VwGH vom 29.04.2008, 2006/21/0175
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des I, vertreten durch Mag. Dr. Anton Karner und Mag. Dr. Michael Mayer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Steyrergasse 103/II, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 314.913/2-III/4/05, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Er reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte (erstmals) die Gewährung von Asyl. Der Beschwerdeführer, der nach der Aktenlage unverheiratet und kinderlos ist, hat fünf Geschwister (drei seiner Brüder leben in Slowenien, ein Bruder und eine Schwester im Heimatland) sowie eine im Kosovo verbliebene Mutter.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde am gestellte Anträge des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "aus humanitären Gründen" gemäß den §§ 72 und 74 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG (Spruchpunkt I.) sowie einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck" gemäß § 21 Abs. 1 NAG (Spruchpunkt II.) ab.
In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde fest, der am vom Beschwerdeführer eingebrachte Asylantrag sei "mit Datum vom zweitinstanzlich rechtskräftig negativ entschieden" worden. Am habe er neuerlich einen Asylantrag gestellt, der "mit Datum vom zweitinstanzlich rechtskräftig negativ entschieden" worden sei. Gleichzeitig sei gemäß § 8 Asylgesetz 1997 festgestellt worden, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "in (seine) Heimat (Kosovo)" zulässig sei.
Zu Spruchpunkt I. ihres Bescheides führte die belangte Behörde aus, unter Berücksichtigung, dass die Integration des Beschwerdeführers in Österreich aus einem zum Teil unrechtmäßigen Aufenthalt resultiert habe, könnten - über sein Interesse an einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation hinaus - keinerlei humanitäre Gründe im Sinne des § 72 NAG erkannt werden: Der "Besitz eines arbeitsrechtlichen Dokumentes" habe nur auf Grund eines vorläufigen Aufenthaltsrechtes nach dem Asylgesetz erwirkt werden können. Dem Einwand einer Unmöglichkeit der Rückkehr in den Kosovo sei zu entgegnen, dass sich dort Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie die Menschenrechtslage auf Grund erfolgreichen Einsatzes finanzieller Mittel durch die Europäische Union entscheidend verbessert hätten, sodass eine gefahrlose Rückkehr in die Heimat jederzeit möglich sei. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer auf den (negativen) Ausgang seiner Asylverfahren zu verweisen, woraus sich ergebe, dass er keiner Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen ausgesetzt sei.
Der Beschwerdeführer sei im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz gewesen, jedoch stelle der Aufenthalt in Österreich als Asylwerber keinen humanitären Grund dar. Zudem könne er seit der Einreise bzw. Stellung der Asylanträge auch nicht als niedergelassen angesehen werden, weil die Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nur vorläufige Gültigkeit besitze.
Es könne dem Beschwerdeführer somit zugemutet werden, seinen Zuzug nach Österreich unter Einhaltung der "üblichen gesetzlichen Bestimmungen und unter Berücksichtigung der Quotensituation" zu bewerkstelligen. Dass er eingereist und - entgegen den gesetzlichen Vorschriften - ohne Bewilligung im Bundesgebiet verblieben sei, habe er ausschließlich selbst zu verantworten. Es sei somit kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben. Die materiellen Voraussetzungen gemäß § 72 NAG lägen nicht vor.
Über die nur gegen den wiedergegebenen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Antrag des Beschwerdeführers wurde noch im zeitlichen Geltungsbereich des (bis in Kraft gestandenen) Fremdengesetztes 1997 - FrG gestellt. Dasselbe gilt für seine erstinstanzliche Erledigung, die mit Bescheid des Landeshauptmannes von der Steiermark vom erfolgt ist. Das bei Inkrafttreten des NAG (am ) noch anhängige Verfahren war jedoch, wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, auf Grund der Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. Der Antrag des Beschwerdeführers war daher als solcher auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 73 Abs. 2 NAG zu qualifizieren.
Eine unter den Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , B 215, 216/07, fallende Konstellation liegt im Beschwerdefall nicht vor, weil die Behörde den Antrag nicht wegen Unzulässigkeit einer solchen Antragstellung zurückgewiesen, sondern das Vorliegen humanitärer Gründe inhaltlich geprüft und verneint hat (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1263/07, Punkt II.2.2.).
§ 72 NAG stellt insbesondere - wie schon die Vorgängerbestimmung des § 10 Abs. 4 FrG - auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Weiters liegt ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch auf Verbleib in Österreich besteht, sodass sich auch unter diesem Gesichtspunkt eine Ausweisung als unzulässig erwiese (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0247).
Der Beschwerdeführer macht als humanitäre Gründe geltend, dass er nahezu perfekt die deutsche Sprache spreche, seit elf Jahren im Bundesgebiet aufhältig sei, über einen Befreiungsschein verfüge sowie seit mehr als zehn Jahren im Bundesgebiet legal und zur Sozialversicherung angemeldet arbeite. Darüber hinaus sei er unbescholten. Im Fall einer Rückkehr in den Kosovo würde er an einer existenziellen Notlage leiden; er würde - mangels Arbeit und Wohnung - zum Sozialfall. Im Bundesgebiet sei er dagegen ordentlich wohnversorgt und krankenversichert. Weiters gehe er einer Arbeit nach, die auch seinen Unterhalt abdecke.
Dieses vor allem mit Bezug auf Art. 8 EMRK erstattete Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Zwar kommt den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Jedoch hat die belangte Behörde nicht ausreichend berücksichtigt, dass der bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits fast 11 Jahre in Österreich aufhältige und deutsch sprechende Beschwerdeführer - nach seinen von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogenen Ausführungen - über eine Wohnung verfügt, kontinuierlich berufstätig und sozial integriert ist. Angesichts dieses langen inländischen Aufenthaltes hat die belangte Behörde den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet nicht das ihnen gebührende Gewicht beigemessen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2002/18/0293, vom , Zl. 2002/21/0124, und vom , Zl. 2006/18/0455).
Da die belangte Behörde somit das Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Gründe im Sinne des § 72 Abs. 1 NAG zu Unrecht verneint hat, war der angefochtene Bescheid (in seinem allein in Beschwerde gezogenen Spruchpunkt I.) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am
Fundstelle(n):
XAAAE-88067