VwGH vom 17.04.2013, 2013/22/0092
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. E1/10061/2010, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am illegal nach Österreich ein und stellte kurz darauf einen Asylantrag. Am heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin, am wurde die gemeinsame Tochter geboren. Der Asylantrag des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes im Jänner 2010 rechtskräftig abgewiesen.
Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus. In ihrer Begründung führte sie zunächst aus, dass sich der Beschwerdeführer seit dem negativen Abschluss seines Asylverfahrens rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG billigte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer - angesichts seines ca. achtjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet, seiner Erwerbstätigkeit und des Umstandes, dass er hier mit seiner Familie (nämlich seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehefrau und seinem Kind) lebe - eine "entsprechende Integration" zu. Allerdings sei deren Gewicht dadurch gemindert, dass er sein Privat- und Familienleben während eines unsicheren Aufenthaltes geschaffen habe. Die belangte Behörde verwies darauf, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Beachtung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zukomme. Der mehrmonatige unrechtmäßige Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers, der nach Abschluss seines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht verlassen habe, beeinträchtige die öffentliche Ordnung schwerwiegend. Im Ergebnis würde das dem Beschwerdeführer vorwerfbare Fehlverhalten im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration überwiegen. Es seien auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine Ermessensübung zu seinen Gunsten begründen könnten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird ausdrücklich zugestanden, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers mit rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, begegnet somit keinen Bedenken.
Allerdings hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom , Rs C-256/11, "Dereci ua.", ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird. Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger (im vorliegenden Fall die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Ehefrau des Beschwerdeführers bzw. die knapp zwei Jahre alte Tochter) de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, sondern das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Sollten derartige Gründe - der bloße Wunsch nach Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union reicht allerdings nicht aus - bestehen, würde die gegenüber einem Fremden ausgesprochene Anordnung, das Bundesgebiet wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts zu verlassen, dem Unionsrecht widersprechen und daher nicht zulässig sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0339, mwN).
Die belangte Behörde wird daher im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage ist nicht mit der Beurteilung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen und war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben. Derartige Feststellungen sind auch vor dem Hintergrund erforderlich, dass der Beschwerdeführer schon im Verwaltungsverfahren vorgebracht hat, seine Ehefrau erwarte ein weiteres Kind (Geburtstermin Juli 2010) und seine Familie sei auf sein Einkommen angewiesen.
Der angefochtene Bescheid war somit schon deshalb - ohne das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung im Blick auf Art. 8 EMRK einer Prüfung zu unterziehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
BAAAE-88365