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VwGH vom 17.04.2013, 2013/22/0067

VwGH vom 17.04.2013, 2013/22/0067

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Christian Werner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lugeck 1/1/4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/100.841/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, reiste laut eigenen Angaben Ende 2003/Anfang 2004 mit einem Touristenvisum nach Österreich ein und setzte ihren Aufenthalt im Bundesgebiet nach Ablauf dieses Visums fort. Am heiratete sie einen österreichischen Staatsbürger und stellte im Hinblick auf diese Ehe am einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger".

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus. In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin nach Ablauf des Sichtvermerks ihren Aufenthalt im Bundesgebiet unrechtmäßig fortgesetzt habe und die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich des § 66 FPG - im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG somit gegeben seien.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG stellte die belangte Behörde fest, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem österreichischen Ehemann im gemeinsamen Haushalt lebe. Weitere familiäre Bindungen bestünden zu ihrer Mutter, die seit 2006 ebenfalls österreichische Staatsbürgerin sei, und zu ihren beiden Schwestern. Die Beschwerdeführerin habe angegeben, von 1988 an (erstmals) im Bundesgebiet aufhältig gewesen zu sein und hier (vor ihrer Rückkehr nach Serbien) vier Jahre lang die Volksschule und über ein Jahr lang die Hauptschule besucht zu haben. Im Hinblick darauf sei von einem erheblichen, mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten, zumal ihr jahrelanger unrechtmäßiger Aufenthalt in Österreich gegen das "hohe" öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens verstoße. Die privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet würden zwar schwer wiegen, seien aber keinesfalls derart gewichtig, dass das genannte öffentliche Interesse in den Hintergrund zu treten habe. Mangels sonstiger, besonders zugunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keinen Grund, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des Ermessens Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am - jeweils um die Fassung BGBl. I Nr. 29/2009 dieser Gesetze.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Nach der Aktenlage bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG bei der Beschwerdeführerin vorläge.

Die Beschwerdeführerin bringt zwar vor, sie sei als "Ehegattin eines freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgers bzw. Österreichers" nach § 54 Abs. 1 iVm § 52 Z 1 und § 57 NAG zur Niederlassung berechtigt. Dass ihr Ehemann sein unionsrechtlich zustehendes Freizügigkeitsrecht ausgeübt habe, wird von ihr aber auch in der Beschwerde nicht behauptet. Dem Argument der Beschwerdeführerin, dass es nicht darauf ankomme, "ob der Ehegatten-Österreicher das Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen" habe, kann im Hinblick auf den Wortlaut des § 57 NAG nicht gefolgt werden.

Es ist somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde den Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG herangezogen und als erfüllt angesehen hat.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat allerdings im Urteil vom , Rs C-256/11, "Dereci ua.", ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird. Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger (im vorliegenden Fall der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Ehemann der Beschwerdeführerin) de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, sondern das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Sollten derartige Gründe - der bloße Wunsch nach Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union reicht allerdings nicht aus - bestehen, würde die gegenüber einem Fremden ausgesprochene Anordnung, das Bundesgebiet wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts zu verlassen, dem Unionsrecht widersprechen und daher nicht zulässig sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0339, mwN). Die belangte Behörde wird daher im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage ist nicht mit der Beurteilung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen und war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

Der angefochtene Bescheid war somit schon deshalb - ohne das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung im Blick auf Art. 8 EMRK einer Prüfung zu unterziehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
PAAAE-88262