VwGH vom 24.01.2012, 2011/11/0081
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des O, vertreten durch Kurz Götsch, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kaiser-Josefstraße 13, gegen den Bescheid der Stellungskommission Tirol vom , Zl. P996978/2- MilKdo T/Kdo/ErgAbt/2011, betreffend Feststellung der Eignung zum Wehrdienst, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gemäß §§ 9 Abs. 1 und 17 Abs. 2 des Wehrgesetzes 2001 (WehrG) die Eignung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst mit "Tauglich" festgestellt.
Begründend wurde ausgeführt, bei der Stellungsuntersuchung vom sei beim Beschwerdeführer ein verbreiterter Herzschatten im Thoraxröntgen festgestellt worden, sodass eine weiterführende Facharztuntersuchung anzuordnen gewesen sei. Die in der Folge durch einen Facharzt für Innere Medizin durchgeführte Facharztuntersuchung habe beim Beschwerdeführer echokardiografisch einen normalen Herzbefund ohne Hinweis auf eine Erkrankung ergeben; in der Ergometrie bestehe eine normale Belastbarkeit. Der Beschwerdeführer habe allerdings eine leichte Belastungshypertonie bei insgesamt ausreichender Belastbarkeit.
Der Dienst im Bundesheer umfasse eine militärische Komponente im engeren Sinn und fordere eine körperliche Leistungsfähigkeit, die das Bedienen einer Waffe sowie die Aufbringung eines Mindestmaßes an Kraftanstrengung und Beweglichkeit erlaube, um die Basisausbildung zu absolvieren und die sonst bei der Leistung des Militärdienstes anfallenden Tätigkeiten und Übungen zu verrichten. Darüber hinaus sei ein Mindestmaß an geistiger Leistungsfähigkeit gefordert.
Der Beschwerdeführer sei vom Ergebnis der Beweisaufnahme "und vom obigen Sachverhalt" mit Schreiben vom in Kenntnis gesetzt worden, von der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme habe er nicht Gebrauch gemacht.
Nach einer Darlegung der maßgebenden Bestimmungen des WehrG 2001 folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe die notwendige körperliche und geistige Eignung für eine im Bundesheer in Betracht kommende Verwendung.
Über die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Hinsichtlich der maßgebenden Rechtslage und der Anforderungen an die Beurteilung eines über die Tauglichkeit eines Stellungspflichtigen entscheidenden Beschlusses der Stellungskommission wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/11/0154, verwiesen.
2. Die Beschwerde bringt im Wesentlichen vor, im angefochtenen Bescheid werde lediglich auf den im Rahmen des Stellungsverfahrens eingeholten Facharztbefund für Innere Medizin vom verwiesen, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem anlässlich der Stellungsuntersuchung festgestellten verbreiterten Herzschatten im Thoraxröntgen sei aber völlig unterblieben, ebenso eine "Aufklärung dieser widersprüchlichen Befunde" und insbesondere eine Berücksichtigung aller weiteren Erkrankungen des Beschwerdeführers. Dieser habe nämlich im Rahmen der Stellungsuntersuchung eine Reihe von fachärztlichen Befunden abgegeben, aus denen sich insbesondere ergebe, dass bei ihm ein chronisches schweres Asthma vorliege, er regelmäßig Medikamente einnehmen müsse und ausgeprägte Allergien vorlägen. Schon aufgrund der vorliegenden Allergien ergäbe sich, dass der Beschwerdeführer nicht im Stande sei, die regelmäßig im Zuge der Basisausbildung anfallenden Tätigkeiten und Übungen bei der Leistung des Militärdienstes zu verrichten. Diese bestünden nämlich insbesondere im Rahmen der Grundausbildung in ausgedehntem Maß aus diversen Körperanstrengungen im Freien, wodurch die beim Beschwerdeführer vorhandenen Allergien gerade ausgelöst würden. Das Verfahren sei ergänzungsbedürftig, weil sich die belangte Behörde nur mit einem einzigen gesundheitlichen Defizit auseinandergesetzt habe und auch diesbezüglich - hinsichtlich des am festgestellten Herzschattens - der Sachverhalt ergänzungsbedürftig sei, weil widerstreitende Befunde vorlägen, die einen Bereich beträfen, bei dem eine fehlerhafte Einschätzung zu schwersten Schädigungen der Gesundheit, bis hin zum Tod, führen könne. Zum anderen habe die belangte Behörde sämtliche vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunde und Hinweise auf andere gesundheitliche Defizite - schweres Asthma und zahlreiche Allergien - vollständig ignoriert, es insbesondere unterlassen, eine Ergänzung des Facharztbefundes zu veranlassen, um die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers mit Blick auf diese weiteren Erkrankungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Auslösung eines Asthmaanfalls infolge Bewegung im Freien, zu prüfen.
3. Dieses Vorbringen ist im Ergebnis zielführend.
3.1. Der behauptete Verfahrensmangel hinsichtlich des im Thoraxröntgen festgestellten verbreiterten Herzschattens liegt allerdings nicht vor:
Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt und auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten wird, veranlasste die belangte Behörde aufgrund der diesbezüglichen Feststellung die Einholung eines internistischen Ergänzungsgutachtens. In diesem seitens des Facharztes für Innere Medizin und Sportmedizin am eingeholten Befund heißt es über die Untersuchung des Beschwerdeführers:
"Status: Über dem Herz rein, rhythmische Herztöne. Lunge frei. RR 120/70
EKG: SR 80/min; PQ 0,12"; Steiltyp; Trans. V3; altersgemäße
Stromkurve
kein Hinweis für Linksherzhypertrophie.
Echocardiographisch: Das Herz ist normal groß, gut kontrahierend, keine Ergussbildung. Die Klappen - soweit einsehbar - zart, ohne Hinweis für Verdickungen oder Auflagerungen. Kein Hinweis für eine entzündl. Herzerkrankung. Kein Vitium cordis bei der Doppler-US. Auch der li. Ventrikel systol. mit 54mm im oberen Normbereich.
Ergo: Begonnen wurde mit einer Belastung von 50 Watt. Alle 2 Minuten wurde um 50 W erhöht. Bei 248 Watt (=94%) mußte wegen Ermüdung abgebrochen werden. Max HF 184/min, max RR 220/66. Keine Rhythmusstörungen. Keine Veränderung der Nachschwankung.
Beurteilung: Cardial abgesehen von geringer Konditionsschwäche unauffälliger Befund. In der Ergometrie mäßige Belastungshypertonie. 24 RR Messung wurde vereinbart."
Nachdem ihm dieser Befund im Rahmen des Parteiengehörs mit der Einladung zur Stellungnahme zugestellt worden war, äußerte sich der Beschwerdeführer dazu nicht.
Vor diesem Hintergrund kann die Auffassung der Beschwerde nicht geteilt werden, es lägen diesbezüglich "widerstreitende Befunde" und eine Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts vor. Vielmehr ist die belangte Behörde insoweit ihrer Verpflichtung nachgekommen, die aufgrund der Ergebnisse des Thoraxröntgens aufgeworfene Frage nach Art und Auswirkungen des "verbreiterten Herzschattens" zu klären. Mit Blick auf die Ausführungen des genannten Sachverständigen, der nach Durchführung eines EKG, einer Echokardiographie und einer ergometrischen Untersuchung festgestellt hat, dass beim Beschwerdeführer kardial ein unauffälliger Befund vorliege, welchen Ausführungen der Beschwerdeführer nicht konkret entgegengetreten ist, wird von der Beschwerde diesbezüglich ein relevanter Verfahrensmangel nicht dargetan.
3.2. Anders verhält es sich hinsichtlich der vom Beschwerdeführer behaupteten weiteren Beschwerden (Asthma/Allergien):
3.2.1. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird darauf überhaupt nicht Bezug genommen.
In der Gegenschrift bringt die belangte Behörde vor, hinsichtlich der obstruktiven Bronchitis des Beschwerdeführers liege ein Befund über eine Infektexazerbation vor, jedoch keine weiteren Facharztbefunde. Wohl bestehe eine Pollinose, sodass der Beschwerdeführer bei Auftreten von Atemnot im Bedarfsfall zur Linderung der Symptome eine Inhalationstherapie vornehme. Die im Rahmen des Stellungsverfahrens durchgeführte Lungenfunktionsprüfung habe beim relevanten Funktionsparameter mit 68 % eine ausreichende Belastbarkeit bezüglich der Lungenfunktion auch ohne vorherige Therapie ergeben. Bei jedem Stellungspflichtigen würden Wechselwirkungen von Erkrankungen und eine Zusammenschau der Befunde in die Beurteilung miteinbezogen, so auch im Fall des Beschwerdeführers; im Bescheid angeführt würden "jedoch vernünftigerweise nur Befunde, welche für das konkrete Verwaltungsverfahren von Bedeutung sind". Hinsichtlich der geltend gemachten Allergien werde auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot verwiesen.
3.2.2. Festzuhalten ist zunächst, dass Ausführungen in der Gegenschrift nach ständiger Rechtsprechung eine ordnungsgemäße Bescheidbegründung nicht ersetzen können (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2011/11/0154, mwN).
Da - ausgehend von den vorgelegten Verwaltungsakten - bereits bei der Stellungsuntersuchung des Beschwerdeführers am laut "Statusblatt" u.a. die Diagnose "allergische Rhinopathie durch Pollen, Heufieber und Heuschnupfen, Pollenallergie o.n.A., Pollinose mit asthmatischen Beschwerden … "Z.N. - vorwiegend allergisches Asthma bronchiale" gestellt wurde, trifft der Einwand der belangten Behörde, die Allergien betreffenden Beschwerdebehauptungen verstießen gegen das Neuerungsverbot des § 41 VwGG, nicht zu.
3.3. Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, im angefochtenen Bescheid begründete Ausführungen auch zur Frage zu tätigen, ob und in welchem Ausmaß der Beschwerdeführer aufgrund der festgestellten Asthma- und Allergieerkrankung in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2011/11/0018, mwN).
4. Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
EAAAE-88218