VwGH vom 05.10.2021, Ra 2021/03/0043
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Schlichtungsstelle für Wildschadensangelegenheiten der Stadtgemeinde Wolfsberg, vertreten durch die Tschurtschenthaler Walder Fister Rechtsanwälte GmbH in 9020 Klagenfurt, Dr. Arthur Lemisch Platz 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom , Zl. KLVwG-2120/2/2020, betreffend Wildschadenersatz (mitbeteiligte Partei: DI Dr. U H in W, vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof, MMag. Maja Ranc, Mag. Sara Grilc LL.M., Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt am Wörthersee, Karfreitstraße 14/III), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1Mit Schriftsatz vom stellte der Mitbeteiligte bei der Schlichtungsstelle für Wildschadensangelegenheiten der Stadtgemeinde Wolfsberg (Schlichtungsstelle) einen Antrag auf Entscheidung über den Ersatz von Wildschäden. Er brachte vor, Fischereiverwalter und Inhaber der Fruchtgenussrechte an den Fischereirechten von näher bezeichneten Fischereirevieren im Bezirk Wolfsberg zu sein, welche die Lavant und zwei Nebengewässer beträfen. Er habe gegenüber den Jagdausübungsberechtigten bereits mehrfach Schadenersatzansprüche betreffend Fischotterschäden geltend gemacht; seine Schreiben seien jedoch unbeantwortet geblieben. Das Land Kärnten bzw. der Kärntner Wildschadensfonds hätten ihm mittlerweile Unterstützungsleistungen für die Jahre 2018 und 2019 geleistet. Unerledigt geblieben seien Schadenersatzansprüche für die Jahre 2013 bis 2017, die er hiermit in Höhe von jährlich insgesamt € 127.775,-- geltend mache.
2Mit Bescheid vom wies die Schlichtungsstelle diesen Antrag „als verspätet zurück“.
3Begründend hielt die Schlichtungsstelle fest, der Mitbeteiligte sei im Zeitraum 2013 bis einschließlich 2017 Fischereiausübungsberechtigter des Fischereireviers Nr. 29 (W) gewesen; betreffend das Fischereirevier Nr. 30 (L) scheine er zwar als Aufsichtsorgan, nicht jedoch als Fischereiberechtigter auf. Aus diesem Grund fehle es dem Mitbeteiligten hinsichtlich des letztgenannten Fischereireviers an der Anspruchsberechtigung.
4Ungeachtet dessen sei die Antragstellung jedenfalls als verspätet zu qualifizieren. Die Schäden für die Jahre 2014 bis 2015 seien dem Mitbeteiligten spätestens am - von diesem Tag stamme ein vom Mitbeteiligten an den Bezirksjägermeister adressiertes Schreiben, in dem der Gesamtschaden dargelegt worden sei - bekannt gewesen. Gerechnet ab diesem Zeitpunkt habe er seine Schadenersatzansprüche nicht binnen 14 Tagen den jeweiligen Jagdausübungsberechtigten angezeigt oder bei der Gemeinde zur Weiterleitung an die Schlichtungsstelle angemeldet (vgl. § 76 Kärntner Jagdgesetz 2000 - K-JG). Ein allfälliger Schadenersatzanspruch für die Jahre 2013 bis 2015 sei sohin erloschen. Die Schäden für die Jahre 2016 und 2017 seien dem Mitbeteiligten spätestens am - an diesem Tag habe der Mitbeteiligte die Schäden gegenüber dem Kärntner Wildschadensfonds geltend gemacht - bekannt gewesen. Eine Meldung dieses Schadens an die Stadtgemeinde Wolfsberg sei erst mit erfolgt und daher verfristet gewesen. Auch für diesen Zeitraum sei ein allfälliger Ersatzanspruch somit erloschen.
5Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten hob das Landesverwaltungsgericht Kärnten (VwG) den angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Schlichtungsstelle auf und erklärte die Revision für nicht zulässig.
6Begründend führte das VwG aus, gemäß § 78 Abs. 2 K-JG habe die Schlichtungsstelle vor der Durchführung des Verfahrens auf eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten hinzuwirken. Ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über einen geltend gemachten Wildschadenersatzanspruch sei somit erst gegeben, wenn ein Vergleich zwischen den Verfahrensparteien nicht habe erzielt werden können. Ein solcher Schlichtungsversuch sei gegenständlich durch die Schlichtungsstelle nicht vorgenommen worden. Dieses Versäumnis könne auch nicht als ein vom VwG sanierbarer Verfahrensmangel angesehen werden, weil das Hinwirken auf eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten vor der Durchführung des Verfahrens zu erfolgen habe. Bei dieser Sach- und Rechtslage sei daher von der Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Schlichtungsstelle auszugehen. Das VwG müsse diese Unzuständigkeit von Amts wegen aufgreifen und den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben. Die Revision sei nicht zulässig, da aufgrund der eindeutigen Rechtslage keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu erkennen sei.
7Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Schlichtungsstelle, die zur Zulässigkeit und in der Sache zusammengefasst geltend macht, es fehle Rechtsprechung zur Auslegung des § 78 Abs. 2 zweiter Satz K-JG. Insbesondere sei in der Rechtsprechung nicht geklärt, ob diese Norm auch dann einen Schlichtungsversuch vorschreibe, wenn es - wie hier - an einer Prozessvoraussetzung mangle (und der Antrag als verspätet zurückzuweisen sei). Dies sei nach Auffassung der revisionswerbenden Partei zu verneinen, weil § 78 Abs. 2 K-JG erkennbar einen Abspruch über den geltend gemachten Anspruch und damit eine Entscheidung in der Sache im Blick habe. § 78 Abs. 2 zweiter Satz K-JG erfordere somit keinen Schlichtungsversuch, wenn der Antrag bereits aus formalen Gründen unzulässig sei.
8Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, der Revision keine Folge zu geben. Dazu erstattete die revisionswerbende Partei eine Replik.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9Die Revision ist zulässig, weil zur Auslegung der im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des K-JG (§ 76 Erlöschen des Schadenersatzanspruches; § 78 Verfahren) keine hinreichende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt und die Rechtslage entgegen der Rechtsauffassung des VwG nicht so eindeutig und klar ist, dass sie keine Auslegungsschwierigkeiten aufwirft.
10Die Revision ist auch begründet.
11Die maßgeblichen Bestimmungen des Kärntner Jagdgesetzes 2000 - K-JG, LGBl. Nr. 21/2000 idF LGBl. Nr. 70/2020, lauten auszugsweise:
„§ 74
Schadenersatzpflicht
(1) Der Ersatz von Wild- und Jagdschaden richtet sich nach den folgenden Bestimmungen, soweit nicht zwischen dem Jagdausübungsberechtigten und dem Anspruchsberechtigten anderweitige Vereinbarungen getroffen wurden.
...
§ 76
Erlöschen des Schadenersatzanspruches
Der Anspruch auf Ersatz des Wild- und Jagdschadens erlischt, wenn der Berechtigte ihn nicht binnen 14 Tagen, bei Wildschäden an Wald nicht innerhalb von sechs Monaten, nachdem er von dem Schaden Kenntnis erhalten hat oder bei Anwendung gehöriger Sorgfalt hätte erhalten können, dem Jagdausübungsberechtigten anzeigt oder bei der Gemeinde zur Weiterleitung an die Schlichtungsstelle für Wildschadensangelegenheiten anmeldet, sofern er nicht nachzuweisen vermag, daß er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Anmeldung gehindert war. Der Jagdausübungsberechtigte oder sein Bevollmächtigter (§ 79) hat den Wild- und Jagdschaden binnen einer Woche nach Erhalt der Verständigung mit dem Geschädigten zu besichtigen.
§ 77
Schlichtungsstelle für Wildschadensangelegenheiten
(1) In jeder Gemeinde ist eine Schlichtungsstelle für Wildschadensangelegenheiten (Schlichtungsstelle) einzurichten.
(2) Die Schlichtungsstelle hat über Ansprüche auf Ersatz von Jagd- und Wildschaden zu entscheiden, sofern ein Übereinkommen zwischen dem Geschädigten und dem Jagdausübungsberechtigten nicht zustande kommt.
...
§ 78
Verfahren
(1) Wenn eine Einigung zwischen dem Geschädigten und dem Jagdausübungsberechtigten nicht zustande kommt, sind Anträge auf Festsetzung des Wild- oder Jagdschadens an die Gemeinde zu richten, in der sich das Jagdgebiet befindet, in dem der Schaden entstanden ist. Die Gemeinde hat den Antrag auf Schadensfestsetzung an die Schlichtungsstelle weiterzuleiten.
(2) Das Verfahren vor der Schlichtungsstelle richtet sich nach den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes. Vor der Durchführung des Verfahrens hat die Schlichtungsstelle auf eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten hinzuwirken.
....“
12Gemäß § 77 Abs. 2 K-JG hat die Schlichtungsstelle über Ansprüche auf Ersatz von Jagd- und Wildschäden zu entscheiden, sofern ein Übereinkommen zwischen dem Geschädigten und dem Jagdausübungsberechtigten nicht zustande kommt. Nach § 78 Abs. 2 zweiter Satz K-JG hat die Schlichtungsstelle vor der Durchführung des Verfahrens auf eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten hinzuwirken.
13Im gegenständlichen Fall ist unstrittig, dass kein Übereinkommen zwischen dem Geschädigten (Mitbeteiligten) und den Jagdausübungsberechtigten über den Ersatz der behaupteten Schäden zustande gekommen ist. Gleichzeitig ist auch unbestritten, dass die Schlichtungsstelle keinen Schlichtungsversuch unternommen hat.
14Strittig ist erstens, ob die Schlichtungsstelle zur Vornahme eines Schlichtungsversuches verpflichtet gewesen wäre, und zweitens, ob das Unterlassen des Schlichtungsversuches, wie das VwG vermeint, zur Unzuständigkeit der Schlichtungsstelle zur Entscheidung über den Antrag des Mitbeteiligten geführt hat.
15Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits erkannt, dass die Schlichtungsstelle für Wildschadensangelegenheiten nach den oben dargelegten gesetzlichen Grundlagen über Ansprüche auf Ersatz von Jagd- und Wildschaden zu entscheiden hat, sofern ein Übereinkommen zwischen dem Geschädigten und dem Jagdausübungsberechtigten nicht zu Stande kommt. Das Verfahren ist - wie schon in der Bezeichnung der zuständigen Behörde zum Ausdruck kommt - in besonderer Weise darauf ausgerichtet, auf eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten über widerstreitende Ansprüche hinzuwirken; nur wenn kein Vergleich zwischen den Verfahrensparteien erzielt werden kann, ist durch Bescheid („Entscheidung“) über den geltend gemachten Anspruch abzusprechen. Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 78 Abs. 2 K-JG ergibt, hat das Hinwirken auf eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten vor der Durchführung des Verfahrens zu erfolgen. Wird zwischen den Verfahrensparteien eine Einigung erzielt, so fällt damit die zentrale Voraussetzung für die Verfahrensdurchführung - eben die fehlende Einigung zwischen Geschädigtem und Jagdausübungsberechtigtem - weg. Ist aber kein Verfahren durchzuführen, kann auch keine Entscheidungspflicht der Behörde bestehen ().
16Dem damals entschiedenen Fall lag sachverhaltsmäßig zugrunde, dass zwischen den Beteiligten eine gütliche Einigung über die Ersatzansprüche erzielt worden war. Aufgrund dessen wurde entschieden, dass die Schlichtungsstelle keine Entscheidungspflicht traf und ein Devolutionsantrag einer beteiligten Partei an den Unabhängigen Verwaltungssenat Kärnten von diesem zu Recht als unzulässig zurückgewiesen worden sei.
17Für die Lösung der im vorliegenden Revisionsfall aufgeworfenen Rechtsfragen enthält dieses höchstgerichtliche Erkenntnis keine Antworten: Weder musste darüber abgesprochen werden, in welchen Fällen eine Verpflichtung der Schlichtungsstelle besteht, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken (eine solche lag im dort entschiedenen Fall ohnedies bereits vor), noch wurde abschließend geklärt, ob in Ermangelung eines Schlichtungsversuchs durch die Schlichtungsstelle ihre Entscheidung über die Ersatzansprüche wegen Unzuständigkeit zu beheben ist.
Zur Frage, in welchen Fällen eine Verpflichtung der Schlichtungsstelle besteht, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken:
18Die Schlichtungsstelle vertritt die Rechtsansicht, ein Schlichtungsversuch sei von ihr nur bei Vorliegen der Prozessvoraussetzungen vorzunehmen. Sie versteht die Wendung in § 78 Abs. 2 zweiter Satz K-JG, wonach „vor der Durchführung des Verfahrens“ auf eine gütliche Einigung hinzuwirken sei, dahingehend, dass damit nur „ein Verfahren zur Herbeiführung einer Sachentscheidung (Schadensfestsetzung)“ gemeint sein könne. Sei der Anspruch, wie hier, verspätet erhoben worden und deshalb erloschen, fehle es nach Auffassung der Schlichtungsstelle an einer Prozessvoraussetzung und es müsse von ihr kein Schlichtungsversuch im Sinne des § 78 Abs. 2 zweiter Satz K-JG unternommen werden.
19Demgegenüber argumentiert der Mitbeteiligte in seiner Revisionsbeantwortung, der gesetzlich vorgesehene Versuch einer gütlichen Einigung solle zur Vermeidung prozessualer Auseinandersetzungen beitragen. Die Frage, ob sämtliche Prozessvoraussetzungen vorlägen oder nicht, stelle sich dabei noch gar nicht. Diese Frage sei erst dann zu prüfen, wenn der Vergleichsversuch scheitere. Die Wendung „vor der Durchführung des Verfahrens“ könne nicht so ausgelegt werden, dass damit nur das materielle Verfahren gemeint wäre und nicht auch das Verfahren zur Prüfung der Prozessvoraussetzungen.
20Der Verwaltungsgerichtshof hält dazu fest, dass die Rechtsansicht der Schlichtungsstelle, ein Schlichtungsversuch im Sinne des § 78 Abs. 2 zweiter Satz K-JG setze zumindest das Vorliegen der (formellen) Prozessvoraussetzungen voraus, überzeugend erscheint. In der gesetzlichen Verpflichtung der Schlichtungsstelle, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken, kommt der Vorrang der Einigung der Parteien vor einer behördlichen Entscheidung über den Schadenersatz zum Ausdruck. Das bedeutet aber nicht, dass beispielsweise eine örtlich unzuständige Schlichtungsstelle zu einem Schlichtungsversuch verhalten wäre, ohne ihre Unzuständigkeit wahrnehmen zu können; es heißt auch nicht, dass ein formell unzureichender Antrag (etwa ein solcher, der von einer nicht prozessfähigen Partei gestellt wird) die behördliche Verpflichtung auslösen würde, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken.
21Allerdings übersieht die Schlichtungsstelle in ihrer rechtlichen Argumentation, dass das Erlöschen des Schadenersatzanspruches nach § 76 K-JG keine negative Prozessvoraussetzung ist. Die Schlichtungsstelle führt zwar zutreffend aus, dass die Frist gemäß § 76 K-JG eine gesetzliche Fallfrist sei (Hinweis auf Anderluh/Havranek, Kärntner Jagdrecht4§ 76, Rn 2; und VwSlg. 9030A/1976 zum insoweit vergleichbaren NÖ Jagdgesetz 1974), zieht aber aus dieser Erkenntnis keine richtigen Schlüsse:
22Als (negative) Prozessvoraussetzung könnte die Verfristung gemäß § 76 K-JG dann angesehen werden, wenn die dort geregelte Frist zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen verfahrensrechtlicher Natur wäre. Handelt es sich hingegen um eine materiell-rechtliche Frist, so wäre die rechtzeitige Geltendmachung eine Erfolgsvoraussetzung für den Anspruch; wurde die Frist eingehalten, wäre der Anspruch - soweit er alle weiteren inhaltlichen Erfordernisse erfüllt - zu bejahen und dem Antrag stattzugeben; wurde die Frist hingegen nicht eingehalten, wäre der Anspruch nicht (mehr) gegeben und der Antrag auf Schadenersatz abzuweisen.
23Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu näher ausgeführt, dass eine Frist verfahrensrechtlichen Charakter hat, wenn sie die Möglichkeit, eine Handlung zu setzen, die prozessuale Rechtswirkungen auslösen soll (Verfahrenshandlung), zeitlich beschränkt. Ist hingegen eine Rechtshandlung auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen gerichtet, so ist die dafür vorgesehene Zeitspanne als materiell-rechtliche Frist zu qualifizieren. Die Wertung einer Frist als materiell-rechtlich muss vom Gesetz unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht werden; im Zweifel ist von einer verfahrensrechtlichen Frist auszugehen (vgl. , mwN).
24§ 76 K-JG bringt schon in der Überschrift zum Ausdruck, dass mit ihm das Erlöschen des Schadenersatzanspruches geregelt werden soll. Im Folgenden spricht die Norm davon, dass der Anspruch auf Ersatz des Wild- und Jagdschadens erlischt, wenn der Berechtigte ihn nicht innerhalb der vorgesehenen Frist anzeigt bzw. anmeldet. All das zeigt, dass die rechtzeitige Geltendmachung des Ersatzspruches nach § 76 K-JG darauf gerichtet ist, den Eintritt materieller Rechtswirkungen (nämlich des Verlustes des Schadenersatzanspruches infolge Erlöschens) zu vermeiden. Die in § 76 K-JG genannte Frist zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen (bei sonstigem Erlöschen derselben) ist daher als materiell-rechtliche Frist zu werten.
25Für dieses Ergebnis spricht auch der Umstand, dass § 76 K-JG dem Geschädigten - in Nachbildung der Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG - die Möglichkeit einräumt, das Erlöschen des Anspruches wegen Fristversäumung durch den Nachweis zu vermeiden, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Anmeldung seines Anspruches gehindert war.
Unter der Annahme, § 76 K-JG normiere eine verfahrensrechtliche Frist, hätte es der erwähnten Regelung einer Möglichkeit zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung in dieser Norm nicht bedurft, ergäbe sich eine solche doch schon aus § 71 AVG. Demgegenüber lässt § 71 AVG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung materiell-rechtlicher Fristen nicht zu (vgl. nochmals , mwN).
Wäre die Frist in § 76 K-JG eine verfahrensrechtliche, müsste dem Landesgesetzgeber demnach unterstellt werden, eine überflüssige Regelung für die Wiedereinsetzung getroffen zu haben. Derartiges kann dem Gesetzgeber aber grundsätzlich nicht zugedacht werden (vgl. , mwN). Ist die Frist hingegen - im Sinne der Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof - als materiell-rechtliche Frist anzusehen, kommt ihr - als Sondernorm - wesentliche Bedeutung zu.
26Somit ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass die Schlichtungsstelle auch unter der Annahme, der Mitbeteiligte habe die Ersatzansprüche nicht rechtzeitig im Sinne des § 76 K-JG geltend gemacht, zu einem Schlichtungsversuch gemäß § 78 Abs. 2 zweiter Satz K-JG verpflichtet gewesen wäre, weil es sich bei der Frage des Erlöschens der Ersatzansprüche infolge Verfristung nicht um eine Prozess-, sondern eine Erfolgsvoraussetzung im Verfahren gehandelt hat.
Zur Frage, ob das Unterlassen des Einigungsversuches durch die Schlichtungsstelle zu ihrer Unzuständigkeit (zur Entscheidung über den Anspruch) geführt hat.
27Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem zitierten Erkenntnis 2008/03/0162 - wie erwähnt - ausgesprochen, dass eine Entscheidungspflicht der Schlichtungsstelle im Falle einer gütlichen Einigung der Beteiligten nicht gegeben ist, und dass das Verfahren über Ansprüche auf Ersatz von Jagd- und Wildschaden in besonderer Weise darauf ausgerichtet ist, auf eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten über widerstreitende Ansprüche hinzuwirken.
28In der gesetzlichen Verpflichtung der Schlichtungsstelle, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken, kommt - wie ebenfalls bereits angesprochen worden ist (Rn. 21) - der Vorrang der Einigung der Parteien vor einer behördlichen Entscheidung über den Schadenersatz zum Ausdruck.
29Daraus lässt sich der Schluss, die Schlichtungsstelle sei in Ermangelung eines Schlichtungsversuches unzuständig, eine Entscheidung zu treffen (wobei das VwG diese Unzuständigkeit von Amts wegen aufzugreifen hat), nicht ohne Weiteres ziehen. Die Verletzung der Verpflichtung der Schlichtungsstelle, vor Durchführung des Verfahrens einen Schlichtungsversuch zu unternehmen, könnte nämlich gleichermaßen als Verfahrensverstoß gewertet werden, der im Rechtsmittelverfahren nur im Falle einer Geltendmachung durch die Parteien - bei entsprechender Relevanzdarstellung - wahrzunehmen wäre.
30Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet Art. 18 B-VG (iVm Art. 83 Abs. 2 B-VG) den Gesetzgeber zu einer - strengen Prüfmaßstäben standhaltenden - präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit. Dies bedingt auch eine klare Regelung hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrensrechts, jedenfalls dann, wenn dieses die Zuständigkeiten mitbestimmt (vgl. , Rn. 56, mwN).
31Im vorliegenden Fall liefert das K-JG keinen eindeutigen Hinweis dafür, dass die in Rede stehende Bestimmung des § 78 Abs. 2 zweiter Satz K-JG als Zuständigkeitsnorm zu verstehen ist. Es findet sich auch kein Anhaltspunkt für die Annahme, der Landesgesetzgeber habe ein amtswegiges Aufgreifen eines unterbliebenen Schlichtungsversuchs im Rechtsmittelverfahren im Blick gehabt. Das amtswegige Aufgreifen dieses Mangels würde in Fällen, in denen keiner der Beteiligten seine Bereitschaft zu einer gütlichen Einigung geltend macht, sondern die Entscheidung der Schlichtungsstelle - wie im gegenständlichen Fall - mit anderen Argumenten bekämpft, zu einer unnötigen Verfahrensverlängerung führen; ein Ergebnis, das dem K-JG nicht unterstellt werden kann.
32Es ist somit davon auszugehen, dass die Anordnung des § 78 Abs. 2 zweiter Satz K-JG keine Zuständigkeitsnorm, sondern eine Verfahrensbestimmung darstellt, die den Ablauf des Verfahrens über die Geltendmachung von Wildschadenersatzansprüchen näher determiniert. Das Unterlassen des vorgeschriebenen Schlichtungsversuchs stellt demnach einen bloßen Verfahrensfehler dar, der (ausgehend von den Ausführungen in Rn. 29) eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch das VwG wegen Unzuständigkeit der Schlichtungsstelle nicht rechtfertigte.
33Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
34Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021030043.L00 |
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