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VwGH vom 26.06.2013, 2013/22/0075

VwGH vom 26.06.2013, 2013/22/0075

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der A, vertreten durch Dr. Wolfgang Riha, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/229072/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, heiratete am in Serbien den österreichischen Staatsbürger Radovan V. In der Folge reiste sie mit einem bis zum gültigen Visum nach Österreich ein und erhielt über ihren Antrag eine bis zum gültige Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta.-Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Anschließend wurde ihr wiederholt - zuletzt mit Gültigkeit bis zum - ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" erteilt. Die Ehe der Beschwerdeführerin mit Radovan V. wurde im Februar 2009 geschieden.

Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Die Bundespolizeidirektion Wien erachtete es als erwiesen, dass die Beschwerdeführerin, die sich in einem Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf ihre Ehe berufen habe, mit ihrem Ehemann zu keinem Zeitpunkt ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK geführt habe.

Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung wurde der erstinstanzliche Bescheid mit der Abänderung bestätigt, dass sich das Aufenthaltsverbot auf § 60 Abs. 1 und 2 Z 6 FPG stütze.

Die belangte Behörde hielt fest, aus den Angaben der Beschwerdeführerin und ihres vormaligen Ehemannes bei ihrer Vernehmung am (jeweils unter Hinzuziehung eines Dolmetschers für die Gebärdensprache, weil sowohl die Beschwerdeführerin als auch Radovan V. taubstumm seien) ergebe sich, dass spätestens seit September 2007 kein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK zwischen den vormaligen Ehepartnern mehr bestanden habe. Dennoch habe sich die Beschwerdeführerin in ihren Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom und vom auf ihre Ehe mit Radovan V. berufen. Selbst wenn man der im Antrag vom (offenbar nachträglich) vorgenommenen Einfügung des Wortes "getrennt" (über deren Hintergrund die belangte Behörde nur Mutmaßungen anstellen konnte) Bedeutung zumessen wolle, bliebe davon unberührt, dass sich jedenfalls hinsichtlich ihres Antrages vom im beigeschafften "Aufenthaltsakt der MA 35" kein Anhaltspunkt dafür finde, dass seitens der Beschwerdeführerin auf die - auch zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgte - Trennung von ihrem Ehemann hingewiesen worden sei. Die Beschwerdeführerin habe sich somit entgegen § 30 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf ihre Ehe berufen, was als Erfüllung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG gewertet werden könne. Das Verhalten der Beschwerdeführerin laufe öffentlichen Interessen zuwider, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten sei.

Zur beantragten Vernehmung der Beschwerdeführerin hielt die belangte Behörde fest, dass diese ohnehin im Dezember 2008 Gelegenheit gehabt habe, ihren Standpunkt darzulegen. Hinsichtlich der beantragten Vernehmung ihrer Tochter fehle es an einem Beweisthema. Darüber hinaus sei die "Sachlage ohnehin als geklärt anzusehen".

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf den etwa fünfjährigen Inlandsaufenthalt der Beschwerdeführerin, auf ihre beruflichen Bindungen und auf die familiären Bindungen zu ihrer volljährigen Tochter und ihrem - mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebenden - vierzehnjährigen Sohn. Den gewichtigen persönlichen Interessen stehe gegenüber, dass die Beschwerdeführerin durch ihre wissentlich falschen Angaben über ihre Familienverhältnisse maßgebliche Interessen iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK erheblich beeinträchtigt habe. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin würden somit nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Gründe, die eine für die Beschwerdeführerin günstige Ermessensentscheidung zugelassen hätten, seien weder vorgefunden noch vorgebracht worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG bzw. des NAG Bezug genommen, so handelt es sich - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - jeweils um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 6 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen. Gemäß § 30 Abs. 1 NAG dürfen sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG nicht nur eine objektiv unrichtige Angabe erfordert, sondern auch das Vorliegen einer vorsätzlichen Täuschung durch wissentlich falsche Ausführungen über die dort genannten Umstände (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0628, mwN). Die diesbezüglich von der belangten Behörde angestellten beweiswürdigenden Überlegungen sowie die dazu getroffenen Feststellungen sind fallbezogen aus folgenden Gründen nicht ausreichend:

Hinsichtlich der am erfolgten Antragstellung lässt die belangte Behörde im Ergebnis selbst offen, ob dem im Antrag bei den Daten des damaligen Ehemannes der Beschwerdeführerin beigefügten Wort "getrennt" Bedeutung zuzumessen ist oder ungeachtet dessen durch diese Antragstellung der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG als erfüllt angesehen wurde. Aber auch hinsichtlich der Antragstellung am hält die belangte Behörde lediglich fest, dass dem beigeschafften Verwaltungsakt im Aufenthaltstitelverfahren kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen sei, dass die Beschwerdeführerin auf die erfolgte Trennung von ihrem Ehemann hingewiesen habe. Eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dem im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen der Beschwerdeführerin, es sei offen gelegt worden, dass sie von ihrem damaligen Ehemann getrennt lebe, ist hingegen nicht erfolgt. Aus der Aussage der Beschwerdeführerin bei ihrer Vernehmung am ist - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist -

diesbezüglich nichts zu gewinnen, weil diese Vernehmung zur Frage des Bestehens einer Aufenthaltsehe erfolgte. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde lässt sich auch nicht sagen, dass für die beantragte Vernehmung der Tochter der Beschwerdeführerin kein Beweisthema angegeben wurde. Auch wenn - wie einzuräumen ist -

das Beweisthema umfassender hätte dargelegt werden können, ergibt sich aus der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom , die Vernehmung sollte zum Beweis dafür erfolgen, dass "bei der Antragstellung unstrittig offengelegt wurde, dass (die Beschwerdeführerin) getrennt von ihrem damaligen Ehemann" gelebt habe. Diesem Beweisthema kann eine Relevanz für das Vorliegen des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG nicht abgesprochen werden. Eine Unterlassung der beantragten Zeugenvernehmung, weil die Sachlage - wie die belangte Behörde meinte - "ohnehin als geklärt anzusehen" sei, ist jedenfalls unzulässig. Das Vorliegen von - nach Meinung der Behörde - ausreichenden und eindeutigen Beweisergebnissen für die Annahme einer bestimmten Tatsache rechtfertigt nicht die Auffassung, die Vernehmung eines zum Beweis des Gegenteils geführten Zeugen sei nicht geeignet, zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/18/0030).

Da es die belangte Behörde unterlassen hat, die für die umfassende Beurteilung erforderlichen Feststellungen zu treffen, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
PAAAE-88304