VwGH vom 11.10.2011, 2009/05/0331

VwGH vom 11.10.2011, 2009/05/0331

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde 1. des Mag. J H, 2. der K S und 3. der M-H S, alle in Wien, alle vertreten durch Hasberger Seitz Partner Rechtsanwälte GmbH, 1010 Wien, Gonzagagasse 4, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. BOB - 63/09, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: P Immobilien Aktiengesellschaft in Wien, Liebenberggasse 7), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

Mit Eingabe vom beantragte die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Bauwerberin) als Eigentümerin der Liegenschaft in Wien, J.-Gasse 26, beim Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 37, im Folgenden: MA 37) die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung eines unterkellerten viergeschossigen Wohnhauses mit vier Wohnungen und einer Tiefgarage mit vier Pflichtstellplätzen sowie eines Nebengebäudes auf ihrer Liegenschaft, wobei geringfügige Geländeanschüttungen vorgenommen würden.

An diese Liegenschaft, die im Osten von der J.-Gasse begrenzt ist, grenzen südseitig die Liegenschaft des Erstbeschwerdeführers mit der Grundstücksadresse J.-Gasse 28 und nordseitig die Liegenschaft der Zweitbeschwerdeführerin und Drittbeschwerdeführerin mit der Grundstücksadresse J.-Gasse 24 an. In dem für das Bauvorhaben gültigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplan (Plandokument Nr. 7640) sind für die verfahrensgegenständliche Liegenschaft die Widmung Wohngebiet, Bauklasse I mit einer Beschränkung der zulässigen Gebäudehöhe auf 7,50 m und die offene Bauweise festgesetzt. Entlang der Baulinie an der J.-Gasse ist eine 5,00 m tiefe Vorgartentiefe einzuhalten. In einem Abstand von 15,00 m von der vorderen Baufluchtlinie ist eine parallel verlaufende hintere Baufluchtlinie festgesetzt. Der höchste Punkt des Daches der zur Errichtung gelangenden Gebäude darf nicht höher als 4,50 m über der zulässigen Gebäudehöhe liegen. Bei der Errichtung von unterirdischen Baulichkeiten sind Vorkehrungen zu treffen, dass eine (den Regeln der Gartenbautechnik entsprechende) Erdschüttung in einer Mindesthöhe von 40,00 cm aufgebracht werden kann.

Die Beschwerdeführer erhoben zu der für den anberaumten Bauverhandlung mit Schreiben vom - soweit noch von Bedeutung - Einwendungen gegen die Gebäudehöhe, den Gebäudeumriss und die projektierten Geländeveränderungen (Anschüttungen).

Mit Bescheid der MA 37 vom wurde der Bauwerberin gemäß § 70 der Bauordnung für Wien (BO) iVm dem Wiener Garagengesetz nach Maßgabe der mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen, einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides bildenden Pläne die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibungen erteilt. Dieser Bescheid enthält die folgenden beiden Fertigkeitsklauseln:

"Die Sachbearbeiterin: Dipl.-Ing. (FH) (H.) Eva-Maria" (diese war auch Leiterin der Bauverhandlung am ) und "Für den Abteilungsleiter: Dipl.-Ing. (…) Oberstadtbaurat".

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom Berufung.

Von der Berufungsbehörde erging an die MA 37 in Bezug auf das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben der Auftrag, eine "Flächenabwicklung" darzustellen und daraus die Gebäudehöhe sowohl für jede einzelne Front als auch für alle Gebäudefronten zusammen zu ermitteln und gutachterlich darzulegen sowie den Gebäudeumriss darzustellen und anzugeben, welche Teile diesen zulässigerweise oder unzulässigerweise überragten. Darüber hinaus wurde mit dem Auftrag ersucht, zu einzelnen Berufungsvorbringen eine Prüfung durchzuführen und Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom gab die MA 37 die geforderte gutachterliche Stellungnahme unter Anschluss eines Planes und einer Flächenabwicklung ab, wobei diese Stellungnahme u.a. von der genannten Sachbearbeiterin Dipl.-Ing. (FH) (H.) unterfertigt ist. Auch die weitere gutachterliche Stellungnahme der MA 37 vom , der zufolge in Entsprechung des Auftrages der Berufungsbehörde vom die von der Bauwerberin vorgelegte Flächenabwicklung vom hinsichtlich ihrer Richtigkeit geprüft und korrekt befunden wurde, ist (u.a.) von der genannten Sachbearbeiterin unterfertigt.

Mit Schreiben vom nahm die Bauwerberin Planänderungen in Bezug auf das Umkehrdach über der Garage mit Entfernung von Türvorbauten im Erdgeschoss vor. Mit Schreiben vom gab die genannte Sachbearbeiterin über Auftrag der Berufungsbehörde zu den abgeänderten Plänen die Stellungnahme ab, dass diese Pläne überprüft worden seien und das Projekt der BO und dem gültigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplan entspreche.

In ihrer Äußerung vom zu diesen Ermittlungsergebnissen brachten die Beschwerdeführer (u.a.) vor, dass die Sachbearbeiterin Dipl.-Ing. (FH) (H.) nicht als Amtssachverständige im Berufungsverfahren hätte beigezogen werden dürfen, weil sie im erstinstanzlichen Bescheid als Ausstellerin dieses Bescheides angeführt sei. Demzufolge seien die Stellungnahmen der MA 37 vom , und nicht zu berücksichtigen.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Magistratsbescheid mit der Abänderung bestätigt, dass sich dieser auf die zum Bestandteil des Berufungsbescheides erklärten Pläne bezieht.

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde u.a. unter Hinweis auf die Abänderung des Bauvorhabens im Berufungsverfahrens und die Stellungnahmen der Amtssachverständigen der MA 37 vom , und aus, dass die vorgenommene Projektsänderung wie auch die von der Bauwerberin vorgelegte Fassadenabwicklung von der genannten bautechnischen Amtssachverständigen überprüft und für richtig befunden worden seien und dass - wie dem Einreichplan und der Stellungnahme der bautechnischen Amtssachverständigen vom zu entnehmen sei - die im mittleren Bereich der Liegenschaft ausgeführten Geländeveränderungen zur Grundgrenze der Beschwerdeführer hin an das bestehende Gelände anglichen und somit das Gelände an den Grundgrenzen nicht verändert werde. Dem Vorbringen der Beschwerdeführer in der Stellungnahme vom , die Beiziehung der Amtssachverständigen im Berufungsverfahren sei unzulässig gewesen, sei entgegenzuhalten, dass ein von der Berufungsbehörde beigezogener Amtssachverständiger nicht schon deshalb befangen sei, weil er bereits im erstinstanzlichen Verfahren mitgewirkt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, und legte im Nachhang - nach Abschluss des dieselbe Rechtssache betreffenden Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof - die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Die Bauwerberin hat keine Gegenschrift erstattet und im weiteren Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom ,

B 1371/09-11, vorgelegt, mit dem die Behandlung der von denselben Beschwerdeführern an ihn erhobenen Beschwerde gegen den nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid abgelehnt wurde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der erstinstanzliche Baubewilligungsbescheid vom wurde von der Organwalterin Dipl.-Ing. (FH) (H.) unterfertigt, die im Berufungsverfahren als bautechnische Amtssachverständige herangezogen worden war (vgl. die genannten Stellungnahmen vom , und ). Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid in ihrer Beurteilung auch auf diese bautechnischen Stellungnahmen gestützt.

Die genannte Organwalterin hat damit im Sinn des § 7 Abs. 1 Z 4 AVG an der Erlassung des angefochtenen Bescheides mitgewirkt und hätte sich der Ausübung ihres Amtes als Amtssachverständige während des Berufungsverfahrens zu enthalten gehabt. Wenn die belangte Behörde dennoch ihre Entscheidung auf die Ausführungen eines solcherart unzweifelhaft befangenen Organs stützte, verkannte sie die Rechtslage (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/05/0277, mwH auf die hg. Judikatur).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Zum Beschwerdevorbringen, soweit dieses Fragen der Auslegung des § 81 Abs. 2 BO aufwirft, sei noch Folgendes bemerkt:

§ 81 Abs. 2 BO (in der hier anzuwendenden Fassung vor den Novellen LGBl. Nr. 24/2008 und Nr. 25/2009) lautet:

"§ 81.

(…)

(2) Bei den über eine Gebäudetiefe von 15 m hinausragenden Teilen von Gebäuden an der Baulinie, Straßenfluchtlinie oder Verkehrsfluchtlinie sowie bei allen nicht an diesen Fluchtlinien gelegenen Gebäuden darf die Summe der Flächeninhalte aller Gebäudefronten nicht größer als das Produkt aus der Summe der Längen aller Gebäudefronten und der höchsten zulässigen Gebäudehöhe sein; hiebei darf die höchste zulässige Gebäudehöhe an der Grundgrenze und bis zu einem Abstand von 3 m von derselben überhaupt nicht und an den übrigen Fronten an keiner Stelle um mehr als 3 m überschritten werden. Bei dieser Ermittlung sind die Feuermauern ab 15 m hinter der Baulinie, Straßenfluchtlinie oder Verkehrsfluchtlinie wie Fronten in Rechnung zu stellen. Die der Dachform entsprechenden Giebelflächen bleiben jedoch bei der Bemessung der Gebäudehöhe außer Betracht, und der oberste Abschluss des Daches darf keinesfalls höher als 7,5 m über der zulässigen Gebäudehöhe liegen, sofern der Bebauungsplan nicht anderes bestimmt."

Die Beschwerde bringt (u.a.) vor, dass laut den Planunterlagen der Abstand der den Beschwerdeführern zugewandten Gebäudefront von der Grundgrenze (offenbar gemeint: jeweils) exakt 3 m betrage, sodass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 81 Abs. 2 BO - weil die Wendung "bis zu 3 m" jedenfalls auch den Abstand von exakt 3 m umfasse - eine Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe (7,5 m laut Bauklasse I) überhaupt nicht zulässig sei. Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretene Ansicht, es sei ab einem Seitenabstand von 3 m von der Grundgrenze gemäß § 81 Abs. 2 leg. cit. eine Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe um nicht mehr als 3 m zulässig, sei daher unrichtig.

Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Ein "Abstand" von 3 m wird im vorliegenden Fall unbestritten eingehalten, insoweit dieser von jeder Verbauung frei bleibt (vgl. in diesem Zusammenhang § 79 Abs. 3 BO). Erst nach diesem Abstand beginnt das Gebäude, es steht also von der Grundgrenze 3 m entfernt ("ab") und liegt somit nicht mehr "im" Abstand. Die Wendung "bis zu" bringt entgegen der Beschwerdeansicht sprachlich gerade zum Ausdruck, dass der 3-m-Punkt selbst nicht mehr umfasst ist.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach der hg. Judikatur die Wortfolge "die der Dachfläche entsprechenden Giebelflächen" in § 81 Abs. 2 letzter Satz BO nicht so auszulegen ist, dass nur eine tatsächliche, von der vorhandenen Dachform gebildete Giebelfläche außer Betracht zu bleiben hat (in diesem Fall hätte der Gesetzgeber die Regelung in diesem Sinn treffen müssen), sondern eine gedachte Giebelfläche, die innerhalb der zulässigen Dachform möglich ist, und dass eine extreme Ausnützung der Regeln dieser Gesetzesbestimmung in den Bestimmungen des § 85 leg. cit. über die äußere Gestaltung von Gebäuden ihre Grenze findet (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/05/0068, mwN). In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof auch in Bezug auf den Begriff "Giebelfläche" im Sinne des § 81 Abs. 1 bis 3 leg. cit. ausgeführt, dass ein Giebel dreieckig, segmentbogenförmig, abgetreppt, in mehreren Winkeln gebrochen oder kurvenförmig ausgebildet sein kann (vgl. dazu Koepf , Bildwörterbuch der Architektur2, 179f) und dass das Gesetz auf die der Dachform entsprechende Giebelfläche abstellt, unabhängig davon, wie groß diese Giebelfläche ist.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil es über die Pauschalsätze der genannten Verordnung hinausgeht. Ferner ist die Umsatzsteuer in diesen Pauschalsätzen bereits berücksichtigt.

Wien, am