VwGH vom 20.08.2013, 2013/22/0070
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des D, vertreten durch Mag. Andreas Duensing, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FRG/5/544/2007-43, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein rumänischer Staatsangehöriger, reiste am in das Bundesgebiet ein und stellte kurz darauf einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom wurde ihm gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 Asyl gewährt. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde ihm das Asyl gemäß § 14 des Asylgesetzes 1997 in erster Instanz wieder aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt.
Am heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin und stellte - gestützt darauf - am einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter DrittSta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG", die ihm, mit Gültigkeit bis zum , erteilt wurde.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 49 Abs. 1 und § 48 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
Die belangte Behörde stellte zunächst fest, dass der Beschwerdeführer insgesamt vier Mal strafgerichtlich verurteilt worden sei: Am sei er vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Verstoßes gegen die §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 StGB (schwere Körperverletzung durch Versetzen von Schlägen) zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon fünf Monate unbedingt, rechtskräftig verurteilt worden. Am sei er vom Bezirksgericht H wegen Verstoßes gegen die §§ 15, 127 StGB (versuchter Diebstahl) zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden. Am sei er vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Verstoßes gegen die §§ 15, 127, 15, 105 Abs. 1, 83 Abs. 1 StGB (versuchter Diebstahl, versuchte Nötigung sowie Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon zwei Monate unbedingt, rechtskräftig verurteilt worden. Zuletzt sei der Beschwerdeführer am vom Landesgericht P wegen gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß den §§ 127, 130 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten rechtskräftig verurteilt worden, wobei ein Strafteil von sechs Monaten bedingt nachgesehen worden sei.
Nach Darstellung der maßgeblichen Rechtsvorschriften hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer "die in diesen Urteilen festgestellten strafbaren Handlungen begangen und die umschriebenen Verhaltensweisen gesetzt" habe. Da der Beschwerdeführer Delikte gegen Leib und Leben sowie gegen das Vermögen Dritter begangen habe, sei das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentums- und Gewaltkriminalität gravierend beeinträchtigt worden. Das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers, das "im Rahmen des § 86 FPG besonders zu prüfen" sei, stelle einen tragfähigen Grund zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dar. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die Sicherheit der Republik Österreich tatsächlich und erheblich. Im Hinblick "auf die Kürze der verstrichenen Zeit seit der letzten Verbüßung der Strafhaft" erachtete die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr auch als gegenwärtig iSd § 86 Abs. 1 FPG. Der Zeitraum seit der letzten Verurteilung sei zu kurz, um die von ihm ausgehende Gefahr als weggefallen oder auch nur erheblich gemindert anzusehen.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer seit Juli 1990 mit Unterbrechungen im Bundesgebiet aufhältig sei. Er sei, nachdem er zuvor bei verschiedenen Arbeitgebern geringfügig beschäftigt gewesen sei bzw. Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bezogen habe, erst seit Juli 2008 als Arbeiter bei einer Firma tätig. Seine Eltern und eine Schwester würden in Rumänien leben, zwei seiner Brüder in Österreich. Der Beschwerdeführer sei zwar mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, ein gemeinsamer Wohnsitz der Ehegatten sei aber nur zwischen Juli 2003 und Jänner 2006 vorgelegen, sodass (auch unter Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung) ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nicht gegeben erscheine. Zwar sei von einer sozialen Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet auszugehen, allerdings sei das Aufenthaltsverbot auf Grund der schwerwiegenden Verstöße gegen fremdes Eigentum zur Wahrung öffentlicher Interessen dringend geboten.
Hinsichtlich der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes hielt die belangte Behörde fest, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr nach einer bestimmten Zeit nicht mehr bestehen werde, weshalb das Aufenthaltsverbot unbefristet zu erlassen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.
Gegen den Beschwerdeführer als gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 86 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/23/0042, mwN).
Der belangten Behörde ist zunächst vorzuwerfen, dass sie diesen Anforderungen nicht entsprochen hat. Sie hat nämlich lediglich die Daten der Verurteilungen, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängten Strafen angeführt und ansonsten nur pauschal festgehalten, dass der Beschwerdeführer Delikte gegen Leib und Leben und gegen das Vermögen Dritter begangen habe. Sie hat aber keine (darüber hinausgehenden) Feststellungen zu Art und Schwere der vom Beschwerdeführer gesetzten Straftaten getroffen (auch nicht hinsichtlich derjenigen strafbaren Handlungen, die der letzten Verurteilung vom zugrunde lagen). Derartige Feststellungen sind aber für eine - im vorliegenden Fall am strengen Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG vorzunehmende - nachvollziehbare Gefährdungsprognose erforderlich.
Darüber hinaus ist zur Gefährdungsprognose der belangten Behörde Folgendes anzumerken:
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass das FPG ein System abgestufter Gefährdungsprognosen enthält (vgl. grundlegend das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603), wobei § 86 Abs. 1 FPG gegenüber dem - bei Aufenthaltsverboten im Wege des § 61 Z 2 FPG anzuwendenden - § 56 Abs. 1 FPG und mehr noch gegenüber § 60 Abs. 1 FPG ein höheres Maß an Gefährdung, die vom Fremden ausgehen muss, verlangt (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0134).
Ausgehend davon hätte die belangte Behörde zunächst zu beachten gehabt, dass - wie den im Verwaltungsakt einliegenden Urteilen zu entnehmen ist - alle Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Vergehen nach dem StGB erfolgten und dass der Beschwerdeführer - ungeachtet des einschlägigen Rückfalls - nicht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist. Somit erfüllt keine dieser Verurteilungen für sich genommen den Tatbestand der Z 1 oder der Z 2 des § 56 Abs. 2 FPG, was eine schwere Gefahr iSd § 56 Abs. 1 FPG indizieren würde, wobei - wie bereits dargelegt - der hier anzuwendende § 86 Abs. 1 FPG verglichen mit dem Gefährdungsmaßstab des § 56 Abs. 1 FPG ein noch höheres Maß an Gefährdung verlangt. Darüber hinaus hätte die belangte Behörde stärker berücksichtigen müssen, dass - worauf auch die Beschwerde hinweist - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die letzte Straftat des Beschwerdeführers bereits mehr als fünf Jahre zurücklag, die Entlassung aus der Strafhaft vor knapp fünf Jahren erfolgt ist und sich der Beschwerdeführer seither mehrere Jahre hindurch wohlverhalten hat. Die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung, dass der Zeitraum seit der letzten Verurteilung "zu kurz" sei, um einen Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr bewirken zu können, vermag der Verwaltungsgerichtshof schon im Hinblick auf die fehlenden Feststellungen zu Art und Schwere der dem Beschwerdeführer anzulastenden Straftaten fallbezogen nicht zu teilen. Soweit die belangte Behörde noch auf das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Gewaltkriminalität verweist, ist anzumerken, dass die letzte Straftat des Beschwerdeführers gegen die körperliche Integrität Dritter vom März 1998 stammt und somit zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits mehr als 12 Jahre zurücklag. Eine gegenwärtige Gefahr kann daraus nicht mehr ohne Weiteres abgeleitet werden.
Im vorliegenden Fall fehlen daher nicht nur nähere Feststellungen zu Art und Schwere der vom Beschwerdeführer gesetzten strafbaren Handlungen, sondern auch eine nachvollziehbare Darstellung der am strengen Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG vorzunehmenden Gefährdungsprognose.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Ersatz der Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese bereits vom Pauschalsatz der genannten Verordnung umfasst ist.
Wien, am