzw. eine Auseinandersetzung mit dem dies (wiederum unter Hinweis auf die Erkrankung seiner Lebensgefährtin) bestreitenden Vorbringen des Beschwerdeführers enthält der angefochtene Bescheid nicht.
In einer Konstellation wie der vorliegenden reicht der bloße Hinweis auf das Begründen der familiären Bindungen zu einem Zeitpunkt, zu dem sich der Beschwerdeführer und seine Angehörigen seines unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen sein mussten, und die Betonung des großen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen für eine nachvollziehbare Interessenabwägung nach § 66 FPG nicht aus. Vielmehr hätte die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf die Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen begründen müssen, warum eine Trennung des Beschwerdeführers von seinen beiden Kindern und von seiner chronisch erkrankten Lebensgefährtin im vorliegenden Fall dringend geboten iSd § 66 FPG ist.
Angesichts der aufgezeigten Verfahrensmängel, bei deren Vermeidung die belangte Behörde in Bezug auf die Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-88370