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VwGH vom 18.03.2022, Ra 2021/04/0001

VwGH vom 18.03.2022, Ra 2021/04/0001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. des MMag. S B und 2. der Dr. M B, beide in L und beide vertreten durch Univ. Doz. Dr. Thomas Walzel von Wiesentreu, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Museumstraße 28/4. Stock, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , Zl. LVwG-2020/25/2377-1, betreffend ein gewerberechtliches Betriebsanlagengenehmigungsverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Lienz; mitbeteiligte Partei: M GmbH in V), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

11. Mit Bescheid vom erteilte die Bezirkshauptmannschaft Lienz (belangte Behörde) der mitbeteiligten Partei die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung eines Lebensmittelmarktes mit angeschlossenem Gastronomiebetrieb an näher bezeichnetem Standort nach Maßgabe der vorgelegten Projektunterlagen und unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen. Unter einem wurden einzelne „Vorbringen der Nachbarn, die objektiv-öffentlich-rechtliche Einwendungen darstellen und nicht auf den Einwendungserfordernissen des § 74 Abs. 2 Ziffern 1 oder 2 GewO 1994 fußen“, als unzulässig zurückgewiesen; hinsichtlich der revisionswerbenden Parteien betraf dies die „Punkte I lit. a (Sicherheit, Gesundheit unter Hinweis auf IG-L), I lit. b (öffentlicher Verkehr) und lit. c (Verdacht der Kontamination).

22. Die dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien wies das Landesverwaltungsgericht Tirol - soweit für die vorliegende Revisionssache relevant - mit dem angefochtenen Beschluss vom als unzulässig zurück und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.

3Das Verwaltungsgericht stellte fest, die revisionswerbenden Parteien hätten am (und somit am Tag vor der mündlichen Verhandlung) bei der belangten Behörde inhaltlich gleichlautende Stellungnahmen mit (auf das Wesentlichste zusammengefasst) folgendem Inhalt erstattet:

Die revisionswerbenden Parteien hätten angegeben, dass grundsätzlich gegen die Errichtung und den Betrieb des vorgesehenen Lebensmittelmarktes nach Maßgabe nachstehender Einschränkungen keine Einwände bestünden. Als Verletzung subjektiver Rechte hätten sie geltend gemacht, dass „im Hinblick auf Lärm [...] Einwände zum Schutz der anwohnenden Kinder gemacht werden müssten“. Es sei eine Lärmschutzwand als Abgrenzung der Verkehrszufahrtsfläche gefordert worden; zudem sollten Baumpflanzungen zum Schutz vor anfallenden Lichtimmissionen und zur Minderung der Feinstaubbelastung vorgenommen werden. Durch das erhöhte Verkehrsaufkommen sei eine zusätzliche Luftverschmutzung und Belastung der Anrainer zu befürchten. Zudem sei das lärmtechnische Gutachten unschlüssig und die Befunderhebung sei zur falschen Zeit erfolgt. Im Hinblick darauf sei eine individuelle medizinische Untersuchung der zusätzlichen Lärmbelastungen und der negativen gesundheitlichen Folgen erforderlich. Es sei - so die revisionswerbenden Parteien weiter - zu erwarten, dass der Betrieb der Gästeterrasse für die umliegenden Anrainer akustisch stark wahrnehmbar sein werde. Die Lichtimmissionen ließen direkte Einwirkungen auf die - in den Obergeschoßen der umgebenden Anrainergebäude gelegenen - Schlafräume erwarten. Zum derzeit eingereichten Projekt könnten die revisionswerbenden Parteien daher keine Zustimmung erteilen.

In der mündlichen Verhandlung hätten die revisionswerbenden Parteien - so das Verwaltungsgericht weiter - auf das Vorbringen in den Stellungnahmen verwiesen und betont, dass die Lärmschutzwand bzw. die Vornahme von Bepflanzungsmaßnahmen der wesentlichste Punkt sei.

4In seinen rechtlichen Erwägungen hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, eine zulässige Einwendung liege nur vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines konkreten subjektiven Rechts geltend mache. Ein Recht auf Vorschreibung bestimmter Auflagen (wie der geforderten Lärmschutzwand) komme den revisionswerbenden Parteien nicht zu. Zudem hätten sie angegeben, dass „grundsätzlich gegen die Errichtung und den Betrieb nach Maßgabe nachstehender Einschränkungen keine Einwände“ bestünden. Durch die Betonung, zu Gesprächen mit der Antragstellerin (über die Sichtschutzwand mit Lärmschutzfunktion) bereit zu sein, seien keine Einwendungen im Rechtssinn erhoben worden. Soweit die revisionswerbenden Parteien auf die Lärm- bzw. Lichtquelle verwiesen hätten, finde sich nirgendwo die Behauptung, dass dies unzumutbare Belästigungen oder Gefährdungen im Sinn des § 74 Abs. 2 GewO 1994 zur Folge hätte. Mit dem Vorbringen, durch die Errichtung einer Lärmschutzwand könne auch die zu befürchtende zusätzliche Feinstaubbelastung vermindert werden, werde keine auf die Errichtung oder den Betrieb der beantragten Betriebsanlage unmittelbar zurückzuführende Änderung der örtlichen Verhältnisse, durch die die revisionswerbenden Parteien konkret gefährdet oder belästigt würden, geltend gemacht. Da einem Nachbarn die Wahrnehmung anderer als eigener subjektiv-öffentlicher Rechte nicht zustehe, hätten die zum Schutz der anwohnenden Kleinkinder erhobenen Einwände keine Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte zum Inhalt. Auch im Hinblick auf die befürchteten lärm- und lichtbedingten Einwirkungen auf die Schlafräume der umliegenden Anrainergebäude würden lediglich allgemeine Einwirkungen auf die Nachbarschaft behauptet, nicht jedoch eine unzumutbare Belästigung oder Gefährdung der revisionswerbenden Parteien selbst. Im Ergebnis hätten die revisionswerbenden Parteien daher nicht behauptet, durch eine der von ihnen aufgezeigten Immissionen unzumutbar belästigt oder gefährdet zu werden, weshalb die Beschwerden mangels Erhebung qualifizierter Einwendungen und damit mangels aufrechter Parteistellung zurückzuweisen gewesen seien.

53. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragt.

7Mit Eingabe vom übermittelte die belangte Behörde in der Folge noch ein Schreiben der mitbeteiligten Partei vom , in dem diese angab, ihren Antrag auf Genehmigung des hier gegenständlichen Lebensmittelmarktes zurückzuziehen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

81. Zur Eingabe der belangten Behörde vom genügt der Hinweis, dass eine Zurückziehung eines Antrags gemäß § 13 Abs. 7 AVG nach Eintritt der Rechtskraft der - diesen Antrag erledigenden - Entscheidung nicht mehr möglich ist (vgl. ; Rn. 27, mwN).

92. Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Zulässigkeit der Revision ua. vor, das Verwaltungsgericht habe die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätze zum Erwerb bzw. Verlust der Parteistellung im gewerbebehördlichen Verfahren sowie zur Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Rechte falsch ausgelegt.

10Die Revision erweist sich ausgehend davon als zulässig und auch als berechtigt.

113.1. Bei den revisionswerbenden Parteien handelt es sich unbestrittener Maßen um Nachbarn der gegenständlich beantragten Betriebsanlage. Ein Verlust der Parteistellung als Nachbar im Sinn des § 75 Abs. 2 GewO 1994 kann im Fall der Durchführung einer ordnungsgemäß kundgemachten Verhandlung in Verbindung mit dem Unterlassen der Erhebung von Einwendungen eintreten (vgl. , Rn. 5, mwN).

12Eine dem § 42 AVG entsprechende Einwendung liegt nur dann vor, wenn sie spezialisiert ist und jedenfalls erkennbar ist, welche Rechtsverletzung behauptet wird. Der Einwendung muss jedenfalls entnommen werden können, welcher Art das geltend gemachte subjektive Recht ist. Einwendungen müssen nicht begründet werden; es genügt die Behauptung einer Verletzung in Bezug auf ein bestimmtes Recht (vgl. zu allem , Rn. 27, mwN).

13Eine Einwendung im Rechtssinn liegt nach der hg. Rechtsprechung nur vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines subjektiven Rechts geltend macht, wobei die Erklärungen nicht nur ihrem Wortlaut nach sondern auch nach ihrem Sinn zu beurteilen sind. An die Behörde gerichtete Erinnerungen bzw. Aufforderungen, ihrer amtswegigen Prüfpflicht nachzukommen, Befürchtungen bzw. Vermutungen, der Genehmigungswerber werde in Überschreitung des Konsenses weitere Tätigkeiten entfalten bzw. sich nicht an die Vereinbarungen halten, sind ebenso wie bloße Hinweise auf die von der Behörde bei Genehmigung zu beachtenden Punkte nicht als geeignete Einwendungen zu werten (vgl. , Rn. 7; sowie erneut VwGH Ra 2016/04/0043, Rn. 5, mwN).

14Um als Einwendung angesehen werden zu können, muss eine Stellungnahme eine Konkretisierung in Ansehung der erforderlichen sachverhaltsmäßigen Bezugspunkte als Voraussetzung für eine persönliche Gefährdung oder Belästigung des Nachbarn erkennen lassen (vgl. , mwN).

15Dem betreffenden Vorbringen muss jedenfalls entnommen werden können, dass überhaupt die Verletzung eines subjektiven Rechtes behauptet wird, und ferner, welcher Art dieses Recht ist; das heißt, es muss auf einen oder mehrere der im § 74 Abs. 2 Z 1, 2, 3 oder 5 GewO 1994, im Falle des § 74 Abs. 2 Z 2 leg. cit. auf einen oder mehrere der dort vorgesehenen Alternativtatbestände (Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder eine „in anderer Weise“ auftretende Einwirkung) abgestellt sein. Ein lediglich allgemein gehaltenes, nicht auf die konkreten Verhältnisse des Beteiligten abgestelltes Vorbringen stellt schon begrifflich keine Behauptung der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes im Sinn des Rechtsbegriffes einer Einwendung dar (vgl. , mwN).

163.2. Im vorliegenden Fall brachten die revisionswerbenden Parteien in ihren gleichlautenden Stellungnahmen vom (und zwar in jenem Teil des Vorbringens, der nicht bereits von der belangten Behörde als unzulässig zurückgewiesen wurde) unter anderem Folgendes vor:

Unter dem Aspekt „Lärm“ wurde als Abgrenzung der Verkehrszufahrtsfläche eine Lärmschutzwand gefordert, zusätzlich sollten natürliche Anpflanzungen vorgenommen werden. Das Lärmschutzgutachten wurde als angreifbar und unschlüssig erachtet, zumal durch den geplanten Lebensmittelmarkt zu den bereits vorhandenen Emissionsquellen eine Reihe neuer Belastungen hinzukämen (verwiesen wurde ua. auf die Kundenfrequenz am Parkplatz samt dem Schlagen von Autotüren, auf die Anliefer-LKW und deren Kühlaggregate sowie auf die Gästeterrasse) und der Sachverständige den planungstechnischen Grundsatz nicht als erfüllt erachtet habe. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass laut Einreichplan eine bestehende lärmschützende Baumreihe zur Gänze wegfallen und damit der Straßenlärm deutlich weniger abgeschirmt sein werde. Abschließend verwiesen die revisionswerbenden Parteien ausdrücklich darauf, dass gerade ihr Haus im ersten Obergeschoß (Schlafräume) besonders betroffen sei. Bei den „Lichtimmissionen“ wurde erneut auf den Lichtschutz durch die (wegfallenden) dichten Bäume sowie auf zusätzliche Lichtquellen wie die Scheinwerferlichter der Kundenfahrzeuge hingewiesen, wobei zu befürchten sei, dass der Lichtstrahl direkt die Ausrichtung der Obergeschoße der anrainenden Parteien treffen werde. Ins Treffen geführt wurde, dass die geforderte Lärmschutzwand sowie die Pflanzung einer dichten Baumreihe auch dieses Problem abmildern würden.

173.3. Ausgehend von einer am Sinn dieses Vorbringens orientierten Beurteilung (vgl. insoweit ) erweist sich die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, die revisionswerbenden Parteien hätten damit lediglich allgemeine, nicht auf ihre konkreten Verhältnisse abgestellte Einwendungen erstattet, als verfehlt.

18Auch wenn die revisionswerbenden Parteien teilweise allgemein auf die „umliegenden Anrainer“ bzw. die „anwohnenden Kleinkinder“ Bezug nehmen, wird (abgesehen von der Verwendung der Worte „ich“ sowie „uns“) jedenfalls im Hinblick auf die ins Treffen geführten Lärmimmissionen ausdrücklich auf die besondere Betroffenheit des eigenen Hauses hingewiesen (und auch für die Lichtimmissionen ist dies im Ergebnis erkennbar, wenn auf die Ausrichtung der Obergeschoße und damit der Schlafräume Bezug genommen wird). Damit wird aber auf die konkreten Verhältnisse der revisionswerbenden Parteien abgestellt und eine persönliche Betroffenheit bzw. eine Verletzung in eigenen subjektiven Rechten geltend gemacht (vgl. ; der vorliegende Fall unterscheidet sich daher auch von der Konstellation, die dem - vom Verwaltungsgericht begründend herangezogenen - hg. Erkenntnis , zugrunde lag). Angesichts der weiteren Ausführungen (wie etwa der Forderung nach einer medizinischen Bewertung der negativen gesundheitlichen Folgen) lässt sich der Stellungnahme (gemessen an ihrem Sinn) jedenfalls die Befürchtung der revisionswerbenden Parteien entnehmen, persönlich durch die von der beantragten Betriebsanlage ausgehenden Lärm- bzw. Lichtemissionen unzumutbar belästigt oder gefährdet zu werden. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten hg. Rechtsprechung handelte es sich insoweit daher um zulässige Einwendungen.

19Somit erübrigt es sich aber, auf das Vorbringen in der Stellungnahme der revisionswerbenden Parteien betreffend die Feinstaubbelastung sowie auf das vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ins Treffen geführte hg. Erkenntnis , einzugehen.

20Soweit das Verwaltungsgericht vermeint, die revisionswerbenden Parteien hätten sich mit dem Projekt grundsätzlich einverstanden erklärt, weshalb ihre Einwendungen nicht als solche nach § 74 Abs. 2 GewO 1994 anzusehen seien, ist dem schon der Wortlaut der Stellungnahme der revisionswerbenden Parteien entgegenzuhalten, dem zufolge „nach Maßgabe nachstehender Einschränkungen“ grundsätzlich gegen die Errichtung und den Betrieb des vorgesehenen Lebensmittelmarktes keine Einwände bestünden. Ausgehend davon kann die Erklärung der revisionswerbenden Parteien nur so verstanden werden, dass ihre grundsätzliche Zustimmung ausdrücklich an die Berücksichtigung ihrer Einwendungen geknüpft sein sollte (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation ).

21Das Verwaltungsgericht hätte daher nicht davon ausgehen dürfen, dass die revisionswerbenden Parteien mangels Erhebung qualifizierter Einwendungen ihre Parteistellung verloren haben.

224. Da die Zurückweisung der Beschwerden der revisionswerbenden Parteien durch den angefochtenen Beschluss somit auf einer unzutreffenden Rechtsansicht beruhte, war der Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

23Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 53 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021040001.L00

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