Suchen Hilfe
VwGH vom 30.09.2011, 2011/11/0140

VwGH vom 30.09.2011, 2011/11/0140

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner sowie Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des S G in S, vertreten durch Dr. Charlotte Lindenberger, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Grünmarkt 15, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz (nunmehr: für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) vom , Zl. 44.140/35-7/08, betreffend Zurückweisung der Berufung i.A. Zustimmung zur Kündigung (mitbeteiligte Partei: H P GesmbH Co KG in N, vertreten durch Dr. Josef Lechner, Dr. Ewald Wirleitner, Mag. Claudia Oberlindober und Dr. Hubert Niedermayr, Rechtsanwälte in 4400 Steyr, Grünmarkt 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Behindertenausschusses beim Bundessozialamt, Landesstelle Oberösterreich, vom wurde über Antrag der mitbeteiligten Partei auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz - BEinstG dahin entschieden, dass dem Antrag auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung nicht stattgegeben und der ausgesprochenen Kündigung die Zustimmung nicht erteilt werde (Spruchpunkt 1), jedoch dem in diesem Antrag enthaltenen Eventualantrag auf Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Beschwerdeführers stattgegeben und der beabsichtigten Kündigung die Zustimmung erteilt werde (Spruchpunkt 2). Dieser Bescheid wurde nach einem Zustellversuch an der Adresse des Beschwerdeführers am durch Hinterlegung zugestellt, Beginn der Abholfrist war der , deren Ende am .

Mit Schriftsatz vom , beim Bundessozialamt eingelangt am , erhob der Beschwerdeführer gegen den erstinstanzlichen Bescheid Berufung, mit welcher er insbesondere geltend machte, dass er vom bis im Ausland auf Urlaub gewesen sei, erst am habe er den Bescheid erhalten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Berufung als verspätet zurück. Der erstinstanzliche Bescheid sei dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung zugestellt worden, der Beginn der Abholfrist sei der gewesen, das Poststück sei mit dem Vermerk "nicht behoben" an die Behörde erster Instanz zurückgegangen. Eine Behördenanfrage beim Zentralen Melderegister habe keine Adressenänderung ergeben. Eine Ortsabwesenheit zum Zeitpunkt der postamtlichen Hinterlegung sei nicht bescheinigt. Die Berufung sei daher verspätet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Auch die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, mit welcher sie beantragt, der Beschwerde kostenpflichtig keine Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im vorliegenden Fall maßgebenden Bestimmungen des Zustellgesetzes in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 5/2008 lauten (auszugsweise) wie folgt:

"... Stellung des Zustellers

§ 4. Wer mit der Zustellung betraut ist (Zusteller), handelt hinsichtlich der Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Zustellung als Organ der Behörde, deren Dokument zugestellt werden soll.

...

Heilung von Zustellmängeln

§ 7. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

...

Änderung der Abgabestelle

§ 8. (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

...

Zustellung an den Empfänger

§ 13. (1) Das Dokument ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen.

...

Hinterlegung

§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus- , Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde. ..."

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich auf Grund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , G 80/10 ua., ergibt, dass die gemäß § 13a BEinstG eingerichtete Berufungskommission als Tribunal die Anforderungen des Art. 6 EMRK erfüllt, woran auch die B-VG-Novelle BGBl. I Nr. 2/2008 nichts geändert hat. Es ist daher von der Tribunalqualität der belangten Behörde im Entscheidungszeitpunkt auszugehen.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides durch Hinterlegung rechtswidrig gewesen sei, weil er - wie bereits in seiner Berufung vorgebracht -

vom 25. Juli bis im Ausland auf Urlaub gewesen sei und er den Bescheid erst am erhalten habe. Die belangte Behörde hätte daher Zweifel an der rechtmäßigen Zustellung des Bescheides haben müssen, sie habe sich jedoch mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers über die Bescheidzustellung in keiner Weise auseinandergesetzt und diese auch nicht gewürdigt. Bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die am erhobene Berufung rechtzeitig gewesen sei.

Dieses Vorbringen ist im Ergebnis zielführend:

Die belangte Behörde, die davon ausging, dass die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides durch Hinterlegung rechtswirksam und der Beginn der Abholfrist am gewesen seien, hat verkannt, dass zwar nach dem zweiten und dritten Satz des § 17 Abs. 3 ZustG der Lauf der Frist mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird, beginnt und hinterlegte Dokumente mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt gelten, dass jedoch nach § 17 Abs. 3 vierter Satz leg. cit. diese Dokumente nicht als zugestellt gelten, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Für die Beantwortung der Frage, ob der erstinstanzliche Bescheid im Sinne des § 17 Abs. 3 dritter Satz ZustG als rechtswirksam zugestellt gilt oder nicht, ist somit maßgebend, ob sich eine relevante Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle im Sinne des § 17 Abs. 3 vierter Satz leg. cit. ergibt.

Der Beschwerdeführer hat in der Berufung geltend gemacht, dass er bereits vom an bis zum im Ausland auf Urlaub gewesen, der Bescheid jedoch nur bis " hinterlegt" gewesen sei. Der Beschwerdeführer hat somit ein konkretes Vorbringen zu seiner Ortsabwesenheit, sowohl was Beginn und Ende als auch was den Grund anlangt, erstattet, welches geeignet war, die Ermittlungspflicht der Behörde bzw. deren Verpflichtung, den Beschwerdeführer zur Beibringung von Bescheinigungsmitteln aufzufordern, auszulösen.

Dieser Verpflichtung ist die belangte Behörde nicht nachgekommen. Sie hat durch die Formulierung, eine "Ortsabwesenheit im Zeitpunkt der postamtlichen Hinterlegung" sei nicht bescheinigt, zu erkennen gegeben, dass sie die Regelung des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG unbeachtet gelassen hat.

Der Beschwerdeführer zeigt auch die Relevanz des der belangten Behörde in offensichtlicher Verkennung der Rechtslage unterlaufenen Verfahrensfehlers auf, hat er doch (mit der Beschwerde) eine Kopie seines Passes vorgelegt, in welcher sich jeweils eine Stampiglie von "T.C. Edirne" (Türkei) über "giri?" entspechend "Einreise" vom und "C?k??" entsprechend "Ausreise" vom finden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008, im Rahmen des gestellten Begehrens.

Wien, am

Fundstelle(n):
FAAAE-88329