VwGH vom 23.07.2021, Ra 2021/05/0007
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision der M GmbH in H, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in 1220 Wien, Donau-City-Straße 11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , LVwG-AV-378/001-2020, betreffend einen abfallwirtschaftsrechtlichen Entfernungsauftrag zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes gemäß § 62 Abs. 2 AWG 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptfrau von Niederösterreich), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom wurde der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin (unter anderem) die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Bodenaushubdeponie auf näher genannten Grundstücken erteilt. Unter „Deponietechnik“ wurde unter „5.“ folgende Auflage erteilt:
„Mit der Ablagerung darf erst nach Vorliegen eines positiven Überprüfungsbescheides für den jeweiligen Deponieabschnitt inkl der dazugehörigen Anlagenteile begonnen werden. Dazu ist der Behörde im Wege des Deponieaufsichtsorgans eine Fertigstellungsmeldung unter Anschluss eines Kollaudierungsoperates zu übermitteln.“
2Mit Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich (im Folgenden: belangte Behörde) vom wurde der Revisionswerberin (unter anderem) die abfallrechtliche Genehmigung für die näher beschriebene Änderung der gegenständlichen Bodenaushubdeponie erteilt.
3Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Revisionswerberin betreffend dieser (mittlerweile um ein Grundstück erweiterten) Bodenaushubdeponie in der KG T. gemäß § 62 Abs. 2 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (im Folgenden: AWG 2002) der Auftrag erteilt, die in die Bodenaushubdeponie konsenswidrig eingebrachten Abfälle im Ausmaß von insgesamt 17.361 m3 bis spätestens nachweislich ordnungsgemäß zu entfernen und zu entsorgen. Die entsprechenden Nachweise seien der Behörde im Wege der Deponieaufsicht bis spätestens vorzulegen. Für die bisher entfernten Abfälle im Ausmaß von 5580 m3 seien der Behörde im Wege der Deponieaufsicht bis spätestens Entsorgungsnachweise vorzulegen.
Dazu führte die belangte Behörde begründend im Wesentlichen aus, aus dem Sonderbericht des Deponieaufsichtsorganes ergebe sich, dass am im Zuge einer Überprüfung festgestellt worden sei, dass von der Revisionswerberin in die Bodenaushubdeponie Abfälle in einem Ausmaß von etwa 22.941 m3 eingebracht worden seien, obwohl keine Kollaudierungsanzeige gemäß § 61 Abs. 1 AWG 2002 und keine Überprüfung der Anlage und Maßnahmen gemäß § 63 Abs. 1 AWG 2002 vorliege und daher die Abfalleinbringung außerhalb des kollaudierten Deponiebereiches erfolgt sei. Dabei mache es keinen Unterschied, ob das Material in die Deponie eingebaut oder lediglich zwischengelagert werde.
4In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin führte diese - zusammengefasst - aus, es liege keine Konsenswidrigkeit vor. Die verfahrensgegenständlichen Materialien seien nicht im Sinne einer auf den dauerhaften Verbleib der Abfälle ausgerichteten Einbringung in die Deponie in dieser abgelagert, sondern lediglich vorübergehend auf dem Deponiegelände zwischengelagert worden. Es handle sich um Material zur Rekultivierung des Deponiegeländes, das erst im Herbst 2019 angeliefert worden sei, um nach Beendigung der Deponie als Rekultivierungsschicht über den Deponiekörper verteilt zu werden. Das Material sei laut Beurteilungsnachweis der E. GmbH und Co KG vom der Kategorie „Bodenaushubmaterial der Klasse A2“ zuzuordnen. Damit sei das Material im Einklang mit den Auflagen des Genehmigungsbescheides vom auch für den Einsatz als Rekultivierungsschicht geeignet. Die Unterscheidung zwischen Einbringung in eine Deponie und Zwischenlagerung von Abfällen sei für die Frage des Bestehens einer Kollaudierungspflicht sowohl nach Maßgabe der Auflage fünf als auch gemäß § 61 Abs. 1 beziehungsweise 63 Abs. 1 AWG 2002 wesentlich. Das bloß vorübergehende Zwischenlagern von Abfällen, möge dies auch auf dem zur Nutzung als Deponie genehmigten Grundstück erfolgen, stelle weder einen Verstoß gegen Auflage fünf des Genehmigungsbescheides dar, noch werde dadurch die Pflicht zur Erstattung einer Kollaudierungsanzeige gemäß § 61 Abs. 1 AWG 2002 beziehungsweise zur Überprüfung der Anlage und Maßnahmen gemäß § 63 Abs. 1 AWG 2002 ausgelöst.
5Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: LVwG) die Beschwerde der Revisionswerberin - unter Neufestsetzung der Fristen für die Durchführung der aufgetragenen Maßnahmen und ohne Durchführung der beantragten Verhandlung - als unbegründet ab (Spruchpunkt 1.). Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt 2.).
Das LVwG legte seiner Begründung die Feststellungen zugrunde, dass die auf näher genannten Grundstücken befindliche Bodenaushubdeponie abfallrechtlich und naturschutzrechtlich genehmigt sei. Die abfallrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb dieser Bodenaushubdeponie sei der S. Ges.m.b.H. (hinsichtlich näher genannter Grundstücke) mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom im Gesamtausmaß von etwa 122.767 m2, einer Gesamtkapazität von etwa 660.000 m3, 9 Verfüllabschnitten, einem Einbringungszeitraum bis und einer Rekultivierung bis erteilt worden. Im Genehmigungsbescheid sei kein Konsens für die Errichtung und den Betrieb eines Zwischenlagers auf der Deponie erteilt worden. Lediglich auf einem (näher genannten) Grundstück in der Südecke sei die Aufstellung eines Containers zur Zwischenlagerung von insgesamt 50 t für aussortierte Abfälle bewilligt worden.
Nach Wiedergabe der Auflage fünf des Genehmigungsbescheides vom führte das LVwG weiter aus, mit Bescheid der belangten Behörde vom sei die abfallrechtliche Genehmigung im Wesentlichen dahingehend geändert worden, dass die Deponie um ein (näher genanntes) Grundstück erweitert worden sei, wodurch sich die Verfüllkubatur auf 840.000 m3, sowie die Anzahl der Deponieabschnitte auf 12 erhöht habe.
Während des Genehmigungsverfahrens sei die Anlage an die M. & Co GmbH verkauft worden. Mit Schreiben vom sei die Revisionswerberin als Konsensinhaberin der abfallrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der Bodenaushubdeponie bekanntgegeben worden. Mit Bescheid vom sei die Errichtung der Deponieabschnitte eins und zwei behördlich kollaudiert worden, mit Bescheid vom die Errichtung der Oberflächenabdeckung dieser Deponieabschnitte, sowie die Errichtung der Deponieabschnitte drei, vier und neun/eins. Mit letztgenanntem Bescheid sei auch eine Abänderung der Abschnittseinteilung und Abschnittsgrößen bewilligt worden.
Im Herbst 2019 seien von der Revisionswerberin auf einem (nicht kollaudierten) Teil der Deponie Zwischenlagerungen von Bodenaushubmaterial im Ausmaß von etwa 22.941 m3 getätigt worden. Mit Verfahrensanordnung vom sei die Revisionswerberin einerseits zur ordnungsgemäßen Entsorgung dieser Abfälle im Ausmaß von etwa 22.941 m3 und andererseits zur Vorlage entsprechender Nachweise aufgefordert worden. Bis sei ein Teil dieser Abfälle, konkret 5.580 m3, vom Deponieareal entfernt worden, wobei Entsorgungsnachweise der Abfallrechtsbehörde bis dato nicht vorgelegt worden seien.
Die Zwischenlagerungen seien im November 2019 und am messtechnisch erfasst worden. Im Zuge einer Überprüfung durch das Deponieaufsichtsorgan am sei festgestellt worden, dass diese Zwischenlagerungen weiterhin auf der gegenständlichen Bodenaushubdeponie bestünden, allerdings augenscheinlich reduziert worden seien. Aufzeichnungen beziehungsweise Entsorgungsnachweise seien der Abfallrechtsbehörde nicht vorgelegt worden. Mit dem angefochtenen Bescheid sei der Entfernungsauftrag ergangen. Die Nachweise über eine ordnungsgemäße Entfernung und Entsorgung von Materialien vom Deponieareal seien zwischenzeitlich weder der Abfallrechtsbehörde noch dem LVwG vorgelegt worden.
Beweiswürdigend führte das LVwG (unter anderem) aus, es sei unstrittig, dass hinsichtlich der Zwischenlagerungen kein Konsens bestehe. Dies werde auch von der Revisionswerberin nicht vorgebracht.
Nach Wiedergabe von Rechtsvorschriften führte das LVwG begründend zusammengefasst aus, mit dem angefochtenen Bescheid sei die Revisionswerberin gemäß § 62 Abs. 2 AWG 2002 zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes durch nachweisliche ordnungsgemäße Entfernung und Entsorgung der zwischengelagerten Abfälle von der Bodenaushubdeponie verpflichtet worden.
Maßgeblich für ein Vorgehen nach § 62 Abs. 2 AWG 2002 sei ein konsenswidriger Betrieb. § 62 Abs. 2 AWG 2002 diene der Einhaltung des Genehmigungskonsenses beim Betrieb einer Behandlungsanlage und nicht - wie etwa § 62 Abs. 3 AWG 2002 - dem Schutz der gemäß § 43 leg. cit. wahrzunehmenden Interessen durch Vorschreibung geeigneter (zusätzlicher) Maßnahmen. Vergleichsmaßstab sei aber nicht nur der Genehmigungsbescheid schlechthin, sondern jene Vorgaben, die sich aus der Rechtsordnung, insbesondere aus dem AWG 2002 sowie der Deponieverordnung 2008 (im Folgenden: DVO 2008) ergäben. Das folge daraus, dass einerseits jene Maßnahmen nach § 62 Abs. 2 AWG 2002 vorzuschreiben seien, welche zur Einhaltung der Rechtsordnung (und nicht nur des Genehmigungskonsenses) erforderlich seien. Andererseits verleihe der Genehmigungsbescheid dem Antragsteller ein individuelles Recht, welches unter anderem voraussetze, dass durch das zu genehmigende Deponieprojekt die Einhaltung der Bestimmungen der DVO 2008 garantiert sei (vgl. § 43 Abs. 4 AWG 2002).
Zu prüfen sei daher, ob die Lagerung der gegenständlichen Materialien in der genehmigten Bodenaushubdeponie dem erteilten Konsens und der Rechtsordnung, insbesondere der DVO 2008, entspreche.
Bei der Bodenaushubdeponie handle es sich unstrittig um eine nach § 37 AWG 2002 genehmigungspflichtige und grundsätzlich mit Bescheid vom genehmigte Abfallbehandlungsanlage im Sinne des § 62 AWG 2002. Gemäß § 37 Abs. 1 AWG bedürfe die Errichtung, der Betrieb und die wesentliche Änderung von ortsfesten Behandlungsanlagen der Genehmigung der belangten Behörde. Eine Behandlungsanlage sei eine ortsfeste oder mobile Einrichtung, in der Abfälle behandelt werden, einschließlich der damit unmittelbar verbundenen, in einem technischen Zusammenhang stehenden Anlagenteile (§ 2 Abs. 7 Z 1 AWG 2002). Eine abfallrechtliche Behandlung im Sinne des AWG 2002 sei jedes Verwertungs- oder Beseitigungsverfahren, einschließlich der Vorbereitung vor der Verwertung oder Beseitigung (§ 2 Abs. 5 Z 1 AWG 2002). Jedenfalls seien als abfallrechtliche Behandlung die in Anhang 2 zum AWG 2002 angeführten Behandlungsverfahren zu verstehen.
Zu den Beseitigungsverfahren zählten die Ablagerungen in oder auf dem Boden (zB. Deponien usw; D1 gemäß Anhang 2 zum AWG 2002). Auch sei die Lagerung bis zur Anwendung eines der unter D 1 bis D 14 angeführten Verfahren (ausgenommen die zeitweilige Lagerung - bis zur Sammlung - auf dem Geländer der Entstehung der Abfälle) als Beseitigungsverfahren einzustufen. Nach Wiedergabe des § 2 Abs. 7 Z 4 AWG 2002 führte das LVwG weiter aus, im gegenständlichen Fall sei die Lagerung auf einer Bodenaushubdeponie erfolgt, also auf einer Abfallbehandlungsanlage (wird näher ausgeführt). Als Abfallbehandlungsanlage sei die Behandlungsanlage in ihrer Gesamtheit (etwa eine Deponie mit den entsprechenden Einrichtungen, wie Zwischenlager, Labor, Gebäude des Personals) und andererseits ein bestimmter Anlagenteil einer Produktionsanlage (etwa eine betriebseigene Deponie oder eine Verbrennungsanlage im Zusammenhang mit einer Produktionsanlage) zu verstehen. Es bestehe unzweifelhaft sowohl ein örtlicher als auch sachlicher Zusammenhang zwischen der Deponie und den Zwischenlagerungen, hätten diese doch am festgestellten Deponieareal stattgefunden, sodass die Zwischenlagerung mit der Bodenaushubdeponie eine Einheit bilde.
Gemäß § 34 Abs. 2 DVO 2008 sei ein Lagern oder Zwischenlagern von Abfällen, einschließlich ein kurzzeitiges Lagern vor oder nach einer Behandlung, nur in einer dafür genehmigten „anderen Anlage“ (Anm.: siehe dazu unten) innerhalb des Deponiebereichs oder in einem Zwischenlager gemäß § 33 Abs. 1 oder bei Abfällen zur Deponierung im Zuge der Eingangskontrolle entsprechend § 18 Abs. 2 im Ablagerungsbereich des Deponiekörpers zulässig. Nach § 34 Abs. 3 DVO 2008 gelte Abs. 1 und 2 nicht für Kompartimente, bei denen die endgültige Oberflächenabdeckung aufgebracht sei.
Gemäß § 33 Abs. 1 DVO 2008 habe der Deponieinhaber im Deponiebereich getrennt vom Deponiekörper geeignete Einrichtungen, insbesondere für die Übernahme und die Eingangskontrolle von Abfällen (sofern nicht eine Ausnahme gemäß § 18 Abs. 1 genehmigt sei), einschließlich Abstell- und Umkehrflächen für Anlieferfahrzeuge, und das auf der Deponie beschäftigte Personal vorzusehen. Sofern Abfälle vor der Annahme und den Einbau in den Deponiekörper zwischengelagert werden sollten, etwa bei Verdacht auf eine unzulässige Kontamination, seien geeignete Zwischenlager getrennt vom Deponiekörper einzurichten. Für diese Zwischenlager gelte § 34 Abs. 1 Z 1 bis 3 sinngemäß.
Zumindest seit Inkrafttreten der DVO 2008 stelle ein Zwischenlager auf einer Deponie eine „andere Anlage“ im Sinne des § 34 Abs. 2 leg. cit dar und sei somit nach § 37 AWG 2002 genehmigungspflichtig. Dies bedeute konkret, dass der erteilte Konsens einer rechtlichen Erweiterung für die Zwischenlagerungen bedürfe. Anhaltspunkte dafür, dass die Zwischenlagerungen auf den abgeschlossenen, endkollaudierten Abschnitten erfolgt seien, lägen nicht vor und sei dies von der Revisionswerberin auch nicht behauptet worden.
Zwar liege nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kein Fall von Einbringung in die Deponie (im engeren Sinn) vor, wenn Abfall in der Deponie nicht abgelagert, sondern nur zwischengelagert werde, allerding bildeten die Zwischenlagerungen mit der Deponie eine Einheit. Da für diese Zwischenlagerungen kein abfallrechtlicher Konsens bestehe, werde die Deponie in ihrer Gesamtheit konsenswidrig betrieben. Ein konsenswidriger Betrieb liege aufgrund der mangelnden Genehmigung für die Zwischenlagerungen vor. Die Erteilung des angefochtenen Maßnahmenauftrages gemäß § 62 Abs. 2 AWG 2002 sei bereits deshalb erforderlich gewesen, weil nur dadurch die Erfüllung der missachteten Verpflichtungen im Sinne des AWG 2002 gewährleistet werde.
Da der konsenswidrige Betrieb der Bodenaushubdeponie aus der konsenslosen Errichtung beziehungsweise dem Betrieb eines Abfallzwischenlagers resultiere, erübrige sich eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen in der Beschwerde, ob eine Kollaudierungspflicht gemäß § 63 Abs. 1 AWG 2002 bestanden habe.
Von einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, weil die Rechtsfrage „ob für die verfahrensrelevanten Zwischenlagerungen ein abfallrechtlicher Konsens vorliege“, zu lösen gewesen sei. Eine mündliche Erörterung hätte somit eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lassen und stünden einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen.
6Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, es wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
7Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8Die Revision erweist sich angesichts der Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung zum Abweichen des LVwG von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung als zulässig.
9§ 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 138/2017, lautet auszugsweise:
„Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1.der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder
2.die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;
3.wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
...“
§ 62 AWG 2002, BGBl. I Nr. 102/2002 in der Fassung BGBl. I Nr. 71/2019, lautet auszugsweise:
„Überwachung von Behandlungsanlagen und Maßnahmen für die Betriebs- und Abschlussphase
§ 62.
...
(2) Besteht der Verdacht eines konsenswidrigen Betriebs einer Behandlungsanlage, die gemäß den § 37, 52 oder 54 genehmigungspflichtig ist, so hat die Behörde - unabhängig von der Einleitung eines Strafverfahrens - den Inhaber einer Behandlungsanlage zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustands innerhalb einer angemessenen Frist aufzufordern. Kommt der Inhaber dieser Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so hat die Behörde mit Bescheid die zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustands erforderlichen, geeigneten Maßnahmen, wie die Stilllegung von Maschinen oder die teilweise oder gänzliche Schließung, zu verfügen.
...“
10§ 62 Abs. 2 AWG 2002 kommt zur Anwendung, wenn der Verdacht eines konsenswidrigen Betriebs einer Behandlungsanlage besteht. Die mit dieser Bestimmung behördlich verfügte Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes dient somit auch der Einhaltung von erteilten Auflagen (vgl. zum Ganzen , mwN; sowie Scheichl/Zauner/Berl, AWG 2002, Rz 15 zu § 62).
11Der Verwaltungsgerichtshof hielt in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG bereits wiederholt fest, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen habe. Ferner komme eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage. Bei maßgeblichem sachverhaltsbezogenen Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien sei ebenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dies sogar dann, wenn kein Antrag auf eine solche gestellt worden sei (vgl. etwa , mwN). Weiter führte der Verwaltungsgerichtshof bereits aus, dass Zweck einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht grundsätzlich nicht nur die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch das Rechtsgespräch und die Erörterung der Rechtsfragen sei (vgl. , Rn. 12, mwN).
12Die Revisionswerberin brachte in ihrer Beschwerde vor, das verfahrensgegenständliche Bodenaushubmaterial werde nicht in die Deponie eingebracht, sondern nur für spätere Rekultivierungsmaßnahmen zwischengelagert, was keinen Verstoß gegen den Genehmigungsbescheid darstelle. Das LVwG teilte - anders als die belangte Behörde - die Rechtsansicht der Revisionswerberin, dass das Einbringen in die Deponie rechtlich anders zu beurteilen sei als eine Zwischenlagerung, kam hinsichtlich der Zwischenlagerung jedoch - anders als die Revisionswerberin - zu dem Ergebnis, dass diese nicht konsensgemäß sei. Dabei stützte es seine Entscheidung tragend auf eine Rechtsansicht - nämlich auf das Vorhandensein einer „anderen Anlage“ gemäß § 34 Abs. 2 DVO 2008 -, die nicht Gegenstand des bisherigen Verfahrens war und zu der die Revisionswerberin nie die Möglichkeit hatte, sich zu äußern (vgl. ).
Vor diesem Hintergrund hätte das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt.
13Ist eine Verhandlung gemäß Art. 6 EMRK geboten, ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. aus vielen , mwN). Verfahren betreffend behördliche Beseitigungsaufträge von baulichen Anlagen fallen unter Art. 6 EMRK (vgl. etwa ). Die bei Erteilung eines abfallwirtschaftsrechtlichen Auftrages zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes gemäß § 62 Abs. 2 AWG 2002 verhängten Maßnahmen (konkret ein Entfernungsauftrag) treffen als Adressaten den Inhaber der Behandlungsanlage (vorliegend unstrittig die Revisionswerberin; vgl. weiters zum Inhaberbegriff , mwN), als solcher hat dieser (jedenfalls auch) die wirtschaftlichen Auswirkungen zu tragen. Im Lichte dieser Überlegung sowie vor dem Hintergrund der unmittelbaren Nahebeziehung eines Auftrages gemäß § 62 Abs. 2 AWG 2002 zur abfallrechtlichen Genehmigung von Behandlungsanlagen (vgl. zur Untersagung einer Gewerbeausübung etwa , mwN) stellt ein Entfernungsauftrag zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes gemäß § 62 Abs. 2 AWG 2002 ebenfalls eine Angelegenheit der „civil rights“ dar und fällt unter die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK (vgl. in diesem Sinne zu behördlichen Aufträgen ; vgl. weiters im Hinblick auf die Erwerbsausübungsfreiheit zu Deponierungsbeschränkungen sowie zu Überlegungen aus dem in diesem Verfahren ergangenen Prüfungsbeschluss zu im Rahmen des Abfallwirtschaftsrechtes normierten „wirtschaftseinengenden Maßnahmen mit umweltpolitischen Hintergrund“ VfSlg. 17.777/2006).
14Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021050007.L00 |
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