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VwGH vom 19.02.2014, 2013/22/0061

VwGH vom 19.02.2014, 2013/22/0061

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des V, vertreten durch Maga. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 322.670/2- III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zwecks Familienzusammenführung mit seiner österreichischen Ehefrau gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) im Wesentlichen aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Beschwerdeführer in den letzten Jahren mehrfach gegen die österreichische Rechtsordnung verstoßen habe. Er sei in den letzten Jahren immer wieder wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung verurteilt worden. Auf Grund der zahlreichen Verurteilungen sei gegen ihn ein Aufenthaltsverbot erlassen worden; das diesbezügliche Berufungsverfahren sei beim unabhängigen Verwaltungssenat anhängig. Für die Behörde stehe fest, dass der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten. Diese Tatsache stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Daher könne dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht zugestimmt werden.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers widerstreite öffentlichen Interessen und der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die letzte rechtskräftige Verurteilung sei am erfolgt und es reiche die seither vergangene Zeit nicht aus, um eine positive Zukunftsprognose stellen zu können.

Die behördliche Beurteilung nach Art. 8 EMRK erschöpft sich darin, "dass zwar durch den Aufenthalt Ihrer Ehegattin familiäre Bindungen in Österreich bestehen, aber durch Ihre zahlreichen Verurteilungen konnte keine positive Prüfung in Bezug auf § 11 Abs. 3 NAG erfolgen".

Letztlich verneinte die Behörde einen Ausnahmefall im Sinn des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache C-256/11 "Dereci u.a.".

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Februar 2013 sind die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012 maßgebend.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn sein Aufenthalt nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Dies ist gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG dann der Fall, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0107) ist bei der Auslegung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffes eine das Gesamtfehlverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten; dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen.

Diesbezüglich verweist die Behörde lediglich darauf, dass der Beschwerdeführer "in den letzten Jahren immer wieder wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung verurteilt" und ein noch nicht rechtskräftiges Aufenthaltsverbot erlassen worden sei. Um die von der Behörde aufgestellte Gefährdungsprognose überprüfen zu können, wären jedoch Feststellungen nicht nur über die konkreten Verurteilungen, sondern insbesondere über das diesen Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten erforderlich gewesen. Insoweit die Behörde auf eine letzte rechtskräftige Verurteilung aus dem Jahr 2010 verweist, negiert sie, dass diese Verurteilung zu einer Zusatzstrafe hinsichtlich der Verurteilung aus dem Jahr 2008 erfolgte und somit der Zeitraum seit dem letzten Fehlverhalten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht nur ca. drei Jahre, sondern mehr als vier Jahre beträgt. Umso mehr wäre eine konkrete Darstellung des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers erforderlich gewesen.

Ein Feststellungsmangel muss der Behörde auch in Bezug auf die Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK angelastet werden. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung berücksichtigte sie nämlich lediglich "familiäre Bindungen in Österreich" und meinte, dass durch die zahlreichen Verurteilungen keine "positive Prüfung" in Bezug auf § 11 Abs. 3 NAG erfolgen könne. Damit nahm sie auf weitere in § 11 Abs. 3 NAG genannte Kriterien nicht Bedacht und stellte etwa nicht fest, wie lange sich der Beschwerdeführer in Österreich aufgehalten hat und ob integrationsbegründende Umstände, wie etwa Deutschkenntnisse, vorliegen.

Da nicht auszuschließen ist, dass die Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am

Fundstelle(n):
GAAAE-88252