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VwGH vom 22.08.2022, Ra 2021/02/0010

VwGH vom 22.08.2022, Ra 2021/02/0010

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des P in O, vertreten durch die Kölly Anwälte OG in 7350 Oberpullendorf, Rosengasse 55, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom , E 045/03/2020.001/006, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer der P. GmbH und damit als deren gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin auf einer näher bezeichneten Baustelle einen namentlich genannten Arbeitnehmer mit Arbeiten auf Elementdecken auf der Ladefläche eines LKW in der Höhe von ca. 2,5 m beschäftigt habe, obwohl trotz Absturzgefahr keine Absturzsicherungen, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtungen angebracht gewesen seien. Der Revisionswerber habe dadurch § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Z 4 BauV iVm § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe von € 2.400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage 22 Stunden) verhängt sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von € 240,-- festgesetzt wurde.

2Das Landesverwaltungsgericht Burgenland (Verwaltungsgericht) wies die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und verpflichtete den Revisionswerber zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens. Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

3Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, ein Arbeitnehmer der vom Revisionswerber vertretenen GmbH sei auf der gegenständlichen Baustelle mit dem Abladen von Betonelementdecken von einer LKW-Ladefläche beschäftigt gewesen. Dazu hätten vier Ketten in den an der Oberseite befindlichen Gittereinsätzen eingehängt und am Haken des Kranes befestigt werden müssen. Durch Anheben seien die Elementdecken jeweils an die richtige Stelle des Bauwerks gehoben worden, wo sie als Stockwerksdecken verlegt worden seien. Zum Einhängen der Ketten habe der Arbeitnehmer die Elementdecke betreten, ohne dass Absturzsicherungen vorhanden gewesen wären oder der Arbeitnehmer mittels persönlicher Schutzausrüstung gesichert gewesen wäre. Als sich der Arbeitnehmer auf der obersten Elementdecke befunden habe, sei er abgestürzt und habe sich verletzt.

4In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes aus, dass sich der Revisionswerber nicht auf die in der Beschwerde ins Treffen geführte Ausnahmebestimmung des § 7 Abs. 5 BauV berufen könne, weil der verunglückte Arbeitnehmer mit dem Abladen der Elementdecken beschäftigt gewesen sei und keine Errichtungsarbeiten durchgeführt habe. Vorangehende Vorbereitungsarbeiten seien jedoch von den eigentlichen Errichtungsarbeiten abzugrenzen und von dieser Bestimmung nicht umfasst. Auch die geltend gemachte Ausnahme des § 85 Abs. 4 Z 1 BauV greife nicht, weil von dieser Regelung nur „Montagearbeiten“ und nicht das Abladen von Gütern erfasst seien. Unabhängig davon hätten die Sicherungen gegen einen Absturz jedoch auch deshalb nicht unterbleiben dürfen, weil es die nach dieser Bestimmung vorzunehmende Gefahrenabwägung nicht erlaube. Daraus ergebe sich, dass der Revisionswerber den Tatbestand in objektiver Hinsicht verwirklicht habe, weshalb weitere Beweisaufnahmen nicht erforderlich gewesen seien. Auch die subjektive Tatseite sah das Verwaltungsgericht in Ermangelung eines entsprechend geeigneten, den Revisionswerber entlastenden Kontrollsystems als erfüllt an.

5Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6Die belangte Behörde hat von einer Revisionsbeantwortung abgesehen.

7Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8Die Revision ist zulässig und im Ergebnis auch begründet.

9In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die von ihm zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 7 Abs. 5 BauV im gegenständlichen Fall nicht anwendbar sei, da es sich bei der Verlegung einer Elementdecke auf den Mauern eines Geschoßes in einem Bauwerk um die Herstellung einer Stockwerksdecke und somit auch um Montagearbeiten im Sinn des § 85 Abs. 4 BauV handle. Die Begründung der Gefahrenabwägung gehe nicht auf die Darstellung und Argumente des Revisionswerbers ein, sondern erschöpfe sich in einer Scheinbegründung. Infolge dieser unrichtigen rechtlichen Beurteilung habe das Verwaltungsgericht zudem den Beweisantrag auf Einvernahme der von ihm genannten Zeugen übergangen.

10Die relevanten Bestimmungen der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), BGBl. Nr. 340/1994, in der Fassung BGBl. II Nr. 241/2017, lauten auszugsweise wie folgt:

„Absturzgefahr

§ 7. (1) Bei Absturzgefahr sind Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) anzubringen.

(2) Absturzgefahr liegt vor:

[...]

4.an sonstigen Arbeitsplätzen, Standplätzen und Verkehrswegen bei mehr als 2,00 m Absturzhöhe.

[...]

(5) Werden Stockwerksdecken hergestellt oder werden von Stockwerksdecken aus die Wände errichtet, können

1.bei Mauern über die Hand von der Stockwerksdecke aus zur Herstellung von Giebelmauern, Trempelwänden und Mauerwerksbänken bis zu einer Absturzhöhe von 7,00 m,

2.bei sonstigen Arbeiten mit Blick zur Absturzkante bis zu einer Absturzhöhe von 5,00 m

Absturzsicherungen, Abgrenzungen und Schutzeinrichtungen entfallen, wenn die Arbeiten von unterwiesenen, erfahrenen und körperlich geeigneten Arbeitnehmern durchgeführt werden. In diesem Fall kann auch die Sicherung der Arbeitnehmer durch geeignete persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz entfallen. Abs. 2 Z 1 bleibt unberührt.“

„Montagearbeiten

§ 85. (1) Bei der Ausführung von Montagearbeiten muß die Tragfähigkeit und die Standsicherheit des Bauwerkes während der einzelnen Montagezustände gewährleistet sein. Wenn bei der Montage besondere Sicherheitsmaßnahmen erforderlich sind oder für die Montage die Kenntnis besonderer sicherheitstechnischer Angaben erforderlich ist, sind von einer fachkundigen Person schriftliche Montageanweisungen und Zeichnungen zu erstellen. Dabei sind die für die Durchführung der Montagearbeiten erforderlichen Standplätze, die Absturzsicherungen, die Schutzeinrichtungen und die Befestigungseinrichtungen für die persönliche Schutzausrüstung (gegen Absturz) festzulegen.

[...]

(3) Für die Durchführung von Montagearbeiten dürfen abweichend von § 6 Abs. 2 und 7 und § 7 Konsolen, angeschweißte Sprossen, Profile von Gittermasten oder ähnliche tragfähige Konstruktionsteile als Standplätze verwendet werden, wenn eine Befestigungsmöglichkeit für eine Absturzsicherung vorhanden ist, an der die Arbeitnehmer mittels geeigneter persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz gesichert sind.

(4) Bei Vorliegen aller in Z 1 bis 6 genannten Voraussetzungen dürfen abweichend von Abs. 3, § 6 Abs. 2 und 7 und § 7 zum Lösen oder Befestigen von Anschlagmitteln sowie für das Fixieren von Bauteilen geeignete Bauteile als Zugang und Standplatz verwendet werden:

1.Das Anbringen von Absturzsicherungen, Schutzeinrichtungen sowie das Erreichen oder Anbringen der zum Benützen der persönlichen Schutzausrüstung (gegen Absturz) erforderlichen Befestigungsmöglichkeiten wäre mit größeren Gefahren verbunden als die Durchführung der im Einleitungssatz genannten Tätigkeiten ohne Absturzsicherung,

2.die in § 6 Abs. 7 genannten Einrichtungen können aus technischen Gründen zur Durchführung der im Einleitungssatz genannten Tätigkeiten nicht eingesetzt werden, oder es käme durch die Verwendung dieser Einrichtungen zu größeren Absturzgefahren als bei Durchführung der im Einleitungssatz genannten Tätigkeiten ohne Absturzsicherung,

3.es liegen günstige Witterungsverhältnisse vor,

4.die Tätigkeiten werden von unterwiesenen, erfahrenen und körperlich geeigneten Arbeitnehmern durchgeführt,

5.die als Zugänge benützten Bauteile sind ausreichend verankert, und

6.die als Zugänge benützten Bauteile sind mindestens 20 cm breit, wenn sie im Reitsitz benützt werden, oder sind bei geringerer Breite mit Einrichtungen für ein sicheres Festhalten versehen, wie Handläufen, gespannten Stahldrahtseilen oder Konstruktionsteilen.

[...]“

11Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass § 7 Abs. 5 BauV die aktuelle „Herstellung“ oder „Errichtung“ von Stockwerksdecken im Auge hat, weshalb vorangehende Vorbereitungs- bzw. Abbrucharbeiten nicht von dieser Bestimmung umfasst sind (vgl. ; , Ra 2017/02/0238).

12Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts war der Arbeitnehmer im vorliegenden Fall lediglich mit dem Einhängen der Elementdecken auf dem LKW beschäftigt. Unabhängig davon, ob die Elementdecken in der Folge unmittelbar auf die Geschoßmauern des Bauwerks gehoben und dort versetzt bzw. verankert werden, handelt es sich bei dieser Arbeit jedenfalls noch um eine Vorbereitungsarbeit zu der darauffolgenden Errichtung der Stockwerksdecke auf den Geschoßmauern. Das Verwaltungsgericht ging dementsprechend zu Recht davon aus, dass § 7 Abs. 5 BauV im gegenständlichen Fall nicht anwendbar ist.

13Der Revision kommt jedoch insofern Berechtigung zu, als sie die mangelhafte Begründung des Verwaltungsgerichts im Zusammenhang mit dem Vorliegen der in § 85 Abs. 4 Z 1 BauV genannten Voraussetzungen rügt.

14Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Auch in Verwaltungsstrafsachen ist gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG die Begründungspflicht im Sinn des § 58 AVG von Bedeutung (vgl. , mwN).

15Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. , mwN).

16Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes führt ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. , mwN).

17Das Verwaltungsgericht ging zunächst davon aus, dass § 85 Abs. 4 BauV fallbezogen bereits deshalb nicht anwendbar sei, weil es sich beim Abladen von Gütern nicht um Montagearbeiten im Sinne dieser Bestimmung handle. Diese Begründung kann keinen Bestand haben, weil § 85 Abs. 4 BauV ausdrücklich auf das „Lösen oder Befestigen von Anschlagmitteln“ sowie das „Fixieren von Bauteilen“ abstellt, wobei es sich um genau jene Tätigkeit handelt, die der Arbeitnehmer den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zufolge durchgeführt hat.

18Alternativ dazu führt das Verwaltungsgericht aus, dass die Sicherungen gegen einen Absturz des Arbeitnehmers im vorliegenden Fall auch gemäß § 85 Abs. 4 Z 1 BauV nicht unterbleiben hätten dürfen, weil der Revisionswerber selbst nicht vorgebracht habe, welche größere Gefahr - als der tatsächlich eingetretene Absturz des Arbeitnehmers - mit dem Anbringen von Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen verbunden gewesen wäre.

19Den Feststellungen lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob und gegebenenfalls welche Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen für den verfahrensgegenständlichen Arbeitsvorgang überhaupt in Frage kämen. Derartige Feststellungen wären jedoch erforderlich, um eine Abwägung der jeweiligen Gefahren gemäß § 85 Abs. 4 Z 1 BauV vornehmen zu können. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich in diesem Punkt daher als nicht ausreichend begründet.

20Vor diesem Hintergrund kann der wesentliche Sachverhalt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht als ausreichend geklärt angesehen werden, weshalb das Verwaltungsgericht nicht auf die Einvernahme der vom Revisionswerber beantragten Zeugen, welche nähere Angaben zum Arbeitsvorgang machen hätten können, bzw. die Beiziehung eines Sachverständigen verzichten hätte dürfen (vgl. zur Pflicht auf erhebliche Behauptungen und Beweisanträge einzugehen , mwN).

21Das angefochtene Erkenntnis entzieht sich insoweit einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auf dessen inhaltliche Rechtmäßigkeit; es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben (vgl. ).

22Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020010.L00

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