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VwGH vom 20.08.2013, 2013/22/0069

VwGH vom 20.08.2013, 2013/22/0069

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/224.241/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen ägyptischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Die belangte Behörde stellte zunächst fest, dass der Beschwerdeführer mit einem vom bis gültigen Reisevisum nach Österreich gelangt sei. Seit sei er am Wohnsitz seiner Eltern in W. gemeldet. Nach Ablauf des Visums sei der Beschwerdeführer im Inland verblieben und habe am einen Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte eingebracht, der jedoch "abgelehnt" worden sei. Am sei er von der Bundespolizeidirektion Wien wegen unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtskräftig bestraft worden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde zunächst aus, dass der - volljährige - Beschwerdeführer kein "Familienangehöriger" iSd § 2 Abs. 4 Z 12 FPG eines Österreichers sei. Er sei auch kein "begünstigter Drittstaatsangehöriger" iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG, weil kein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass sein Vater, ein österreichischer Staatsbürger, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe.

Da sich der Beschwerdeführer aktuell über einen erheblichen Zeitraum ohne Aufenthaltsberechtigung und daher illegal im Inland aufhalte, könne kein Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG gegeben seien.

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf den (etwas über dreijährigen) Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers und auf die familiären Bindungen zu seinen, mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Eltern und zu seinem Bruder. Angesichts dessen ging die belangte Behörde von einem mit der Ausweisung einhergehenden Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus. Allerdings seien diese Bindungen in Österreich zu einem Zeitpunkt entstanden (offenbar gemeint: wiederhergestellt worden), zu dem der Beschwerdeführer mit einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht rechnen habe können. Zwar sei die Einreise mit einem Touristensichtvermerk erfolgt, anschließend sei der Beschwerdeführer aber unerlaubt im Bundesgebiet verblieben, weshalb sein Aufenthalt im Inland fast zur Gänze unerlaubt gewesen und das Gewicht der daraus resultierenden privaten und familiären Interessen gemindert sei. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend den Gesundheitszustand seiner Eltern (die Mutter des Beschwerdeführers leide an Depression und an hohem Blutdruck, der Vater ebenfalls an hohem Blutdruck und an Wirbelsäulenbeschwerden) und zur dazu vorgelegten ärztlichen Bestätigung führte die belangte Behörde aus, dass eine "behauptete notwendige Unterstützung der Eltern" durch den Beschwerdeführer "nicht in Ansätzen erkannt werden" könne.

Eine Integration des Beschwerdeführers am heimischen Arbeitsmarkt liege nicht vor. Eine Selbsterhaltungsfähigkeit sei nicht gegeben; behauptet werde allein die Unterhaltsgewährung durch die Eltern. Das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend sein in Österreich betriebenes Studium (der Beschwerdeführer sei unter der Voraussetzung des Nachweises der Kenntnisse der deutschen Sprache zum Wintersemester 2006 zum Studium der Studienrichtung "L" zugelassen worden) nahm die belangte Behörde zur Kenntnis, hielt aber fest, dass sich dem vorgelegten Studienblatt kein Studienerfolg entnehmen lasse. Da der Beschwerdeführer vorgebracht habe, in Ägypten maturiert zu haben und zwei Jahre an einer Universität gewesen zu sein, sei von einer überdurchschnittlichen schulischen Bildung im Herkunftsland auszugehen. Dem Beschwerdeführer sei es daher zuzumuten, allenfalls für die Dauer eines ordnungsgemäßen Niederlassungsverfahrens, in seine Heimat zurückzukehren.

Die belangte Behörde kam somit zum Ergebnis, dass die Interessenabwägung kein Überwiegen der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthaltes ergebe. Es könne daher kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung der Ausweisung dringend geboten und sohin zulässig iSd § 66 FPG sei.

Überdies seien keine besonderen Umstände ersichtlich, die die belangte Behörde zu einer Abstandnahme von der Ausweisung im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens veranlassen müssten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - um die Fassung BGBl. I Nr. 29/2009.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer unstrittig über keinen Aufenthaltstitel verfügt.

Soweit der Beschwerdeführer damit argumentiert, dass die Ausweisung nicht auf § 53 Abs. 1 FPG, sondern auf die §§ 87, 86 FPG zu stützen gewesen wäre, weil er Sohn eines österreichischen Staatsbürgers sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur hier maßgeblichen Rechtslage des FPG die Rechtsgrundlage für die Ausweisung unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Familienangehöriger von Österreichern, die ihr unionsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben, nicht § 86 Abs. 2 FPG, sondern § 53 Abs. 1 FPG ist. Die Beschwerdeausführungen geben keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Die Ausweisung des Beschwerdeführers setzt daher nicht das Vorliegen der in der Beschwerde angesprochenen qualifizierten Gefährdung voraus (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0411, mwN).

Hinsichtlich der in der Beschwerde angesprochenen gleichheitsrechtlichen Bedenken genügt der Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 18.968. Vor diesem Hintergrund trifft auch das Beschwerdeargument, der Beschwerdeführer habe nach Ablauf seines Visums "sein Aufenthaltsrecht direkt aus den Bestimmungen der Unionsbürgerrichtlinie im Zusammenhang mit dem in Österreich geltenden Grundsatz der Unzulässigkeit der Inländerdiskriminierung ableiten" können, nicht zu.

Die belangte Behörde ist somit, zumal auch sonst nicht zu sehen ist, dass aus anderen Gründen ein rechtmäßiger Aufenthalt vorliegen würde, zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat allerdings im Urteil vom , Rs C-256/11, "Dereci ua.", ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird. Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger (im vorliegenden Fall der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Vater des Beschwerdeführers) de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, sondern das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Sollten derartige Gründe - der bloße Wunsch nach Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union reicht allerdings nicht aus - bestehen, würde die gegenüber einem Fremden ausgesprochene Anordnung, das Bundesgebiet wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts zu verlassen, dem Unionsrecht widersprechen und daher nicht zulässig sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/22/0067, mwN). Die belangte Behörde wird daher im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage ist nicht mit der Beurteilung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen und war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

Der angefochtene Bescheid war somit schon deshalb - ohne das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung im Blick auf Art. 8 EMRK einer Prüfung zu unterziehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
SAAAE-88274