VwGH vom 26.06.2013, 2013/22/0074
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des P, vertreten durch Dr. Ernst Schillhammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 12/4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 2260/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.142,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am illegal in Österreich ein und stellte am selben Tag - zunächst unter einem Aliasnamen und unter Angabe eines falschen Geburtsdatums - einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde, nachdem der Beschwerdeführer seine richtige Identität bekannt gegeben hatte, mit Bescheid des Bundesasylamtes vom in erster Instanz abgewiesen.
Am heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin Nadine N. und erhielt in der Folge - gestützt auf diese Ehe - wiederholt Aufenthaltstitel, zuletzt eine Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" mit Gültigkeit bis zum . Die Ehe des Beschwerdeführers wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom , rechtskräftig seit , geschieden.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei ein Teil von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge hat der Beschwerdeführer am einen Dritten dadurch am Körper leicht verletzt, dass er ihm Faustschläge versetzt und mit einer abgebrochenen Bierflasche eine Schnittwunde im Gesicht zugefügt hat. Weiters hat er zwischen und seiner vormaligen Ehefrau durch wiederholtes Schlagen nicht mehr feststellbare Verletzungen zugefügt und sie wiederholt gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Schließlich hat er Urkunden, über die er nicht verfügen durfte (nämlich die Heiratsurkunde und den Staatsbürgerschaftsnachweis seiner vormaligen Ehefrau), unterdrückt, um ihren Gebrauch im Rechtsverkehr zu verhindern.
Im Hinblick auf diese Verurteilung erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen werde.
Einleitend wies die belangte Behörde darauf hin, dass die gegen den erstinstanzlichen Bescheid im Asylverfahren erhobene Berufung des Beschwerdeführers mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes, rechtskräftig seit , abgewiesen worden sei. Nach Darstellung der Rechtslage führte sie weiters aus, dass im Hinblick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt und angesichts des dargestellten Fehlverhaltens die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Gefährdungsannahme gerechtfertigt sei. Weiters habe der Beschwerdeführer (anlässlich der Antragstellung im Asylverfahren) mehrfach gegenüber österreichischen Behörden falsche Angaben über seine Person gemacht. Schließlich sei gegen ihn laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft Wien vom ein Verfahren wegen der §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall, 146, 229 Abs. 1 und 241e Abs. 3 StGB anhängig, wobei das Verfahren hinsichtlich § 146 StGB eingestellt worden sei. In einem solchen Fall - so die belangte Behörde - könne ein Aufenthaltsverbot erlassen werden. Eine positive Verhaltensprognose sei nicht möglich.
Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf die Angaben des Beschwerdeführers im Zuge seiner im April 2009 in Untersuchungshaft erfolgten Vernehmung, wonach in Österreich "weder familiäre noch berufliche Bindungen" bestünden. Laut Sozialversicherungsdatenauszug sei der Beschwerdeführer mit Unterbrechungen einer Beschäftigung nachgegangen, habe jedoch seit August 2009 zunächst Arbeitslosengeld und dann Notstandshilfe bezogen. Zwar sei - insbesondere im Hinblick auf den seit April 2001 bestehenden Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich - mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in sein Privatleben verbunden. Allerdings sei dieser Eingriff zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen dringend geboten. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers würden nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Abschließend begründete die belangte Behörde noch die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes näher.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.
Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist.
Im Hinblick auf die dargestellte Verurteilung vom ist die - in der Beschwerde auch nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, die erwähnte Alternative dieser Bestimmung sei erfüllt, nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Der Beschwerdeführer verweist allerdings darauf, dass sich die mit der (einzigen) Verurteilung vom verhängte Strafe im unteren Bereich des durch § 60 Abs. 2 Z 1 FPG festgelegten Rahmens bewegt habe. Es habe sich um ein einmaliges Fehlverhalten gehandelt und es sei bei ihm durch das verspürte Haftübel ein Gesinnungswandel eingetreten. Der Bezugnahme im angefochtenen Bescheid auf die Anzeige gegen ihn wegen (u.a.) der §§ 142 und 143 StGB hält der Beschwerdeführer entgegen, dass er mit näher bezeichnetem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom "von sämtlichen wider ihn erhobenen Vorwürfen rechtskräftig freigesprochen" worden sei. Die belangte Behörde habe es unterlassen, diesbezüglich Erhebungen durchzuführen.
Zunächst ist festzuhalten, dass die der einzigen Verurteilung des Beschwerdeführers (vom ) zugrunde liegenden Straftaten - auch wenn sie nicht zu verharmlosen sind - angesichts des seit ihrer Begehung vergangenen Zeitraums von ca. fünf Jahren für sich allein eine nach wie vor vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr nicht begründen können. Auch die von der belangten Behörde dargestellten unrichtigen Angaben des Beschwerdeführers im Zuge der Asylantragstellung im Jahr 2001 können die Annahme einer im Jahr 2010 bestehenden Gefährdung nicht stützen. Vor diesem Hintergrund wäre die belangte Behörde - auch im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer nicht zu vertretende Dauer des Berufungsverfahrens von über vier Jahren und vier Monaten - aber gehalten gewesen, im Rahmen der Gefährdungsprognose Feststellungen zum weiteren Verhalten des Beschwerdeführers zu treffen.
Die belangte Behörde zieht diesbezüglich zwar das im Jahr 2009 gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren heran. Ihr ist aber vorzuwerfen, dass sie weder Ermittlungen zum aktuellen Stand dieses Strafverfahrens (soweit es von ihr als anhängig angenommen wurde) durchgeführt noch Feststellungen dahingehend getroffen hat, welches strafbare Verhalten dem Beschwerdeführer konkret vorzuwerfen sei. Darüber hinaus ist den vorgelegten Verwaltungsakten nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zu diesem Umstand Parteiengehör eingeräumt hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0649), weshalb dem Beschwerdeführer sein in der Beschwerde erstattetes Vorbringen betreffend den erfolgten rechtskräftigen Freispruch nicht verwehrt war.
Da es die belangte Behörde unterlassen hat, für die umfassende Beurteilung notwendige Feststellungen zu treffen, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am