Suchen Hilfe
VwGH vom 29.05.2013, 2013/22/0090

VwGH vom 29.05.2013, 2013/22/0090

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der O, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. E1/12657/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, reiste am illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes, rechtskräftig seit dem , im Instanzenzug abgewiesen.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus. Begründend hielt sie zunächst fest, dass sich die Beschwerdeführerin seit dem rechtskräftigen negativen Abschluss ihres Asylverfahrens rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte.

Die belangte Behörde bezog in ihre Interessenabwägung nach § 66 FPG ein, dass sich die Beschwerdeführerin seit mehr als sieben Jahren im Bundesgebiet aufhalte, dass sie die deutsche Sprache gut spreche, zahlreiche Freunde und Bekannte in Österreich habe und (diesbezüglich) Unterstützungserklärungen vorgelegt habe. Es sei ihr eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen, weshalb durch die Ausweisung in erheblicher Weise in ihr Privatleben eingegriffen werde. Allerdings habe die Beschwerdeführerin ihre Bindungen während eines Zeitraumes geschaffen, in dem sie nicht damit habe rechnen dürfen, dauerhaft in Österreich verbleiben zu können. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass ihr Asylantrag in erster Instanz bereits mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen worden sei. Daher relativiere sich das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration. Dies gelte auch für die - durch die Unterstützungserklärungen belegten - sozialen Kontakte. Die Beschwerdeführerin sei nicht verheiratet und habe keine Kinder, sie verfüge auch über keine berufliche Integration in Österreich. Sie habe den überwiegenden Teil ihres Lebens in Nigeria verbracht und dort auch die Schule besucht. Da ihre Eltern und zwei Brüder in Nigeria leben würden, sei vom Bestehen eines sozialen Netzwerkes bzw. von einer Zumutbarkeit der Reintegration auszugehen.

Den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin hielt die belangte Behörde entgegen, dass den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten ein hoher Stellenwert zukomme und die öffentliche Ordnung schwerwiegend beeinträchtigt werde, wenn ein Fremder nach Abschluss seines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht "rechtzeitig" verlasse. Das der Beschwerdeführerin, die sich seit ca. sieben Monaten illegal in Österreich aufhalte, vorwerfbare Fehlverhalten würde im Verhältnis zu der von ihr geltend gemachten Integration überwiegen. Es seien auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine Ermessensübung zu ihren Gunsten begründen würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - jeweils um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 dieser Gesetze.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerdeführerin bestreitet weder, dass ihr Asylverfahren rechtskräftig negativ beendet wurde, noch behauptet sie, über eine Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich zu verfügen. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei verwirklicht, trifft daher zu.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0326, mwN).

Die Beschwerdeführerin verweist in diesem Zusammenhang auf ihren mehr als siebenjährigen Aufenthalt in Österreich, während dessen sie sich an den österreichischen Lebensstil angepasst habe. Sie habe sich einen Bekannten- und Freundeskreis aufgebaut, was durch die vorgelegten Unterstützungsschreiben belegt werde, und sie verfüge über gute Deutschkenntnisse. Auch sei sie - ungeachtet dessen, dass es ihr angesichts der bestehenden rechtlichen Hürden nicht gelungen sei, Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu erlangen - arbeitswillig und arbeitsfähig. Weiters führt sie ins Treffen, dass sie aus den im Asylverfahren dargelegten Gründen (sie sei zwangsverheiratet worden) nicht in ihr Heimatdorf zurückkehren könne. Es bestünden somit keine effektiven sozialen Bindungen in ihrer Heimat mehr, weshalb sie im Fall ihrer Rückkehr als alleinstehende Frau von extremer Armut betroffen wäre und somit durch die Ausweisung in besonders intensiver Weise in ihr Privatleben eingegriffen werde. Schließlich vertritt sie die Auffassung, sie hätte darauf vertrauen dürfen, dass ihrer im Asylverfahren erhobenen Berufung Erfolg beschieden sein werde, weshalb das Gewicht ihrer Integration nicht als gemindert angesehen werden könne.

Diesem Vorbringen ist zunächst zu entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin in Österreich, ihre sozialen Bindungen und ihre Deutschkenntnisse der Interessenabwägung nach § 66 FPG ohnehin zugrunde gelegt und diese Umstände auch entsprechend berücksichtigt hat. Ausgehend davon hat sie anerkannt, dass mit der Ausweisung "in erheblicher Weise" in das Privatleben der Beschwerdeführerin eingegriffen werde. Die belangte Behörde durfte aber auch in Anschlag bringen, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls nach der erstinstanzlichen Abweisung ihres Asylantrages mit Bescheid des Bundesasylamtes vom im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung ihres Antrages von einem nicht gesicherten Aufenthaltsstatus iSd § 66 Abs. 2 Z 8 FPG ausgehen musste. Mag die Beschwerdeführerin subjektiv auch auf den Erfolg ihrer Berufung gehofft haben, so lässt sich ihrer Beschwerde kein Grund dafür entnehmen, weshalb sie auf einen dauerhaften Verbleib in Österreich vertrauen hätte dürfen. Das durch die soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich konnte daher in seinem Gewicht als gemindert angesehen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0204, mwN).

Zwar hat die bei der Interessenabwägung vorzunehmende Relativierung der während unsicheren Aufenthaltes erworbenen Integration vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass ihr überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. dazu das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2011/23/0204). Allerdings musste die belangte Behörde aus den genannten Umständen noch nicht ableiten, dass die Ausweisung der Beschwerdeführerin aus Österreich unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unverhältnismäßig sei. Der behördlichen Annahme, dass die Beschwerdeführerin über keine familiären Bindungen im Inland verfüge, tritt die Beschwerde nicht entgegen. Anders als die Beschwerdeführerin offenbar meint, ist es auch nicht entscheidungsrelevant, dass ihr die - unbestritten gebliebene - fehlende berufliche Integration nicht vorgeworfen werden kann. Auch in Verbindung mit der Aufenthaltsdauer (von knapp über sieben Jahren) stellen sich die Bindungen der Beschwerdeführerin nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass sie mit ihrem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf ihren Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Soweit die Beschwerdeführerin fehlende Feststellungen der belangten Behörde zur Intensität ihres Privatlebens in Österreich moniert, fehlt es diesem Vorbringen an der erforderlichen Relevanzdarstellung, weil nicht substantiiert dargelegt wird, welche - von der belangten Behörde nicht bereits berücksichtigten - Umstände noch zu erheben bzw. einzubeziehen gewesen wären.

Auch mit ihrem Vorbringen im Zusammenhang mit der behaupteten Unmöglichkeit, in ihr Heimatdorf zurückzukehren, zeigt die Beschwerdeführerin letztlich keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Angesichts der unbestritten gebliebenen Annahme der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin den überwiegenden Teil ihres Lebens in ihrer Heimat verbracht und dort auch die Schule besucht habe, ist die behördliche Auffassung, der Beschwerdeführerin sei eine Reintegration in ihrem Herkunftsstaat zumutbar, im Ergebnis nämlich nicht als rechtswidrig zu erkennen. Allfällige wirtschaftliche Schwierigkeiten bei einer Rückkehr nach Nigeria sind dabei im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, die belangte Behörde hätte auch auf die im Asylverfahren geltend gemachten Fluchtgründe Bedacht nehmen müssen, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Fluchtgründe nicht Gegenstand des Ausweisungsverfahrens sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Abschiebung im Ausweisungsverfahren keine rechtliche Bedeutung zu (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0655, mwN).

Im vorliegenden Fall ist es somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung ihres seit Juni 2009 unrechtmäßigen Inlandsaufenthaltes.

Die Beschwerdeführerin erachtet die Erlassung einer Ausweisung schließlich deshalb als unzulässig, weil sie die Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 NAG erfülle, was die belangte Behörde als Vorfrage hätte prüfen müssen. Dies müsse aus der mit dem FrÄG 2009, BGBl. I Nr. 122, neu geschaffenen Regelung des § 44 Abs. 5 NAG abgeleitet werden, nach der die Fremdenpolizeibehörde mit der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung nur mehr unter bestimmten Voraussetzungen zuzuwarten habe.

Dementgegen besteht aber - auch unter dem Gesichtspunkt des Ermessens - keine Pflicht, mit der Ausweisung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung nach § 44 Abs. 4 NAG zuzuwarten; an dieser Auffassung hat der Verwaltungsgerichtshof nach der am in Kraft getretenen Novellierung des NAG durch das FrÄG 2009 im Ergebnis festgehalten (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0214, mwN). Ergänzend kann dabei auf § 44 Abs. 5 NAG verwiesen werden, wonach ungeachtet eines Antrages nach § 44 Abs. 4 NAG (nur) dann mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten ist, wenn 1. das Ausweisungsverfahren erst nach einer Antragstellung gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingeleitet wurde und 2. die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 NAG wahrscheinlich ist. Der Gesetzgeber geht daher geradezu davon aus, dass eine Ausweisung trotz anhängigen Verfahrens nach § 44 Abs. 4 NAG (ein solches Verfahren ist im vorliegenden Fall aber nicht einmal anhängig) ausgesprochen wird, wobei erst in der Phase des Vollzugs derselben eine Rücksichtnahme auf allfällige Erfolgsaussichten des niederlassungsrechtlichen Antrages erfolgen soll.

In der Beschwerde werden schließlich auch sonst keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
DAAAE-88360