VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0204

VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0204

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des A L in G, vertreten durch Dr. Josef Habersack, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Roseggerkai 5/III, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom , Zl. UVS 30.12-39/2012-16, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als der Berufung gegen Punkt 2. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses nicht Folge gegeben wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger des Kosovo und befindet sich seit Jänner 2004 in Österreich. Er stellte hier einen Asylantrag, der noch im Februar 2004 erstinstanzlich und dann im August 2008 zweitinstanzlich - jeweils nach den §§ 7 und 8 AsylG 1997 - abgewiesen wurde.

Der Beschwerdeführer verblieb im Bundesgebiet und beantragte im Juni 2010 die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach dem (damaligen) § 44 Abs. 4 NAG. Auch diesem Antrag wurde - mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom - keine Folge gegeben, die dagegen erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom zur Zl. 2012/22/0026 als unbegründet ab.

Mit Bescheid vom erließ der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark schließlich gegen den Beschwerdeführer (in Bestätigung einer erstinstanzlichen Ausweisung aus dem Juni 2010) eine Rückkehrentscheidung.

Mittlerweile war der Beschwerdeführer - am - von Beamten der Bundespolizeidirektion Graz in seiner Wohnung kontrolliert worden. In der Folge wurde er von der genannten Behörde mit Bescheid vom wegen Übertretung 1. des § 120 Abs. 1a FPG und 2. des § 121 Abs. 3 FPG zu einer Geldstrafe in der Höhe von EUR 500,--, fünf Tage Ersatzfreiheitsstrafe, (ad. 1.) bzw zu einer Geldstrafe von EUR 50,--, 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe, (ad. 2.) verurteilt. Ihm wurde zur Last gelegt, dass er sich am nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe (ad. 1.) und dass er kein Reisedokument oder ein Dokument, welches ihn zum rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtige, mit sich geführt habe, obwohl er als Fremder dazu verpflichtet sei, ein Reisedokument mit sich zu führen (ad. 2.).

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom gab der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark (die belangte Behörde) der dagegen erhobenen Berufung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe keine Folge, dass die Ersatzfreiheitsstrafe zu Punkt 1. mit zwei Tagen neu festgesetzt werde; außerdem nahm die belangte Behörde zu Punkt 2. eine Ergänzung des Spruches vor und fasste die verletzten Rechtsvorschriften wie folgt:


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"1.
§ 120 Abs. 1a iVm § 31 Abs. 1 FPG
2.
§ 121 Abs. 3 iVm § 32 Abs. 2 FPG"

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Dazu ist vorauszuschicken, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG in der Fassung des BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind. Weiter ist vorweg darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf den angelasteten Tatzeitpunkt () die Beurteilung des vorliegenden Falles nach dem FPG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2012, BGBl. I Nr. 112/2011, vorzunehmen ist.

Gemäß § 120 Abs. 1a FPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von EUR 500,-- bis zu EUR 2.500,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Gemäß § 121 Abs. 3 FPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von EUR 50,-- bis zu EUR 250,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, zu bestrafen, wer

1. Auflagen, die ihm die Behörde


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a)
bei Erteilung eines Durchsetzungsaufschubes (§ 71) oder
b)
bei Bewilligungen gemäß §§ 72 oder 73
erteilt hat, missachtet oder
2.
sein Reisedokument nicht mit sich führt oder gemäß § 32 Abs. 2 verwahrt;
3.
trotz Aufforderung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes
a)
diesem ein für seine Aufenthaltsberechtigung maßgebliches Dokument nicht aushändigt oder
b)
sich nicht in dessen Begleitung an jene Stelle begibt, an der das Dokument verwahrt ist.
Der Beschwerdeführer wurde zunächst wegen Übertretung der erstgenannten Vorschrift (iVm § 31 Abs. 1 FPG) bestraft, weil er sich am nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Dazu verwies die belangte Behörde im Ergebnis auf das bereits 2008 rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren, auf die rechtskräftige Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels und auf die dann im Juni 2012 zweitinstanzlich ergangene aufenthaltsbeendende Maßnahme.
Dem vermag der Beschwerdeführer nichts Substantielles entgegenzuhalten. Dass aus dem Umstand, dass im Tatzeitpunkt das aufenthaltsbeendende Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war, nichts zu gewinnen ist, hat die belangte Behörde richtig aufgezeigt; das änderte nämlich nichts am schon damals rechtswidrigen Aufenthalt des Beschwerdeführers. Wenn er aber auf Integrationsgesichtspunkte verweist, so ist ihm - ebenfalls mit der belangten Behörde - das Ergebnis des aufenthaltsbeendenden Verfahrens entgegenzuhalten, wonach diese Gesichtspunkte (sogar noch nach dem Tatzeitpunkt) der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht entgegenstanden. Für die Annahme, es habe zum Tatzeitpunkt ein Strafausschließungsgrund bestanden (vgl dazu aus jüngerer Zeit etwa die beiden hg Erkenntnisse vom , Zl. 2012/21/0076 und Zl. 2012/21/0151), besteht daher kein Anhaltspunkt; dies umso mehr, als wenige Monate vor dem ein Antrag auf Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels rechtskräftig abgewiesen worden war. Die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof abgewiesen. Dass der Beschwerdeführer - wie behauptet - im Tatzeitpunkt über diese Entscheidung noch nicht in Kenntnis war, vermag ihn nicht zu exkulpieren.
Der Hinweis schließlich, der Beschwerdeführer sei bemüht, in Österreich einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus zu erlangen, bringt nur eine Absicht bzw einen Wunsch des Beschwerdeführers zum Ausdruck, kann ihm aber noch nicht zu einem derartigen rechtmäßigen Aufenthalt - bzw zur Straffreiheit in Bezug auf § 120 Abs. 1a FPG - verhelfen. Auch die Gründe, auf die der seinerzeitige Asylantrag gestützt war, vermögen das nicht, weshalb die noch ergänzend gerügte Nichtbeischaffung des Asylaktes keinen Verfahrensfehler darstellt.
Insgesamt kann der Beschwerde damit, soweit sie sich gegen die Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts nach § 120 Abs. 1a FPG richtet, kein Erfolg beschieden sein.
Was hingegen die von der belangten Behörde ebenfalls bestätigte Bestrafung gemäß Punkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides anlangt, so ist zunächst schon unter dem Blickwinkel des § 44a Z 2 VStG zu monieren, dass eine genaue Festlegung der übertretenen Verwaltungsvorschrift unterblieb. Der nur insgesamt angeführte § 121 Abs. 3 FPG enthält nämlich mehrere Straftatbestände, sodass insoweit eine Präzisierung vorzunehmen gewesen wäre, uzw ungeachtet dessen, dass sich aus der schon erstinstanzlich erfolgten Umschreibung der Tat und insbesondere aus der von der belangten Behörde vorgenommenen Verknüpfung mit § 32 Abs. 2 FPG ergibt, dass offenkundig der Straftatbestand nach § 121 Abs. 3 Z 2 FPG angesprochen werden sollte.
In der Sache hielt die belangte Behörde dem Berufungseinwand des Beschwerdeführers, er habe gar kein Reisedokument, entgegen, er habe diese Situation selbst verursacht bzw nichts unternommen, die Ausstellung eines Reisedokuments zu erlangen. Mit dieser Überlegung verkannte die belangte Behörde jedoch die Rechtslage.
Gemäß § 32 Abs. 2 erster Satz FPG sind Fremde verpflichtet, ihr Reisedokument mit sich zu führen oder in einer solchen Entfernung von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort zu verwahren, dass seine Einholung ohne unverhältnismäßige Verzögerung erfolgen kann. Damit wird zwar an die Passpflicht (§ 15 Abs. 1 FPG) angeknüpft. Sie wird aber nicht neuerlich normiert, sondern vorausgesetzt, sodass die Verpflichtung des § 32 Abs. 2 erster Satz FPG selbst nur bei Existenz bzw Besitz eines Reisedokuments zum Tragen kommen kann. § 32 Abs. 2 erster Satz FPG erschöpft sich also darin, das "mit sich Führen" (oder eine entsprechende Verwahrung) eines schon ausgestellten Reisedokuments - zum Zweck des Nachweises einer Aufenthaltsberechtigung (siehe die Überschrift des § 32 FPG: "Pflichten des Fremden zum Nachweis der Aufenthaltsberechtigung") -

anzuordnen. Eine Verpflichtung, ein Reisedokument ausstellen zu lassen, ist dieser Norm dagegen nicht zu entnehmen, was rein sprachlich auch darin Ausdruck findet, dass Fremde nicht abstrakt "ein" - auf sie lautendes - Reisedokument, sondern ein ganz konkretes ("ihr") Reisedokument mit sich zu führen haben.


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§ 121 Abs. 3 Z 2 FPG soll lediglich die Verletzung der sich aus § 32 Abs. 2 FPG ergebenden Verpflichtung sanktionieren (so ausdrücklich die ErläutRV zur letztgenannten Bestimmung, 952 BlgNR
22.
GP 89). Eine Bestrafung des Beschwerdeführers nach dieser Bestimmung im Ergebnis deshalb, weil er es unterlassen habe, Versuche zur Erlangung eines Reisedokuments zu unternehmen, kommt daher - anders als die belangte Behörde meint - nicht in Betracht. (Auch eine Bestrafung nach § 121 Abs. 3 Z 3 FPG kommt, was wohl keiner Erörterung bedarf, nur in Frage, wenn es das für die Aufenthaltsberechtigung maßgebliche Dokument überhaupt gibt.) Der Unwert dieser Unterlassung scheint im Übrigen ohnedies durch die Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts nach § 120 Abs. 1a FPG erfasst. Ob § 121 Abs. 3 Z 2 FPG davon ausgehend allenfalls überhaupt in bestimmten Fallkonstellationen hinter den Straftatbestand des § 120 Abs. 1a FPG zurücktritt, braucht hier aber nicht geprüft zu werden. Der Bescheid der belangten Behörde erweist sich nämlich insoweit, als er das erstinstanzliche Straferkenntnis in seinem Punkt 2. bestätigt, jedenfalls als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. Soweit sich die Beschwerde gegen die Bestätigung von Punkt 1. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wendet, war sie hingegen nach dem oben Gesagten gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil der Anforderung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch die Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde, einem Tribunal iS der EMRK, Genüge getan worden ist (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl. 2013/09/0108).
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am