VwGH vom 07.02.2022, Ra 2021/04/0145

VwGH vom 07.02.2022, Ra 2021/04/0145

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revisionen des B A in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien jeweils vom , Zlen. 1. VGW-121/043/10546/2020-2 (hg. protokolliert zu Ra 2021/04/0145) und 2. VGW-121/043/10545/2020-24 (hg. protokolliert zu Ra 2021/04/0146), jeweils betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revisionen werden als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

11. Mit Bescheiden jeweils vom entzog der Magistrat der Stadt Wien (belangte Behörde) dem Revisionswerber, einem israelischen Staatsangehörigen, nach § 88 Abs. 1 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) die Gewerbeberechtigungen „Schuhmacher (Handwerk) eingeschränkt auf das Instandsetzen von Schuhen“ sowie „Metalltechnik für Metall- und Maschinenbau, eingeschränkt auf die Anfertigung von Schlüsseln mittels Kopierfräsmaschinen“ jeweils in einem näher bezeichneten Standort. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Gewerbeberechtigung sei zu entziehen gewesen, weil der Revisionswerber nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei.

22. Mit den beiden - inhaltlich weitgehend gleichlautenden - angefochtenen Erkenntnissen wies das Verwaltungsgericht Wien die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

3Das Verwaltungsgericht stellte zusammengefasst fest, der Revisionswerber verfüge über die in Rn. 1 angeführten Gewerbeberechtigungen. Er halte sich weder als Asylwerber noch aufgrund eines anerkannten Aufenthaltstitels in Österreich auf. Er habe zwar am einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt, das betreffende Verfahren sei aber am eingestellt worden. Der seitens des Revisionswerbers ins Treffen geführte Umstand, wonach keine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vorliege, könne die Tatsache, dass der Revisionswerber über keinen gültigen Aufenthaltstitel in Österreich verfüge, nicht in Zweifel ziehen. Auch das behauptete anhängige Verfahren in Ungarn könne den aktuellen unrechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich nicht beheben. Zudem sei für diese Behauptung kein substantiiertes Beweisvorbringen erstattet worden und die vom Verwaltungsgericht diesbezüglich eingeräumte Frist sei ungenützt verstrichen.

4In rechtlicher Hinsicht verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass der Entziehungstatbestand des § 88 Abs. 1 GewO 1994 an die Regelungen des § 14 GewO 1994 betreffend die Gewerbeausübung durch ausländische natürliche Personen anknüpfe. § 88 Abs. 1 GewO 1994 verpflichte die Gewerbebehörde, die Gewerbeberechtigung zu entziehen, wenn sich der Betreffende nicht mehr legal in Österreich aufhalte. Dabei sei der Gewerbebehörde kein Ermessensspielraum eingeräumt. Da der Revisionswerber über keinen aufrechten Aufenthaltstitel in Österreich verfüge, lägen die Voraussetzungen für eine Entziehung nach § 88 Abs. 1 GewO 1994 vor. Daran ändere auch nichts, dass gegen den Revisionswerber keine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliege. Für seine Behauptung eines in Ungarn anhängigen Aufenthaltsverfahrens habe der Revisionswerber kein substantiiertes Vorbringen erstattet. Die Entziehung der Gewerbeberechtigung gemäß § 88 Abs. 1 GewO 1994 sei somit zu Recht erfolgt.

53. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden - ebenfalls im Wesentlichen gleichlautenden - außerordentlichen Revisionen.

6Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe nicht geklärt, ob sich der Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers seit Erteilung der Gewerbeberechtigung geändert habe, obwohl § 88 Abs. 1 GewO 1994 eine Entziehung nur dann vorsehe, wenn sich der Aufenthaltsstatus „negativ verändert“ habe. Da der Revisionswerber die Gewerbeberechtigungen aufgrund einer Gleichstellungsbestimmung erhalten habe und auch weiterhin gleichgestellt sei, sei nicht klar, weshalb ihm die Gewerbeberechtigungen entzogen worden seien. Es liege daher ein unzulässiger Eingriff in die Rechtskraftwirkung des Bescheides aus dem Jahr 1995 vor.

7Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision unter Zuspruch der Kosten zurück- bzw. abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

84. Die Revision erweist sich aufgrund des dargestellten Vorbringens des Revisionswerbers mangels Rechtsprechung zur aufgeworfenen Rechtsfrage als zulässig, sie ist aus den nachfolgenden Gründen aber nicht berechtigt.

95. Die maßgeblichen Bestimmungen der GewO 1994, BGBl. Nr. 194 in der Fassung BGBl. I Nr. 45/2018 (§ 14) bzw. BGBl. I Nr. 85/2013 (§ 88), lauten auszugsweise:

§ 14. (1) Ausländische natürliche Personen dürfen, sofern dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt, Gewerbe wie Inländer ausüben, wenn dies in Staatsverträgen festgelegt worden ist. Angehörige von Staaten, mit denen kein derartiger Staatsvertrag abgeschlossen wurde, Personen, denen Asyl gewährt wird, oder Staatenlose dürfen, sofern dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt, Gewerbe wie Inländer ausüben, wenn sie sich nach den für sie in Betracht kommenden Rechtsvorschriften zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit bereits in Österreich aufhalten dürfen. Für Drittstaatsangehörige, die noch nicht rechtmäßig aufhältig sind (Erstantragsteller) und in Österreich ein Gewerbe ausüben wollen, ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels, der die Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zulässt, zur rechtmäßigen Ausübung dieses Gewerbes erforderlich.

[...]

§ 88. (1) Die Gewerbeberechtigung ist von der Behörde (§ 361) zu entziehen, wenn sich der Gewerbeinhaber nach den für ihn in Betracht kommenden Rechtsvorschriften nicht mehr zulässigerweise in Österreich aufhält.

[...]“

106.1. Nach Ansicht des Revisionswerbers sieht § 88 Abs. 1 GewO 1994 eine Entziehung der Gewerbeberechtigung nur vor, wenn eine Aufenthaltsberechtigung weggefallen ist und sich der Aufenthaltsstatus somit geändert hat. Habe es keine Änderung des Aufenthaltsstatus gegeben, dann könne die belangte Behörde nur im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens vorgehen. Im vorliegenden Fall habe sich der Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers aber höchstens verbessert. Das Verwaltungsgericht habe jedoch keine Feststellungen zum Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers seit Erteilung der Gewerbeberechtigungen im Jahr 1995 getroffen. Ein Hinweis auf eine erfolgte Änderung dieses Status fehle. Der Revisionswerber habe die Gewerbeberechtigungen auf Grund der Gleichstellungsbestimmung (gemäß § 14 Abs. 2 GewO 1994 in der damals maßgeblichen Fassung) erhalten. Da er weiter gleichgestellt sei, sei unklar, weshalb ihm die Gewerbeberechtigungen entzogen worden seien. Es liege somit ein unzulässiger Eingriff in die Rechtskraft vor.

116.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass für die Ausübung eines Gewerbes durch eine ausländische natürliche Person grundsätzlich ein - diesen Aufenthaltszweck deckender - Aufenthaltstitel erforderlich ist, welcher durch die zuständige Behörde nach den nationalen fremdenrechtlichen Vorschriften zu erteilen ist (vgl. ; , 2011/03/0174; , Ra 2019/01/0045, Rn. 12). Nach den insoweit unstrittigen Feststellungen in den angefochtenen Erkenntnissen verfügt der drittstaatsangehörige Revisionswerber in Österreich über keinen Aufenthaltstitel.

126.3. Dem Vorbringen des Revisionswerbers, die Entziehung seiner Gewerbeberechtigung gemäß § 88 Abs. 1 GewO 1994 sei im Hinblick auf den Wortlaut dieser Bestimmung („nicht mehr zulässigerweise in Österreich aufhält“) unzulässig, weil er in Österreich nie über einen Aufenthaltstitel verfügt und sich sein Aufenthaltsstatus daher nicht verändert habe, ist Folgendes entgegenzuhalten:

13Mit der Neuregelung der §§ 14 und 88 GewO 1994 durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 111/2002 ist der (bis dahin vorgesehene) Nachweis der Gegenseitigkeit entfallen. Stattdessen sollte bei Ausländern, denen die Gewerberechtsfähigkeit nicht durch Staatsvertrag garantiert ist, das Recht zur Ausübung eines Gewerbes vom legalen Aufenthalt in Österreich abhängig gemacht werden (vgl. RV 1117 BlgNR 21. GP 74). Die Berechtigung zur Ausübung eines Gewerbes soll - abgesehen von den Fällen, in denen sich die Berechtigung unmittelbar aus einem Staatsvertrag ergibt (vgl. § 14 Abs. 1 erster Satz GewO 1994) - nur jenen ausländischen natürlichen Personen zukommen, die über einen aufenthaltsrechtlichen Status zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit verfügen. Der Entziehungstatbestand des § 88 Abs. 1 GewO 1994 knüpft somit erkennbar an die Vorgaben des § 14 GewO 1994 an (vgl. auch Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, GewO4 [2020] § 88 Rz. 3).

14Der Verwaltungsgerichtshof hat (wenn auch in einem Fall betreffend die Löschung einer Gewerbeberechtigung gemäß § 363 Abs. 4 GewO 1994) bereits festgehalten, dass die aus § 88 Abs. 1 GewO 1994 ableitbaren öffentlichen Interessen in einem Größenschluss umso mehr für den Fall gelten, in dem sich der Gewerbetreibende niemals legal in Österreich aufgehalten hat (siehe ). Ausgehend davon ist die Gewerbeberechtigung von der Behörde nach § 88 Abs. 1 GewO 1994 auch dann zu entziehen, wenn sich der Gewerbeinhaber niemals zulässigerweise in Österreich aufgehalten hat (vgl. auch Gruber/Paliege-Barfuß, GewO7, 18. Erg.-Lfg., § 88 Rz. 1a; Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, GewO4 [2020] § 88 Rz. 3). Würde man der Auslegung des Revisionswerbers folgen, würde dies zu einer nicht nachvollziehbaren Besserstellung von Personen führen, die von Anfang an über keinen Aufenthaltstitel verfügt haben und daher nie zur Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit berechtigt waren.

15Auf die vom Revisionswerber behaupteten Feststellungsmängel im Zusammenhang mit seiner aufenthaltsrechtlichen Stellung seit 1995 (bzw. allfällige Änderungen in dieser) kommt es somit nicht an. Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidung über die Entziehung der Gewerbeberechtigungen des Revisionswerbers durch die belangte Behörde vielmehr zutreffend bestätigt.

16Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang noch auf die (im Jahr 1995 ausgesprochene) Gleichstellung nach § 14 Abs. 2 GewO 1994 in der Fassung vor BGBl. I Nr. 111/2002 verweist, genügt der Hinweis, dass der Nachweis der Gleichstellung durch die eben zitierte Novelle zur GewO 1994 - ohne Übergangsbestimmung - entfallen ist.

177.1. Der Revisionswerber bringt weiters vor, das Verwaltungsgericht habe keine Feststellungen zu seiner aufenthaltsrechtlichen Stellung in Ungarn getroffen. In einem anderen Verfahren habe das Bundesverwaltungsgericht eine Anfrage an die ungarischen Behörden gestellt, durch die sich herausgestellt habe, dass der Revisionswerber in Ungarn aufenthaltsberechtigt sei. Der Revisionswerber dürfe sich daher jedenfalls temporär auch in Österreich aufhalten.

187.2. Damit zeigt der Revisionswerber schon deshalb keinen relevanten Verfahrensfehler auf, weil es ihm aufgrund seiner Mitwirkungspflicht oblegen wäre, das Vorliegen einer (zur Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit berechtigenden) Aufenthaltsberechtigung nachzuweisen (vgl. dazu RV 1117 BlgNR 21. GP 87). Der Revisionswerber hat in seinen Beschwerden gegen die (in Rn. 1 dargestellten) Bescheide der belangten Behörde bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bloß (und auch dies ohne nähere Substantiierung) auf einen in Ungarn gestellten (noch nicht erledigten) Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bzw. auf das nach wie vor anhängige Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels in Ungarn verwiesen. Damit wurde der Nachweis des Vorliegens einer Aufenthaltsberechtigung im eingangs dargestellten Sinn aber nicht erbracht. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung am aufgetragen hat, das Ergebnis des in Ungarn anhängigen Verfahrens bis zum  mitzuteilen, eine solche Mitteilung aber unterblieben ist.

198. Die Revision erweist sich somit als nicht begründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

20Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil das Verwaltungsgericht, ein Tribunal im Sinn des Art. 6 EMRK bzw. ein Gericht im Sinn des Art. 47 GRC, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.

21Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021040145.L00

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.