VwGH vom 15.06.2021, Ra 2021/02/0091
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Landespolizeidirektion Steiermark gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom , LVwG 30.11-2436/2020-4, betreffend Verspätung eines Einspruches (mitbeteiligte Partei: G in W, vertreten durch die Gahler Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Schulerstraße 18/7), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1Mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Steiermark (LPD) vom wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, am um 17:27 Uhr an einem näher bezeichneten Ort mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeug die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 37 km/h überschritten zu haben, wobei die in Betracht kommende Messtoleranz bereits abgezogen worden sei. Dadurch habe der Mitbeteiligte § 52 lit. a Z 10a StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 2d StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 165,--(Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage und 10 Stunden) verhängt wurde.
2Nach einem erfolglosen Versuch, die mittels RSb-Brief versendete Strafverfügung dem Mitbeteiligten am an seiner Abgabestelle zuzustellen, wurde eine Verständigung über die Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung eingelegt, das Schriftstück bei einer näher bezeichneten Geschäftsstelle des Zustelldienstes hinterlegt und als Beginn der Abholfrist der festgelegt. Das hinterlegte Schriftstück wurde nach dem aktenkundigen Rückschein am vom Mitbeteiligten behoben.
3Der Mitbeteiligte erhob gegen diese Strafverfügung per E-Mail am Einspruch, in welchem er die angelastete Verwaltungsübertretung nicht bestritt, jedoch um eine Reduktion der verhängten Strafe ersuchte.
4Mit Bescheid der LPD vom wurde der Einspruch des Mitbeteiligten als verspätet zurückgewiesen. Die Strafverfügung vom sei laut Zustellnachweis am zugestellt worden. Die zweiwöchige Einspruchsfrist habe daher am begonnen und am geendet. Trotz richtiger und vollständiger Rechtsmittelbelehrung sei der Einspruch erst am und somit nach Ablauf der Einspruchsfrist eingebracht worden.
5Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde. Im Rahmen des ihm vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) eingeräumten Parteiengehörs gab der Mitbeteiligte in seiner Stellungnahme vom an, vom bis zum im Ausland gewesen zu sein.
6Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das LVwG der vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde Folge, behob den bekämpften Bescheid ersatzlos und erklärte eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig.
7Begründend führte das LVwG aus, die Strafverfügung der LPD vom sei nach einem erfolglosen Zustellversuch bei einer näher bezeichneten Postgeschäftsstelle hinterlegt worden und ab dem abholbereit gewesen. Der Mitbeteiligte sei vom bis zum im Ausland gewesen, erst am an die Abgabestelle zurückgekehrt und habe am die Strafverfügung behoben. Er habe nach seiner Rückkehr an die Abgabestelle frühestens fünf Tage nach Beginn der Abholfrist den angefochtenen Bescheid beheben können, weshalb ihm umso weniger jener Zeitraum zur Ausführung des Einspruches zur Verfügung gestanden sei, der ihm auch im Falle einer Ersatzzustellung durch postamtliche Hinterlegung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Die zweiwöchige Frist zur Erhebung eines Einspruches gemäß § 49 Abs. 1 VStG sei dem Mitbeteiligten keinesfalls ungekürzt zur Verfügung gestanden. Der Mitbeteiligte habe somit nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt. Die Strafverfügung habe daher erst mit , dem Tag, an dem der Mitbeteiligte die hinterlegte Sendung nach seiner Rückkehr zur Abgabestelle frühestmöglich beheben hätte können, als zugestellt gegolten, sodass der am erhobene Einspruch rechtzeitig und seine Zurückweisung rechtswidrig gewesen sei.
8Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der LPD mit dem Antrag, das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
9Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die kostenpflichtige Zurück- in eventu die Abweisung der Amtsrevision als unbegründet.
10Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11Die Amtsrevision erweist sich im Hinblick auf ihr Vorbringen, das angefochtene Erkenntnis weiche von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Kenntnisnahme von einem Zustellvorgang im Sinne des § 17 Abs. 3 ZustG ab, weil dem Mitbeteiligten eine Frist von zehn Tagen zur Erhebung des Einspruches zur Verfügung gestanden sei und zwischen dem Beginn der Abholfrist und dem Tag der frühestmöglichen Behebung ein Wochenende gelegen habe, weshalb auch nicht davon auszugehen sei, dass der Mitbeteiligte durch seine Ortsabwesenheit signifikant schlechter gestellt gewesen sei als der Großteil der berufstätigen Bevölkerung, sodass das LVwG bei Beachtung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auffassung gelangen hätte müssen, dass der Einspruch des Mitbeteiligten verspätet gewesen sei, als zulässig und begründet.
12Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG ist das hinterlegte Dokument mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, in dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 leg. cit. wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
13Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die durch den dritten Satz des § 17 Abs. 3 ZustG normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (vgl. ; , jeweils mwN).
14„Rechtzeitig“ im Sinne des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG ist dahingehend zu verstehen, dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein Rechtsmittel zur Verfügung steht, der ihm auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so muss die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden (vgl. , mwN).
15Wird durch die Zustellung der Beginn einer Rechtsmittelfrist ausgelöst, so erlangt der Empfänger noch „rechtzeitig“ vom Zustellvorgang Kenntnis, wenn ihm ein für die Einbringung des Rechtsmittels angemessener Zeitraum verbleibt. Es ist nicht erforderlich, dass dem Empfänger in den Fällen einer Zustellung durch Hinterlegung stets die volle Frist für die Erhebung eines allfälligen Rechtsmittels zur Verfügung stehen muss (vgl. , mwN).
16Ob jemand vom Zustellvorgang „rechtzeitig“ Kenntnis erlangt hat, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde etwa eine unzulässige Verkürzung der Rechtsmittelfrist bei einer Rückkehr vier Tage nach Beginn der Abholfrist verneint (vgl. , mwN). Liegt in einem solchen Fall zwischen dem Hinterlegungszeitpunkt und der Abholung ein Wochenende, ist kein signifikanter Unterschied zum Agieren des Teils der berufstätigen Bevölkerung, der am Tag der Hinterlegung selbst von der Hinterlegung erfährt und bedingt durch die Berufstätigkeit die Sendung einige Tage später behebt, erkennbar (vgl. hierzu erneut ). Auch ging der Verwaltungsgerichtshof im Fall eines „Wochenpendlers“, der wegen seiner grundsätzlichen Abwesenheit von Montag bis Freitag von seinem Wohnort, an dem zugestellt worden sei, erst am Freitag von der zwei Tage zuvor am Mittwoch erfolgten Hinterlegung einer Strafverfügung Kenntnis erlangt habe und dem die Behebung erst am darauffolgenden Montag möglich gewesen sei, davon aus, dass dieser rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis nehmen habe können, weil ihm für die Erhebung seines Einspruches noch zehn Tage zur Verfügung gestanden hätten (vgl. , mwN, zur Rechtzeitigkeit der Kenntnisnahme eines Zustellvorganges bei einer verbleibenden Dauer zur Ausführung eines Rechtsmittels von zehn Tagen bei einer Rechtsmittelfrist von zwei Wochen).
17Den Feststellungen des LVwG folgend ist der Mitbeteiligte am Sonntag, dem , somit drei Tage nach Beginn der Abholfrist am Donnerstag, dem , an die Abgabestelle zurückgekehrt, sodass es ihm jedenfalls möglich gewesen wäre, die Strafverfügung vier Tage nach Beginn der Abholfrist am Montag, dem , zu beheben. Vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ein signifikanter Unterschied zu Berufstätigen, welche am Tag der Hinterlegung selbst von der Hinterlegung erfahren und bedingt durch die Berufstätigkeit die Sendung einige Tage später beheben, nicht erkennbar und stand dem Mitbeteiligten bei Behebung der Strafverfügung am zur Erhebung seines Einspruches ein angemessener Zeitraum von mindestens zehn Tagen zur Verfügung.
18Die Abwesenheit des Mitbeteiligten war daher nicht als eine solche zu qualifizieren, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (vgl. erneut , mwN).
19Indem das LVwG dies verkannte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb das Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021020091.L00 |
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