VwGH 24.01.2012, 2011/11/0046
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | WehrG 2001 §17 Abs2; WehrG 2001 §9 Abs1; |
RS 1 | Vor dem Hintergrund, dass beim Stellungspflichtigen unstrittig eine Wespengiftallergie vorliegt, wäre es - zumal nicht etwa notorisch ist, dass eine solche Allergie keine wesentlichen Auswirkungen auf den menschlichen Körper und daraus resultierende Einschränkungen haben kann - erforderlich gewesen, dass die Behörde begründete Ausführungen zur Frage tätigt, ob und in welchem Ausmaß der Stellungspflichtige auf Grund dieses Zustands in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist (vgl. das - eine Bienenallergie betreffende - E vom , 2007/11/0061). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2011/11/0018 E RS 1
(hier: Asthma, Hausstaubmilben- und Speichermilbenallergie) |
Normen | |
RS 2 | Da die Vorschriften der § 58 ff AVG über Form und Inhalt von Bescheiden (somit auch § 60 AVG betreffend die Begründungspflicht) auch für mündlich verkündete Bescheide gelten und der Inhalt des mündlich verkündeten Bescheides in einer Verhandlungs- oder Niederschrift zu beurkunden ist (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG, § 62 Rz 21 und 25, referierte Judikatur), ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides im vorliegenden Fall, wo es zu keiner schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides kam, allein nach der Niederschrift zu beurteilen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2011/11/0154 E RS 1 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des T, vertreten durch Rechtsanwaltskanzlei Dr. Heitzmann GmbH in 6020 Innsbruck, Müllerstraße 3, gegen den Bescheid der Stellungskommission Tirol vom , Zl. GBNR: T/91/03/02/97-2203, betreffend Feststellung der Eignung zum Wehrdienst, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 9 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 des Wehrgesetzes 2001 (WehrG) die Eignung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst mit "tauglich" festgestellt.
Über die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
1. Die maßgebenden Bestimmungen des WehrG lauten (auszugsweise) wie folgt:
"Aufnahmebedingungen
§ 9. (1) In das Bundesheer dürfen nur österreichische Staatsbürger einberufen werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und die notwendige körperliche und geistige Eignung für eine im Bundesheer in Betracht kommende Verwendung besitzen. ...
...
Aufgaben der Stellungskommission
§ 17. (1) Den Stellungskommissionen obliegt, soweit ihnen nicht in anderen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder in anderen Rechtsvorschriften weitere Aufgaben übertragen sind, die Feststellung der Eignung der Stellungspflichtigen und der Personen, die sich freiwillig der Stellung unterziehen, zum Wehrdienst. Hiebei haben die Stellungskommissionen auch Wünsche der angeführten Personen hinsichtlich der Zuteilung zu Waffen- und Truppengattungen und zu Truppenkörpern entgegenzunehmen sowie Erhebungen über die Ausbildung und besonderen Fachkenntnisse dieser Personen anzustellen.
(2) Die Stellungskommissionen haben die Eignung der Personen nach Abs. 1 zum Wehrdienst auf Grund der zur Feststellung dieser Eignung durchgeführten ärztlichen und psychologischen Untersuchungen mit einem der folgenden Beschlüsse festzustellen:
'Tauglich', 'Vorübergehend untauglich', 'Untauglich'. Erscheint für diese Feststellung eine fachärztliche Untersuchung erforderlich, so sind die Personen nach Abs. 1 von den Stellungskommissionen einer solchen Untersuchung zuzuführen. Zu den Beschlüssen der Stellungskommission bedarf es der Anwesenheit aller Mitglieder oder der nach § 16 Abs. 2 an ihre Stelle tretenden Ersatzmitglieder und der Mehrheit der Stimmen. Ein auf 'Tauglich' lautender Beschluss bedarf jedoch der Zustimmung des Arztes.
(3) Stellungspflichtige, deren vorübergehende Untauglichkeit festgestellt wurde, sind nach Ablauf der von der Stellungskommission für die voraussichtliche Dauer ihrer vorübergehenden Untauglichkeit festgesetzten Frist vom Militärkommando aufzufordern, sich zu dem in der Aufforderung bestimmten Zeitpunkt einer neuen Stellung zu unterziehen. ...
...
(6) Gegen die Beschlüsse der Stellungskommission nach Abs. 2 ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig. Die Stellungskommissionen haben den Personen nach Abs. 1 über diese Beschlüsse eine Bescheinigung auszustellen.
..."
2. Die Beschwerde bringt im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt, welchen Einfluss die beim Beschwerdeführer bestehenden körperlichen Beeinträchtigungen ("Hausstaubmilben- u. Speichermilbenallergie, Belastungsasthma bzw. allergisches Asthma bronchiale, Hyperreagibles Bronchialsystem, Zst. n. Infektexacerbation") auf seine Tauglichkeit hätten. Bei körperlicher Belastung trete häufig anfallsartig Atemnot auf, die in fremder Umgebung mit Hausstaubmilbenbelastung verstärkt werde. Er habe deshalb seine häusliche Umgebung speziell gestaltet, um mögliche derartige Belastungen zu verhindern. Zudem habe er seine berufliche Tätigkeit bewusst so gewählt, dass er einen sitzenden Beruf ausüben könne und wenig körperlichen Belastungen ausgesetzt sei. Er sei - bei im Wesentlichen gleichen festgestellten Beeinträchtigungen - bei zwei vorangegangenen Untersuchungen seiner Tauglichkeit (am und ) jeweils mit "vorübergehend untauglich" beurteilt worden, weshalb auch deshalb nicht nachvollziehbar sei, warum er nunmehr als "tauglich" beurteilt werde.
3. Dieses Vorbringen ist zielführend.
3.1. Hinsichtlich der Anforderungen an die Beurteilung eines über die Tauglichkeit eines Stellungspflichtigen entscheidenden Beschlusses der Stellungskommission wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/11/0154, verwiesen.
3.2. Ausgehend vom aktenkundigen "Statusblatt" (Beilage zum Protokoll über die Stellungsuntersuchung vom ) wurden bei der Untersuchung des Beschwerdeführers folgende Diagnosen gestellt:
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"Diagnosen | ||
J45.0 | 04 | Vorwiegend allergisches Asthma bronchiale - HSM |
M54.5 | 04 | Kreuzschmerz, Lendenschmerz, Lumbago o.n.A., Überlastung in der Kreuzbeingegend |
T14.3 | 04 | Luxation, Verstauchung und Zerrung an einer nicht näher bezeichneten Körperregion - re. Fibluar, re KZB |
F81.3 | 04 | Kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten |
I10 | 05 | Essentielle (primäre) Hypertonie, Bluthochdruck, Hypertonie (arteriell) (benigne) (essentiell) (maligne) (primär) (systemisch)" |
In einem anlässlich der Stellungsuntersuchung vom Beschwerdeführer vorgelegten Befund des Dr. M, Arzt für Allgemeinmedizin, vom , heißt es über den Beschwerdeführer:
"Diagnosen:
Allergisches Asthma bronchiale
Zst.n.Infektexacerbation
Hausstaubmilben- und Speichermilbenallergie
Chron. rez.Cephalea
Seit zwei Jahren ist der (Beschwerdeführer) in meiner
hausärztlichen Behandlung.
Der (Beschwerdeführer) wird lungenfachärztlich seit 2001 wegen Asthma bronchiale bei Hausstaubmilbenallergie und Belastungsasthma von Dr.F, Lungenfacharzt in J, betreut.
Der (Beschwerdeführer) kann auf Grund der sanierten Umgebung zu Hause und mit der regelmäßigen medikamentösen Therapie Cetirizin einmal täglich, sowie Bricanylturbohaeler halbwegs anfallsfrei leben.
Infekte führen jedoch immer wieder zu Excerabationen.
Unter körperlichen Belastungssituationen tritt regelmäßig Atemnot, starke Kopfschmerzen und Angstgefühle auf.
Aus medizinischer Sicht ist die Einberufung zum Grundwehrdienst nicht zu befürworten."
Im fachärztlichen Befund des Dr. F, Lungenfacharzt, vom wiederum heißt es (u.a.):
"Zusammenfassende Beurteilung:
Hyperreagibles Bronchialsystem.
Belastungsasthma.
Hausstaubmilben- u. Speichermilbenallergie.
Zst.n. Infektexacerbation.
Therapievorschlag:
Bedarfsbehandlung mit Bricanyl Turbohaler 2 Hübe vor
körperlicher Belastung notwendig. Regelm. Sanierung der HSM
angezeigt.
…
Lungenfunktion:
Obstruktive Ventilationsstörung. Nach Betamimetikumgabe Obstruktion reversibel. Bei Letzt-Us im infektfreien Intervall altersgemäßer Normalbefund mit obstruktiver Einschränkung nach Metacholingabe im Sinne eines hyperreagibles Bronchialsystems.
…
Procedere:
Auf Grund der deutlichen Hyperreagibilität und der Bronchialobstruktion bei Auftreten von Infekten ist bei körperlicher Belastung mit anfallsartiger Atemnot zu rechnen. Dies wird in fremder Umgebung mit Hausstaubmilbenbelastung verstärkt. Aus diesem Grunde ist die Einberufung zum Grundwehrdienst aus medizinischer Sicht abzulehnen. Regelmäßige lungenfachärztliche Kontrolle u. Behandlung sind angezeigt."
3.3. Vor diesem Hintergrund wäre es erforderlich gewesen, dass die belangte Behörde begründete Ausführungen zur Frage tätigt, ob und in welchem Ausmaß der Beschwerdeführer auf Grund dieses Zustands in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2011/11/0018, mwN).
3.4. Dieser Verpflichtung ist die belangte Behörde nicht nachgekommen:
Die "Bescheinigung der Stellungskommission" über den gefassten Beschluss ("tauglich") enthält keine Begründung.
Soweit die belangte Behörde - in der Gegenschrift - vorbringt, dass dem Beschwerdeführer durch den Leiter der Stellungskommission der Stellungsbeschluss am mündlich verkündet worden sei und die erwähnte "Bescheinigung " keinen Bescheid, sondern eine Bestätigung über den mündlich verkündeten Stellungsbeschluss darstelle, wobei dem Beschwerdeführer der Inhalt des Stellungsbeschlusses mündlich begründet worden sei, ist zunächst festzuhalten, dass die Vorschriften der §§ 58 ff AVG über Form und Inhalt von Bescheiden (somit auch § 60 AVG betreffend die Begründungspflicht) auch für mündlich verkündete Bescheide gelten. Der Inhalt des mündlich verkündeten Bescheids ist in einer Verhandlungs- oder Niederschrift zu beurkunden. Die Rechtmäßigkeit eines bloß mündlich verkündeten Bescheides ist diesfalls am Inhalt einer diesbezüglichen Niederschrift zu messen (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 2011/11/0154).
In der Niederschrift vom heißt es unter Punkt 5 zwar:
"Mir wurde am heutigen Tag vom Vorsitzenden der Stellungskommission das Parteiengehör mündlich gewährt und der Beschluss der Stellungskommission verkündet. Dieser Beschluss wurde vom Vorsitzenden begründet. Über diesen Beschluss wurde mir eine schriftliche Bescheinigung ausgefolgt."
Eine weitergehende - nachvollziehbare - Begründung dafür, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer ungeachtet der festgestellten körperlichen Beeinträchtigungen zum Wehrdienst geeignet sei, enthält die genannte Niederschrift nicht; ebenso wenig der weitere Akteninhalt.
Hinzu tritt, dass für den Beschwerdeführer anlässlich der Feststellung seiner vorübergehenden Untauglichkeit im Juli 2009 und Mai 2010 im Wesentlichen die gleiche Diagnose festgehalten wurde, wie auch anlässlich der nunmehr in Rede stehenden Feststellung seiner Tauglichkeit, ohne dass die belangte Behörde begründet hätte, warum sie ihn nunmehr für tauglich hält.
3.5. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei der gebotenen inhaltlichen Auseinandersetzung mit den beim Beschwerdeführer vorliegenden körperlichen Beeinträchtigungen und den dazu vorgelegten ärztlichen Unterlagen zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, zumal es auch nicht etwa notorisch ist, dass dem Beschwerdeführer trotz der bestehenden Beeinträchtigungen die Eignung zum Wehrdienst im Sinne der oben angeführten Judikatur zukommt.
4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2012:2011110046.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAE-88127