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VwGH vom 20.03.2012, 2011/11/0146

VwGH vom 20.03.2012, 2011/11/0146

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des W R in T, vertreten durch Dr. Roland Neuhauser, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brahmsplatz 7, gegen den Bescheid der beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz eingerichteten Berufungskommission vom , Zl. 44.140/1-7/08, betreffend Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten (mitbeteiligte Partei: V in W, vertreten durch Freimüller Noll Obereder Pilz Partner Rechtsanwälte GmbH in 1080 Wien, Alser Straße 21; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde über Antrag der mitbeteiligten Partei (im Folgenden: Dienstgeber) gemäß § 8 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) die Zustimmung zur Kündigung des Beschwerdeführers erteilt.

Begründend führte die belangte Behörde Folgendes aus:

Der 1961 geborene Beschwerdeführer sei seit beim Dienstgeber, zuletzt als Betriebsleiter-Stellvertreter, beschäftigt. Er gehöre auf Grund des Bescheids des Amts der Niederösterreichischen Landesregierung vom seit dem Kreis der begünstigten Behinderten, an. Der Grad der Behinderung (zunächst 50%) sei mit Bescheid des Bundessozialamtes, Landesstelle Niederösterreich, vom für die Zeit ab mit 70% festgesetzt worden.

Der Dienstgeber habe mit Schreiben vom die Zustimmung zur Kündigung des Beschwerdeführers beantragt, weil das Projekt P (in dem der Beschwerdeführer angestellt sei), das aus Mitteln der Arbeitsmarktförderung finanziert worden sei, im Jahr 2007 ausgelaufen sei.

Der Beschwerdeführer habe sich gegen die Kündigung ausgesprochen; er könne sowohl beim Dienstgeber als auch bei der V Österreich und der Volkshilfe Wien auf einem Ersatzarbeitsplatz eingesetzt werden.

Nach einer Wiedergabe der von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Feststellungen und deren rechtlicher Beurteilung (der Kündigung sei zuzustimmen gewesen, weil der Tätigkeitsbereich des Beschwerdeführers entfallen sei, eine Beurteilung, ob eine Weiterführung eines Unternehmens unter anderen Voraussetzungen zielführend oder sinnvoll erscheine, nicht vorzunehmen sei und die Fördergeber klargestellt hätten, dass eine Veränderung bei dem geförderten Projekt auf Leiter- bzw. Stellvertreterebene keine Unterstützung finde), und einer Darlegung, dass sie eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durchgeführt habe, traf die belangte Behörde folgende ergänzende Feststellungen:

"Der (Dienstgeber) ist ein eigenständiger Verein mit Rechtspersönlichkeit. Dies gilt ebenso für die V Österreich und für die V Wien (Vereinsregister).

Geprüft wurde, ob für den (Beschwerdeführer) noch die Tätigkeit als Betriebsleiter in den Betrieben B, K, M, Betriebsleiter-Stellvertreter in den Betrieben B, K, M, W, J, S und Fachbetriebsleiter in den Betrieben W, S in Betracht kommt. Dazu wurden ein medizinisches und ein berufskundliches Sachverständigengutachten eingeholt.

Nach dem Berufsanforderungsprofil sind diese Tätigkeiten leichte bis mittelschwere, ev. kurzfristig schwere (S) körperliche Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, vermengt mit Arbeiten im Bücken, Hocken oder Knien, mit Arbeiten primär im Innenbereich von Gebäuden, mit Arbeiten mit gelegentlicher Exposition von Staub, inhalativen Schadstoffen und Dämpfen, mit Arbeiten, bei denen PC-Arbeiten nicht über halbzeitig (jedoch regelmäßig) erforderlich sind, mit Arbeiten unter durchschnittlichem sowie nicht über halbzeitig besonderem Zeitdruck, zu den üblichen Arbeitszeiten und -pausen.

Nach dem medizinischen Leistungskalkül sind (unter anderem) durchgehend mittelschwere Arbeiten, Arbeiten an exponierten Stellen, Arbeiten bei Nässe und Kälte sowie Arbeiten in gebückter Haltung nicht möglich.

Folgende Tätigkeiten können nicht mehr regelmäßig durchgeführt werden:

Arbeiten, die mit dem Heben und Tragen von Lasten verbunden sind, im vorgebeugten und gebückten Zustand, über Kopf, die eine längere Zwangshaltung der Wirbelsäule erforderlich machen, die eine häufige Rotation der Wirbelsäule erforderlich machen, die mit längerem Stehen und Gehen verbunden sind, die mit einer mehrstündigen Bildschirmarbeit verbunden sind, ohne der Möglichkeit eine Pause zu machen, unter Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft und die eine häufige Bewältigung von Stiegen und Leitern erforderlich machen."

Nach einer Darlegung der maßgebenden Bestimmungen des § 8 BEinstG und von Grundsätzen zur Beurteilung der Frage, unter welchen Umständen die Zustimmung nach § 8 Abs. 2 BEinstG zu erteilen sei, führte die belangte Behörde zunächst aus, die Berufung wecke keine "begründete Bedenken" und lasse auch vermissen, welche Feststellungen anstelle der bekämpften zu treffen gewesen wären und inwieweit diesen rechtliche Relevanz zukomme.

Abschließend folgerte die belangte Behörde:

"Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der Tätigkeitsbereich des (Beschwerdeführers) als Betriebsleiter-Stellvertreter bei P entfallen ist und eine Weiterbeschäftigung an einem qualifikationsbedingt in Betracht kommenden Ersatzarbeitsplatz ohne erheblichen Schaden nicht möglich ist (§ 8 Abs. 4 lit. a BEinstG).

Die Ermessensabwägung musste daher zu Lasten des (Beschwerdeführers) vorgenommen werden, weshalb der Berufung keine Folge zu geben und der angefochtene Bescheid zu bestätigen war."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie die mitbeteiligte Partei erwogen:

1.1. Hinsichtlich der maßgebenden Rechtslage und der Anforderungen an die Beurteilung einer Entscheidung darüber, ob die Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten nach § 8 Abs. 2 BEinstG zu erteilen ist, wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 2011/11/0143 und 2011/11/0145, jeweils mwN, verwiesen.

1.2. Mit Erkenntnis vom , G 80/10-12 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof den jeweils auf Art. 140 Abs. 1 B-VG gestützten Anträgen des Verwaltungsgerichtshofes, "den durch die Novelle BGBl. Nr. 313/1992 eingefügten § 19a Abs. 2a erster Satz des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in eventu § 8 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970 in der Fassung BGBl. I Nr. 17/1999, als verfassungswidrig aufzuheben", keine Folge gegeben.

2.1. Die belangte Behörde hat, wie dargestellt, ihre Zustimmung zur Kündigung des Beschwerdeführers entscheidend darauf gestützt, dass der Tätigkeitsbereich des Beschwerdeführers entfallen sei und eine Weiterbeschäftigung an einem qualifikationsbedingt in Betracht kommenden Ersatzarbeitsplatz ohne erheblichen Schaden nicht möglich sei (§ 8 Abs. 4 lit. a BEinstG).

2.2. Träfe dies zu, könnte die Entscheidung der belangten Behörde nicht als Überschreitung des ihr durch das BEinstG eingeräumten Ermessensspielraums beurteilt werden.

3. Die Beschwerde macht dagegen insbesondere Folgendes geltend:

Die belangte Behörde habe es unterlassen, ausreichende Feststellungen über die wesentlichen tatsächlichen Umstände zu treffen, was aber für die im Rahmen der Ermessensübung vorzunehmende Abwägung der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Situation und der künftigen Berufsaussichten des Beschwerdeführers gegenüber den organisatorischen und wirtschaftlichen Auswirkungen seiner Fortbeschäftigung für den Dienstgeber notwendig sei. Die belangte Behörde habe zwar Ergebnisse des berufskundlichen Sachverständigengutachtens wiedergegeben, ansonsten aber keine Feststellung darüber getroffen, welche Arbeitsplätze nun konkret für den Beschwerdeführer unter Zugrundelegung seines (medizinischen und fachlichen) Qualifikationsprofils und dem Anforderungsprofil der vorhandenen Arbeitsplätze in Frage kämen; dies obwohl nach dem Inhalt des Gutachtens solche vorhanden gewesen wären. Die Schlussfolgerung der belangten Behörde, "eine Weiterbeschäftigung an einem qualifikationsbedingt in Betracht kommenden Ersatzarbeitsplatz (sei) ohne erheblichen Schaden nicht möglich", sei daher nicht nachvollziehbar.

4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat die von der Behörde nach § 8 Abs. 2 BEinstG zu treffende Ermessensentscheidung ausschließlich daraufhin zu prüfen, ob die belangte Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat. Eine solche Prüfung setzt allerdings voraus, dass alle für diese Entscheidung wesentlichen tatsächlichen Umstände unter Einhaltung der maßgebenden Verfahrensvorschriften ermittelt und in der Bescheidbegründung festgestellt wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/11/0139, mwN).

4.2. An dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend allerdings:

Die belangte Behörde hat , wie oben wiedergegeben, das "Berufsanforderungsprofil" für bestimmte Tätigkeiten im Unternehmen des Dienstgebers beschrieben, und daran anschließend Ergebnisse des "medizinischen Leistungskalküls" den Beschwerdeführer betreffend wiedergegeben. Sie hat aber, wie die Beschwerde mit Recht rügt, nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die an die genannten Tätigkeiten gestellten Anforderungen aufgrund des beschriebenen medizinischen Leistungskalküls nicht erfüllt werden könnten, dass also das angenommene medizinische Leistungskalkül des Beschwerdeführers diesen für sämtliche der genannten Tätigkeiten ungeeignet erscheinen lasse. Warum nämlich der Umstand, dass dem Beschwerdeführer "durchgehend mittelschwere" Arbeiten, sowie solche an exponierten Stellen, bei Nässe und Kälte sowie in gebückter Haltung nicht möglich sind und er weitere im Einzelnen genannte Arbeiten "nicht mehr regelmäßig" durchführen könne, die Ausübung der in Rede stehenden Verweisungstätigkeiten unmöglich macht, ist schon mangels näherer Darlegung nicht zu erkennen.

4.3. Zwar ist der bisherige Tätigkeitsbereich des Beschwerdeführers insofern entfallen, als der Betrieb PA-RE, in dem er - zuletzt als Betriebsleiter-Stellvertreter - angestellt war, mit eingestellt wurde (die Zweckmäßigkeit einer unternehmerischen Entscheidung, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes eines begünstigten Behinderten führt bzw. bei Veränderung des Arbeitsplatzes den Einsatz des behinderten Arbeitnehmers für diese Arbeit nicht mehr zulässt, ist regelmäßig von der Behörde nicht zu prüfen, vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/09/0095).

Der Entfall des bisherigen Tätigkeitsbereichs bildet aber erst in Verbindung mit dem - vom Dienstgeber nachzuweisenden - Umstand, dass ein geeigneter Ersatzarbeitsplatz im Unternehmen nicht besteht, einen Grund dafür, im Rahmen der Interessenabwägung die Fortsetzung des Dienstverhältnisses durch den Dienstgeber als nicht zumutbar anzusehen.

5. Aufgrund der getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob die entscheidende Annahme der belangten Behörde, der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers lasse seine Beschäftigung an einem der in Rede stehenden Ersatzarbeitsplätze nicht zu, zutrifft.

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am