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VwGH vom 20.08.2013, 2013/22/0077

VwGH vom 20.08.2013, 2013/22/0077

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/52.645/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Die belangte Behörde stellte zunächst fest, dass der Beschwerdeführer erstmals im September 1991 in das Bundesgebiet eingereist sei und hier einen Asylantrag gestellt habe, der in weiterer Folge im April 1993 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Ein in der Folge gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei im November 1994 rechtskräftig abgewiesen worden. Am habe der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und im Hinblick darauf einen Erstantrag auf Erteilung eines von seiner Ehefrau abgeleiteten Aufenthaltstitels gestellt. Daraufhin habe er eine zunächst bis zum gültige Niederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" erhalten, die in der Folge verlängert worden sei. Ab habe der Beschwerdeführer über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung verfügt.

In ihrer Begründung zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes stützte sich die belangte Behörde auf zwei strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers. Am (rechtskräftig seit (richtig: )) sei er vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens des versuchten schweren Betruges nach den §§ 15, 146, 147 Abs. 2 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Am (rechtskräftig mit ) sei er vom Landesgericht N wegen des Verbrechens der versuchten Erpressung nach den §§ 15, 144 Abs. 1 StGB, des Vergehens des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 3 StGB und des Vergehens der Amtsanmaßung nach § 314 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt worden, wobei ein Strafteil im Ausmaß von acht Monaten bedingt nachgesehen worden sei. Gestützt auf diese Verurteilungen und die näher dargestellten strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers kam die belangte Behörde zur Auffassung, dass das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre (§ 86 Abs. 1 FPG). Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer vor der Eheschließung mit seiner österreichischen Ehefrau "qualifiziert lange illegal im Bundesgebiet aufhältig" gewesen sei. Das der letztgenannten Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten liege auch bei weitem noch nicht so lange zurück, dass auf Grund des seither verstrichenen Zeitraums eine entscheidungswesentliche Reduzierung der von ihm ausgehenden Gefahr angenommen werden könne. Eine Verhaltensprognose könne daher auch in Ansehung des einschlägigen Rückfalls nicht positiv ausfallen.

Hinsichtlich der Interessenabwägung nach § 66 FPG verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei und mit dieser und deren Kind (wiederum) in gemeinsamen Haushalt wohne. Weiters führte die belangte Behörde insbesondere die seit dem Jahr 2000 bestehenden Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers an, der zuletzt "seit laufend als Arbeiter in einem Gastronomiebetrieb" beschäftigt sei. Im Hinblick auf die persönliche und berufliche Situation des Beschwerdeführers sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein "Privat-, Familien- bzw. Berufsleben" auszugehen. Angesichts der besonderen Gefährlichkeit der Eigentumskriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz fremden Vermögens) aber dringend geboten. Der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration des Beschwerdeführers komme insofern kein entscheidendes Gewicht zu, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Die familiären Interessen des Beschwerdeführers und die zuletzt verbesserte Integration am Arbeitsmarkt hätten gegenüber dem hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse in den Hintergrund zu treten.

Abschließend begründete die belangte Behörde noch die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes näher.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.

Der Beschwerdeführer macht u.a. die Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend. Diesbezüglich führt er ins Treffen, dass er türkischer Staatsangehöriger sei, seit Jahren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nachgehe und daher in den Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom (im Folgenden: ARB 1/80) falle. Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben über Berufungen gegen Entscheidungen nach dem FPG, wenn es sich bei dem Fremden um einen türkischen Staatsangehörigen handelt, dem die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zukommt, die unabhängigen Verwaltungssenate zu entscheiden (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0170, mwN).

Für die Frage, ob die belangte Behörde zur Entscheidung über die vom Beschwerdeführer erhobene Berufung zuständig war, ist es daher wesentlich, ob dem Beschwerdeführer die Rechtsstellung gemäß Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zukam.

Gemäß Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt.

Die belangte Behörde führte im angefochtenen Bescheid (gestützt auf einen Sozialversicherungsdatenauszug) die Beschäftigungszeiten des Beschwerdeführers an und stellte fest, dass dieser "seit laufend als Arbeiter in einem Gastronomiebetrieb" beschäftigt sei. Sollte der Beschwerdeführer - worauf diese Feststellung jedenfalls hindeutet - seit zumindest einem Jahr "beim gleichen Arbeitgeber" beschäftigt sein und sollte es sich hierbei um eine "ordnungsgemäße Beschäftigung" handeln - Anhaltspunkte, die dagegen sprechen würden, lassen sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen - so würde dem Beschwerdeführer die Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zukommen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0061). Käme dem Beschwerdeführer aber eine Berechtigung nach dem ARB 1/80 zu, hätte er im Sinn der bereits zitierten hg. Rechtsprechung Anspruch auf ein Verfahren vor einem Tribunal. In diesem Fall wäre zur Entscheidung über die gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers nicht die belangte Behörde, sondern der unabhängige Verwaltungssenat zuständig gewesen.

Da es die belangte Behörde unterlassen hat, die für eine abschließende Beurteilung erforderlichen Feststellungen zu treffen, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am