VwGH vom 25.04.2014, 2013/21/0209

VwGH vom 25.04.2014, 2013/21/0209

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des S K in W, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 01/23/10836/2013-2, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, reiste am nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit im Instanzenzug ergangenem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom rechtskräftig abgewiesen; unter einem wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Asylgesetz 2005 nach Gambia ausgewiesen.

Am wurde der (seit dem in Untersuchungshaft angehaltene) Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 und 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten (davon drei Monate unbedingt) verurteilt.

Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom (zugestellt am , 8:50 Uhr) wurden über ihn gemäß § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt. Die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 57 Abs. 1 FPG aberkannt.

Mit einem weiteren Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom (zugestellt am , 8:52 Uhr) wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung "gem. §§ 52 iVm 53 FPG" und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Dieser Bescheid wurde unmittelbar nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am in Vollzug gesetzt.

Noch am selben Tag erhob der Beschwerdeführer gemäß § 82 FPG Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die darauf gestützte Anhaltung in Schubhaft. Er brachte unter anderem vor, aus dem Akteninhalt ergebe sich nicht, dass seine Abschiebung unmittelbar bevorstehen würde. Er verfüge weder über ein Reisedokument noch über andere Dokumente oder Urkunden seines Herkunftsstaates. Er sei bisher auch keiner Vertretungsbehörde bezüglich der Erlangung eines Heimreisezertifikats vorgeführt worden. Darüber hinaus sei es amtsbekannt, dass die Republik Gambia in Österreich über keine Botschaft, sondern lediglich über ein Konsulat verfüge. Die unmittelbare Ausstellung eines Heimreisezertifikats sei daher nicht in Bälde zu erwarten. Dies mache die Anhaltung unter Berücksichtigung der vorangegangenen Strafhaft unverhältnismäßig.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Administrativbeschwerde als unbegründet ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 FPG fest, dass zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Anhaltung in Schubhaft vorlägen.

Sie bejahte mit näherer Begründung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 FPG, insbesondere einen die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarf. Hinsichtlich des Vorbringens betreffend das Fehlen eines Reisedokuments führte die belangte Behörde aus, dass die Inschubhaftnahme gerade auch dem Zweck diene, die Identität des Beschwerdeführers "in Korrespondenz mit der Vertretungsbehörde" zu klären und ein Heimreisezertifikat für ihn zu erwirken. Die Landespolizeidirektion Wien habe bereits am "Schritte zur Beantragung eines Heimreisezertifikates eingeleitet"; konkret seien zu diesem Zweck Fingerabdruckblätter des Beschwerdeführers angefordert worden, und am sei um die Ausstellung eines Heimreisezertifikats angesucht worden. Es gebe derzeit keine Anhaltspunkte, dass ein entsprechendes Ansuchen bei der zuständigen Vertretungsbehörde der Republik Gambia aussichtslos wäre. Die Abschiebung des Beschwerdeführers erweise sich daher aus derzeitiger Sicht keineswegs als unmöglich, und die Landespolizeidirektion Wien habe die dazu erforderlichen Schritte "ehestmöglich eingeleitet". Aus diesem Verfahrensablauf sei zu sehen, dass die Behörde ihrer Verpflichtung gemäß § 80 Abs. 1 FPG jedenfalls nachgekommen sei. Gemäß § 80 Abs. 2 FPG sei die Fortsetzung der Schubhaft daher zumindest so lange gerechtfertigt und zulässig, bis definitiv feststehe, dass ein Ersatzreisedokument für den Beschwerdeführer nicht zu erlangen sei und seine Außerlandesschaffung nicht mehr erreicht werden könne.

Soweit der Beschwerdeführer einwende, die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung wäre deswegen rechtswidrig, weil Schubhaft im Anschluss an eine Strafhaft nur zur Sicherung der Ab- oder Zurückschiebung zulässig wäre, so sei dem entgegen zu halten, dass im Zeitpunkt der Übernahme des Beschwerdeführers in Schubhaft bereits eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung dem Rechtsbestand angehört habe und der angeführte Sicherungszweck zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon "konsumiert" gewesen sei. Die gegenständliche Maßnahme sei aber auch zur Sicherung der Abschiebung ausgesprochen worden, und dieser Sicherungszweck sei weiterhin aufrecht.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdesachen - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind. Weiters ist vorweg darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung (im September 2013) zu überprüfen hat.

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein. Daraus ergibt sich nicht nur die in § 80 Abs. 1 FPG ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0527, mwN).

Vor diesem Hintergrund macht der Beschwerdeführer mit Recht geltend, dass es Sache der Fremdenpolizeibehörde gewesen wäre, die Ausstellung des im März 2012 beantragten Heimreisezertifikates zumindest ab dem (da mit diesem Tag erkennbar gewesen sei, wann die verhängte Strafhaft enden werde) zügig zu betreiben.

Tatsächlich sind seit dem - nach der Aktenlage unbeantwortet gebliebenen - Ansuchen vom März 2012 keinerlei behördliche Schritte zur Erlangung eines Heimreisezertifikats dokumentiert. Die Fremdenpolizeibehörde mag demnach zwar die erforderlichen Schritte "ehestmöglich eingeleitet" haben, es ist aber kein Grund ersichtlich, der sie daran gehindert hätte, die tatsächliche Ausstellung des Heimreisezertifikats spätestens während der bis zum andauernden Strafhaft des Beschwerdeführers zu urgieren. Wenn die Fremdenpolizeibehörde - wie im vorliegenden Fall - auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin mit der (versuchten) Beschaffung eines Heimreisezertifikats untätig bleibt, so erweist sich die Verhängung von Schubhaft (zum Zweck der Sicherung der Abschiebung) im Anschluss an die Strafhaft regelmäßig als unverhältnismäßig. Eine sich aus den Umständen des Einzelfalles ergebende andere Sicht wäre nachvollziehbar zu begründen (vgl. nochmals das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0527).

Die belangte Behörde hat es demgegenüber - ohne weitere Begründung - als ausreichend angesehen, dass die Fremdenpolizeibehörde rund eineinhalb Jahre vor Verhängung der Schubhaft einmalig an die zuständige Vertretungsbehörde herangetreten ist, und vor diesem Hintergrund die Ansicht vertreten, dass die Schubhaft jedenfalls so lange gerechtfertigt und zulässig sei, bis definitiv feststehe, dass ein Ersatzreisedokument nicht zu erlangen sei. Damit hat sie nach dem oben Gesagten die Rechtslage verkannt.

Laut Schubhaftbescheid war die hier zu beurteilende Schubhaft zwar nicht nur zur Sicherung der Abschiebung, sondern auch zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung verhängt worden; die Notwendigkeit der Schubhaft zu diesem Zweck musste aber deswegen verneint werden, weil gegen den Beschwerdeführer zum einen in Form der rechtskräftigen asylrechtlichen Ausweisung und zum anderen in Form der (erstinstanzlichen, aber durchsetzbaren, mit einem Einreiseverbot verbundenen) Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG bereits durchsetzbare Titel für die Abschiebung vorlagen. In diesem Sinn ist auch die belangte Behörde davon ausgegangen, dass der genannte Sicherungszweck schon "konsumiert" war.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am