VwGH vom 22.01.2014, 2013/21/0185
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des M S in I, geboren am , vertreten durch Dr. Peter Zawodsky, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 71/10, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft New Delhi vom , Zl. VAN 138134, betreffend Verweigerung eines Visums, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1982 geborene Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am bei der österreichischen Botschaft New Delhi den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums". Dabei bezeichnete er seine derzeitige Beschäftigung mit "House Boat Steward"; als Zweck der Reise wurde "Tourismus" angekreuzt mit der ergänzenden Bemerkung "Visiting friends and to travel around Austria". Die geplante Aufenthaltsdauer gab der Beschwerdeführer mit 46 Tagen an, als "einladende Person" machte er eine in Mondsee wohnhafte österreichische Staatsbürgerin geltend. Diese hatte für den Beschwerdeführer eine elektronische Verpflichtungserklärung abgegeben und in einem an die österreichische Botschaft New Delhi gerichteten Schreiben ergänzend - u.a. - Folgendes mitgeteilt (Schreibfehler im Original):
"Ich hatte das Vergnügen fuer über drei Monate mit Herrn (Beschwerdeführer) und seiner Familie in Kashmir zu verbringen. Ich traf Sie waehrend einer meiner Indienreisen. Während dieser Zeit hat (Beschwerdeführer) und Seine Familie mir gegenüber die grösste Gastfreundschaft entgegengebracht und die volle Kost und Logie fuer mich übernommen. Ich wurde von der S. Familie liebevoll bewirtet und hatte die Möglichkeit durch Sie, das echte Kashmir kennenzulernen. Aufgrund dieser Erfahrung habe ich das Beduerfnis Herrn (Beschwerdeführer) Österreich zu zeigen und möchte ihm meine Familie vorstellen und in gewisserweise den mir gegenüber erwiesenen Gefallen erwiedern.
In diesem Zusammenhang wollte ich nochmals klarstellen, dass ich waehrend seines gesamten Aufenthalts, 2. Oktober bis einschließlich , jedwaige Kosten übernehmen und auch sicherstellen werde, dass er nur um gegebenen Zeitraum in Österreich bleibt."
Die österreichische Botschaft New Delhi (die belangte Behörde) wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom ab. Dabei wurde durch Ankreuzen eines vorgedruckten Textfeldes zum Ausdruck gebracht, dass nach Auffassung der belangten Behörde die Absicht des Beschwerdeführers, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, nicht habe festgestellt werden können. Ergänzend war dazu angemerkt, es bestünden begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers und daher an seiner Absicht, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG in der Fassung des BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind. Weiters ist vorweg darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung (im September 2013) zu überprüfen hat.
Die belangte Behörde gründete die Versagung des beantragten Visums erkennbar auf Art. 32 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex), wonach ein Visum u.a. dann zu verweigern ist, wenn begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen des Antragstellers oder an der von ihm bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen. In einem in den Verwaltungsakten erliegenden Aktenvermerk - eine Gegenschrift hat die belangte Behörde nicht erstattet - ist dazu festgehalten (Fehler im Original):
"9-Antragsteller wurde am zum Interview geladen und im Beisein von Doku-Berater und VB spl. interviewt.
Tabelle in neuem Fenster öffnen
- | Antragsteller sprach nur gebrochenes Englisch, Großteils des Interviews wurde demnach in Hindi gehalten. |
- | Laut eigenen Angaben verdient Antragsteller lediglich ca. INR 10.000,- (ca. EUR 115) / Monat. Der Job auf dem Hausboot scheint nur zur Hochsaison erhältlich. Oktober/November seien Low-Season, somit kann Antragsteller in dem Zeitraum reisen (es wird vermerkt, dass Antragsteller bereits im Juni 2013, Touristische Hochsaison, einmal beantragt hat, siehe dazu VAN 134055 v ) |
- | Gab an sich um eine alte Mutter und einen älteren Bruder zu kümmern, Vater sei vor einigen Jahren verstorben. Bruder würde demnächst heiraten. Er selbst sei noch nicht verheiratet, würde aber gerne eine Kashmiri heiraten, da sie sich um den Hof und die Familie kümmern soll. |
- | Einladerin würde ihn unterstützen sich diese Reise leisten zu können. Sie hätte ihm auch in der Vergangenheit bereits geholfen. |
Antragsteller hat geringe bzw. keinerlei finanzielle oder familiäre Bindungen im Heimatland, die Sorge für die Mutter kann Bruder und dessen Gattin übernehmen, eine eigene Kernfamilie gibt es nicht. Berufstätigkeit ist saisonal bedingt und Verdienst auch für indische Verhältnisse extrem gering. Eine wirtschaftliche und familiäre Verwurzelung des Antragstellers im Heimatland ist aus den oben angegebenen Gründen nicht erkennbar, der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen für eine daher Visaerteilung nicht da die Wiederausreise aus dem Hoheitsgebiet der MS nach Ablauf des Visums zweifelhaft erscheint." | |
Mit diesen Überlegungen verkannte die belangte Behörde die Tragweite des von ihr herangezogenen Versagungsgrundes. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0344, ausgeführt, dass nicht ohne weiteres - generell - unterstellt werden dürfe, dass Fremde unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin im Schengenraum (unrechtmäßig) aufhältig bleiben. Es werde daher konkreter Anhaltspunkt in diese Richtung bedürfen, und die Behörde könne die Versagung eines Visums nicht gleichsam mit einem "Generalverdacht" zu Lasten aller Fremden begründen. Regelmäßig werde daher, wenn nicht gegenteilige Indizien bekannt seien, davon auszugehen seien, dass der Fremde vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums wieder ausreisen werde (vgl. aus jüngerer Zeit etwa auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/21/0064). | |
Das von der belangten Behörde angesprochene Fehlen einer wirtschaftlichen und familiären Verwurzelung im Herkunftsstaat kann zwar für sich betrachtet Zweifel an der Wiederausreiseabsicht begründen. Selbst am Boden des dargestellten Aktenvermerks ergeben sich jedoch familiäre Bindungen des Beschwerdeführers zu Indien, die auch aus dem wiedergegebenen Schreiben der Einladerin ("S. Familie") hervorleuchten. In Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde außerdem außer Acht gelassen, dass er in einem Begleitschreiben zu seinem Visumsantrag neben seiner Tätigkeit als "House Boat Steward" auch darauf hingewiesen hat, Obstgärten und Reisfelder zu besitzen. Ungeachtet dieser ohnehin bestehenden Anknüpfungspunkte zu Indien wäre aber vor allem auch die elektronische Verpflichtungserklärung der österreichischen Staatsbürgerin bzw. die von ihr angegebene Zusicherung, der Beschwerdeführer werde sich nur im beantragten Zeitraum in Österreich aufhalten, mitzuberücksichtigen gewesen. Jedenfalls im Hinblick auf diese Erklärung - Umstände, die gegen ihre Ernsthaftigkeit sprächen, lassen sich den vorgelegten Verwaltungsakten nicht entnehmen - liegt der herangezogene Versagungsgrund, auch unter Bedachtnahme auf den den zuständigen Behörden insoweit zukommenden weiten Beurteilungsspielraum (siehe dazu jüngst das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-84/12, "Rahmanian Koushkaki", vom , Rz 60 ff.), nicht vor. Dass die belangte Behörde vor der bekämpften Entscheidung jedenfalls keinen ausreichend konkretisierten Vorhalt erstattete, ist bei diesem Ergebnis nur mehr der Vollständigkeit halber anzuführen. Nach dem Vorgesagten war der bekämpfte Bescheid nämlich schon wegen der dargestellten Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. | |
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. | |
Wien, am |
Fundstelle(n):
HAAAE-88029