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VwGH vom 23.05.2013, 2011/11/0016

VwGH vom 23.05.2013, 2011/11/0016

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des L H in U, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-522606/24/Sch/Th, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Lenkverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit (Vorstellungs)Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom wurde - in Abänderung deren Mandatsbescheids vom - dem Beschwerdeführer die ihm am erteilte tschechische Lenkberechtigung für die Klassen A, B, C, BE und CE für die Dauer von 19 Monaten (ab der Zustellung des Mandatsbescheides am ), somit bis einschließlich , entzogen; für die Dauer der Entziehung wurde auch das Recht aberkannt, von einer ausländischen Lenkberechtigung Gebrauch zu machen (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde ausgesprochen, dass dem Beschwerdeführer für die genannte Zeitdauer keine neue Lenkberechtigung erteilt werden dürfe (Spruchpunkt II.). Darüber hinaus wurde für den genannten Zeitraum auch das Lenken von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen verboten (Spruchpunkt III.), eine Nachschulung angeordnet (Spruchpunkt IV.) und der Beschwerdeführer zur Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen aufgefordert (Spruchpunkt V.). Einer allfällig dagegen erhobenen Berufung wurde gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde, soweit im Folgenden von Interesse, ausgeführt, der Beschwerdeführer habe am auf einer näher bezeichneten Straße im Gemeindegebiet von B. einen Pkw gelenkt und trotz Aufforderung durch ein besonders geschultes und dazu ermächtigtes Organ der Behörde die Untersuchung seiner Atemluft auf Alkohol verweigert. Im Hinblick auf zahlreiche Vorentziehungen sei mit der Mindestentziehungszeit nicht das Auslangen zu finden.

Mit Bescheid vom sprach der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (UVS) aus, aus Anlass der vom Beschwerdeführer gegen den erstbehördlichen Bescheid erhobenen Berufung werde die Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung, der Aberkennung des Rechts, von einer ausländischen Lenkberechtigung Gebrauch zu machen, und des Lenkverbotes mit zwei Jahren, gerechnet ab dem , sohin bis zum , festgesetzt. Die Spruchpunkte IV. und V. des erstbehördlichen Bescheides hätten zu entfallen.

Begründend führte der UVS im Wesentlichen aus, die von der Erstbehörde angenommene bestimmte Tatsache, nämlich die Begehung einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 im Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges am , liege nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht vor. Allerdings habe der Beschwerdeführer trotz entzogener Lenkberechtigung am einen Pkw, am ein Motorrad und am erneut einen Pkw gelenkt. Beim Vorfall am sei der Beschwerdeführer, der dabei unter einen Pkw geraten und verletzt worden sei, überdies alkoholisiert gewesen (Alkoholgehalt der Atemluft 0,50 mg/l). Damit lägen bestimmte Tatsachen vor, welche unter Berücksichtigung der Vorentziehungen die Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers vom , dem Tag des ersten Lenkens trotz entzogener Lenkberechtigung, an gerechnet, für einen Zeitraum von zwei Jahren rechtfertigten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Der Beschwerdeführer replizierte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Das FSG lautete in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 93/2009 (auszugsweise):

"Geltungsbereich

§ 1.

(3) Das Lenken eines Kraftfahrzeuges und das Ziehen eines Anhängers ist, ausgenommen in den Fällen des Abs. 5, nur zulässig mit einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung für die Klasse oder Unterklasse (§ 2), in die das Kraftfahrzeug fällt. …

(4) Eine von einer zuständigen Behörde eines EWR-Staates ausgestellte Lenkberechtigung ist einer Lenkberechtigung gemäß Abs. 3 gleichgestellt. Das Lenken von Kraftfahrzeugen mit einer solchen Lenkberechtigung ist jedoch nur zulässig, wenn der Lenker das in § 6 Abs. 1 genannte Mindestalter erreicht hat. Das Lenken eines Kraftfahrzeuges mit einer in einem Nicht-EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung ist nur im Rahmen der Bestimmungen des § 23 zulässig.

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;

6. ein Kraftfahrzeug lenkt;

a) trotz entzogener Lenkberechtigung oder Lenkverbotes oder trotz vorläufig abgenommenen Führerscheines oder

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. Endet die Gültigkeit der Lenkberechtigung vor dem Ende der von der Behörde prognostizierten Entziehungsdauer, so hat die Behörde auch auszusprechen, für welche Zeit nach Ablauf der Gültigkeit der Lenkberechtigung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden darf.

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen. Sind für die Person, der die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit zu entziehen ist, zum Zeitpunkt der Entziehung im Vormerksystem (§ 30a) Delikte vorgemerkt, so ist für jede dieser im Zeitpunkt der Entziehung bereits eingetragenen Vormerkungen die Entziehungsdauer um zwei Wochen zu verlängern; davon ausgenommen sind Entziehungen auf Grund des § 7 Abs. 3 Z 14 und 15.

Sonderfälle der Entziehung

§ 26. (1) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gem. § 99 Abs. 1b StVO 1960 begangen, so ist, wenn es sich nicht um einen Lenker eines Kraftfahrzeuges der Klasse C oder D handelt und zuvor keine andere der in § 7 Abs. 3 Z 1 und 2 genannten Übertretungen begangen wurde, die Lenkberechtigung für die Dauer von einem Monat zu entziehen. Wenn jedoch

1. auch eine der in § 7 Abs. 3 Z 3 bis 6 genannten Übertretungen vorliegt, oder

2. der Lenker bei Begehung dieser Übertretung einen Verkehrsunfall verschuldet hat, so hat die Entziehungsdauer mindestens drei Monate zu betragen. § 25 Abs. 3 zweiter Satz ist in allen Fällen sinngemäß anzuwenden.

Folgen des Entziehungsverfahrens für Besitzer ausländischer

Lenkberechtigungen

§ 30. (1) Besitzern von ausländischen Lenkberechtigungen kann das Recht, von ihrem Führerschein in Österreich Gebrauch zu machen, aberkannt werden, wenn Gründe für eine Entziehung der Lenkberechtigung vorliegen. Die Aberkennung des Rechts, vom Führerschein Gebrauch zu machen, ist durch ein Lenkverbot entsprechend § 32 auszusprechen. Für die Aberkennung ist die Behörde zuständig, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Führerscheinbesitzer seinen Aufenthalt hat; sie hat den Führerschein abzunehmen und bis zum Ablauf der festgesetzten Frist oder bis zur Ausreise des Besitzers zurückzubehalten, falls nicht gemäß Abs. 2 vorzugehen ist. Hat der betroffene Lenker keinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich, ist seiner Wohnsitzbehörde auf Anfrage von der Behörde, die das Verfahren durchgeführt hat, Auskunft über die Maßnahme der Aberkennung zu erteilen.

(3) Betrifft das Verfahren gemäß Abs. 1 den Besitzer einer in einem EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung, der seinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich hat, so hat die Behörde eine Entziehung auszusprechen und den Führerschein des Betroffenen einzuziehen und der Ausstellungsbehörde zurückzustellen. … ..

Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen

§ 32. (1) Personen, die nicht im Sinne des § 7 verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26, 29 sowie 30a und 30b entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges

1. ausdrücklich zu verbieten,

…"

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Wie sich aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides ergibt, hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers insoweit stattgegeben, als die mit dem erstbehördlichen (Vorstellungs)Bescheid vom ausgesprochene Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers (bzw. das Lenkverbot) wegen des Vorfalls am aufgehoben wurde, weil nicht vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 1 FSG ausgegangen werden könne. Unter einem - und nur dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde - hat die belangte Behörde eine Entziehung der Lenkberechtigung (bzw. ein Lenkverbot) für den Zeitraum ab - über den erstbehördlichen Bescheid hinausgehend - bis ausgesprochen. Anders als die Erstbehörde stützt die belangte Behörde die Entziehung aber nicht länger auf den Vorfall vom , sondern auf die Vorfälle vom 6. Juni, 25. Juli und . Sie legt dem angefochtenen Bescheid die Annahme der mangelnden Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers ab , dem Tag, an welchem der Beschwerdeführer nach Auffassung der belangten Behörde einen Pkw trotz entzogener Lenkberechtigung gelenkt hat, für einen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren zugrunde.

Die belangte Behörde zeigt mit dieser Vorgangsweise, dass sie die Konsequenzen ihres Bescheides in Ansehung des Zeitraumes ab , dem Tag, ab dem die von der Erstbehörde ausgesprochene Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers infolge Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung bereits vorläufig wirksam war, verkannt hat.

2.2.1. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in mittlerweile ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass im Falle eines durch die Berufungsbehörde aufgehobenen Bescheides über die Entziehung der Lenkerberechtigung eine nach Erlassung dieses Bescheides ausgesprochene Bestrafung des Betroffenen wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne gültige Lenkberechtigung der Beseitigungswirkung der Aufhebung des Entziehungsbescheides widerspricht und daher rechtswidrig ist (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 98/03/0336, vom , Zl. 2004/02/0320, und vom , Zl. 2011/02/0142, auf deren nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Diese Judikatur ist auf die administrative Maßnahme der Entziehung der Lenkberechtigung (bzw. auf ein Lenkverbot) zu übertragen, und zwar auch für Konstellationen, in denen die Aufhebung der Entziehung (bzw. des Lenkverbotes) für den Zeitraum, in dem das Lenken trotz entzogener Lenkberechtigung (bzw. trotz Lenkverbots) stattgefunden hat, unter einem mit dem (erstmaligen) Ausspruch der administrativen Maßnahme (der Entziehung der Lenkberechtigung oder des Lenkverbotes) wegen des vermeintlichen Lenkens ohne gültige Lenkberechtigung (bzw. trotz Lenkverbots) erfolgt ist.

2.2.2. Im Beschwerdefall wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid, mit dem ihm wegen des Vorfalls vom die Lenkberechtigung entzogen und ein Lenkverbot ausgesprochen worden waren, mit dem angefochtenen Bescheid Folge gegeben und das Verfahren eingestellt, soweit es um die erstbehördliche Entziehung (und das Lenkverbot) ab ging. Für die Annahme des Lenkens ohne Lenkberechtigung am bestand wegen der - ex tunc wirkenden (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 66, Rz 108) - Aufhebung der erstbehördlich verfügten Entziehung (und des Lenkverbots) demnach keine Grundlage, weshalb auch keine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 6 FSG vorlag, die von der belangten Behörde zum Anlass für eine Entziehung der Lenkberechtigung (bzw. für ein Lenkverbot) hätte genommen werden dürfen.

2.3. Die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers (bzw. das Lenkverbot) wegen der vermeintlichen Fahrt ohne Lenkberechtigung am erweist sich folglich als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid - und zwar zur Gänze - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob die belangte Behörde die von ihr (auch) angenommene Verwirklichung einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 1 FSG beim Vorfall vom erstmals zum Anlass für eine Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers (bzw. für den Ausspruch eines Lenkverbotes) nehmen durfte.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am