VwGH vom 26.06.2013, 2013/22/0076
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/130.282/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste im August 2002 mit einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Studiums in das Bundesgebiet ein. Diese Aufenthaltserlaubnis wurde wiederholt - zuletzt mit einer Gültigkeit bis zum - verlängert.
Am heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin Cecilia L. Im Hinblick darauf beantragte er im April 2005 die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta.-Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Dieser Aufenthaltstitel wurde zunächst bis zum erteilt und danach bis zum verlängert. Die Ehe des Beschwerdeführers mit Cecilia L. wurde am einvernehmlich geschieden. Der Beschwerdeführer erhielt in der Folge eine "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt", zuletzt verlängert bis zum .
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde zunächst darauf, dass bereits im Jahr 2005 der Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe bestanden habe. Da eine solche aber nicht mit der dafür erforderlichen Verlässlichkeit feststellbar gewesen sei, sei der begehrte Aufenthaltstitel erteilt worden. Nachdem der Beschwerdeführer nach seiner Scheidung von Cecilia L. im Mai 2007 am eine Staatsangehörige von Bangladesch geheiratet habe, seien er und seine vormalige Ehefrau im Juli 2008 erneut vernommen worden, wobei - wie schon bei ihrer Vernehmung im Jahr 2005 - wiederum (näher dargestellte) Widersprüche bzw. Ungereimtheiten aufgetreten seien.
Darauf gestützt erachtete es die belangte Behörde als feststehend, dass der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsehe eingegangen sei, um einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet zu erwirken. Zwar räumte die belangte Behörde ein, dass bei den Vernehmungen der vormaligen Ehepartner auch zahlreiche gleichlautende Angaben gemacht worden seien. Dem stünden aber die Widersprüche zu den näheren Umständen sowie zum Ort des Kennenlernens, zur früheren Wohnsituation des Beschwerdeführers und zur Ausstattung der (vorgeblich) ehelichen Wohnung gegenüber. Auch die beiden auf Antrag des Beschwerdeführers vernommenen Zeugen seien nicht im Stande gewesen, über "Art und Qualität des angeblichen Familienlebens Auskunft zu geben". Schließlich verwies die belangte Behörde noch darauf, dass bei mehreren Hauserhebungen im Jahr 2005 keine der befragten Hausparteien den Beschwerdeführer gekannt habe. Ausgehend davon erachtete die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG als verwirklicht, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 60 FPG gegeben seien.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG verwies die belangte Behörde darauf, dass die nunmehrige Gattin des Beschwerdeführers in Bangladesch lebe. Sein Bruder lebe in London. Familiäre Bindungen im Bundesgebiet bestünden nicht. Die belangte Behörde anerkannte zwar dessen ungeachtet einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das "Privat- und Familienleben" des Beschwerdeführers, dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und zur Verhinderung von Scheinehen) dringend geboten. Den privaten Interessen des Beschwerdeführers komme kein großes Gewicht zu, zumal sein Aufenthalt zunächst nur zum Zweck des Studiums, den er im Ergebnis jedoch nicht erfüllt habe, berechtigt gewesen sei und sein anschließender Aufenthalt ebenso wie seine Beschäftigungsverhältnisse sich auf das dargestellte Fehlverhalten stützen würden. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich daher iSd § 66 FPG als zulässig. Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keine Veranlassung, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des Ermessens Abstand zu nehmen.
Im Hinblick auf das dargelegte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers könne vor Ablauf der festgelegten Gültigkeitsdauer nicht erwartet werden, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich (u.a.) für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nicht geführt hat.
Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, die erstinstanzliche Behörde habe bereits im Jahr 2005 "die Frage einer Aufenthaltsehe rechtskräftig damit entschieden", dass ihm "der Aufenthaltstitel mangels Vorliegens einer solchen erteilt" worden sei. Es sei der belangten Behörde untersagt, "in derselben Sache ein zweites Mal, und noch dazu vollkommen konträr, zu entscheiden". Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:
Der bloße Umstand, dass trotz der Vornahme erster Erhebungen im Jahr 2005 im Hinblick auf den Verdacht des Bestehens einer Aufenthaltsehe zunächst ein Aufenthaltstitel erteilt worden ist, weil dieser Verdacht damals noch nicht hatte erhärtet werden können, steht - entgegen der Beschwerdeauffassung - der mit dem angefochtenen Bescheid erfolgten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0186, mwN). Dabei ist zu beachten, dass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht allein auf die bereits im Jahr 2005 durchgeführten Erhebungen, sondern auch auf weitere, aus den Jahren 2008 und 2009 stammende Ermittlungsergebnisse stützt.
Der Beschwerdeführer bestreitet aber auch das Vorliegen einer Scheinehe und wendet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung. Er bringt dazu vor, dass die Aussagen von ihm und seiner vormaligen Ehefrau nur geringfügige Abweichungen enthalten würden, die unerheblich seien. Differenzen zu den Umständen des Kennenlernens seien überhaupt nicht ersichtlich. Auch die von der belangten Behörde herangezogenen Angaben der befragten Nachbarn seien nicht relevant, weil auch seine vormalige Ehefrau angegeben habe, ihre Nachbarn nicht zu kennen.
Mit diesem Vorbringen gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, eine Unschlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen. Es ist zwar zuzugestehen, dass einzelne der von der belangten Behörde herangezogenen Aspekte (fallbezogen etwa die Angaben der vormaligen Ehepartner zu den örtlichen Gegebenheiten beim Kennenlernen) für sich genommen kein hinreichendes Indiz für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe darstellen. Allerdings vermag der Beschwerdeführer diejenigen Widersprüche, die die belangte Behörde zu Recht für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe in Anschlag gebracht hat (etwa die divergierenden Aussagen zur Wohnungsausstattung oder zu den Trauzeugen, für die der Beschwerdeführer keine nachvollziehbare Erklärung angegeben hat, sowie zur Frage, ob das Kennenlernen in Begleitung seines Bruders erfolgt ist oder nicht), nicht zu entkräften. Darüber hinaus bringt er auch keine ausreichend substantiierten Umstände oder Lebenssachverhalte vor, die dafür sprechen würden, dass er mit Cecilia L. tatsächlich ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt hat. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Angaben der beiden Zeugen nicht als ausreichend angesehen hat, um daraus auf das Bestehen eines tatsächlichen Familienlebens des Beschwerdeführers mit Cecilia L. zu schließen. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde begegnet somit im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken.
Der vom Beschwerdeführer behaupteten Verletzung des Parteiengehörs betreffend die von der belangten Behörde durchgeführten (nicht weiter konkretisierten) Ermittlungen fehlt es schon deshalb an der Relevanz, weil nicht darlegt wird, wie ein allfälliges weiteres Vorbringen des Beschwerdeführers zu einem für ihn günstigeren Ergebnis hätte führen können.
Die Beschwerde rügt allerdings im Ergebnis zu Recht, dass die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot für die Höchstdauer von zehn Jahren erlassen hat.
Gemäß § 63 Abs. 2 FPG ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Als maßgebliche Umstände kommen das vom Beschwerdeführer gesetzte Fehlverhalten und die daraus resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen sowie seine privaten und familiären Interessen iSd § 66 FPG in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0632, mwN).
Im vorliegenden Fall wurde die Aufenthaltsehe über fünfeinhalb Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides geschlossen. Nach der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta.-Ö, § 49 Abs. 1 FrG" Ende des Jahres 2005 wurden - soweit den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen ist -
bis Mitte 2008 keine weiteren Erhebungen durchgeführt. Vielmehr wurden dem Beschwerdeführer auch nach der Scheidung von seiner (österreichischen) Ehefrau im Jahr 2007 wiederholt Aufenthaltstitel (konkret: eine "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt") erteilt. In einer solchen Konstellation hätte es aber einer nachvollziehbaren Begründung bedurft, weshalb trotz des mittlerweile vergangenen Zeitraums ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes noch immer erst nach der für solche Fälle (damals) vorgesehenen Höchstdauer von zehn Jahren angenommen wurde. Demzufolge und im Hinblick darauf, dass es sich bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes um einen vom übrigen Inhalt des Bescheides nicht trennbaren Abspruch handelt (vgl. dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2011/23/0632), war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
NAAAE-88309