VwGH vom 28.05.2020, Ra 2020/22/0040
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-151/011/8403/2019/E-7, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: J Z in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1Die Mitbeteiligte, eine serbische Staatsangehörige, verfügte über einen Aufenthaltstitel „Studierende“, der bis gütig war. Am stellte sie einen Verlängerungsantrag, der vom Landeshauptmann von Wien (Behörde, Revisionswerber) mit Bescheid vom abgewiesen wurde, weil kein Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft nachgewiesen worden sei.
2Der vom Verwaltungsgericht Wien (VwG) im ersten Rechtsgang erteilte Aufenthaltstitel wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2019/22/0036, aufgehoben.
3Mit dem angefochtenen Erkenntnis erteilte das VwG erneut einen „Aufenthaltstitel Student gem. § 64 Abs. 1 NAG idgF auf Basis des serbischen Reisepasses mit Gültigkeit bis “. Eine ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt.
In der Begründung führte das VwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - aus, „[d]er Reisepass ist bei den Einreichunterlagen ausgewiesen, verkürzt jedoch die grundsätzliche Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, da der Reisepass mit befristet ist.“
4Dagegen richtet sich die Amtsrevision der Behörde mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
5Die Mitbeteiligte wies in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hin, dass sie am dem VwG Unterlagen unter anderem betreffend ihre Eheschließung mit einem Unionsbürger sowie ihre Antragstellung auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte übermittelt und mitgeteilt habe, dass sie „den Aufenthaltstitel Studierende nicht mehr verlängern werde.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6In der Zulässigkeitsbegründung rügt der Revisionswerber einerseits ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung hinsichtlich der Festlegung der Dauer des Aufenthaltstitels im Spruch (Hinweis auf ). Andererseits fehle hg. Rechtsprechung zur Frage, ob durch die spätere Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 64 NAG die zuvor (am ) ausgestellte Aufenthaltskarte - ungeachtet dessen, dass das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht weiterhin bestehen bleibe - gemäß § 10 Abs. 3 NAG gegenstandslos geworden sei.
7Die Revision ist zulässig und auch begründet.
8Gemäß § 20 Abs. 1 NAG sind befristete Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen, es sei denn, es wurde eine kürzere Dauer der Aufenthaltstitel beantragt oder das Reisedokument weist nicht die entsprechende Gültigkeitsdauer auf.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das VwG bei Vorliegen der Voraussetzungen den beantragten Aufenthaltstitel selbst in konstitutiver Weise zu erteilen (vgl. , mwN); dabei hat das VwG auch die Gültigkeitsdauer des erteilten Aufenthaltstitels festzulegen; die fehlende Bestimmtheit des Zeitraumes, für den der beantragte Aufenthaltstitel erteilt werden soll, belastet die Titelerteilung mit Rechtswidrigkeit (vgl. ).
9Im vorliegenden Fall rügt der Revisionswerber zutreffend, dass der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses nicht rechtskonform formuliert ist. Geht man davon aus, dass sich die Formulierung „mit Gültigkeit bis “ auf den Reisepass bezieht, wurde im Spruch - entgegen der oben zitierten hg. Rechtsprechung - keine Gültigkeitsdauer des erteilten Aufenthaltstitels festgelegt; sollte sich die Formulierung „mit Gültigkeit bis “ auf den Aufenthaltstitel beziehen, wurde dieser für zehn Jahre erteilt, was § 20 Abs. 1 NAG widerspricht.
In jedem Fall war das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
10Den Verfahrensunterlagen zufolge wurde der Mitbeteiligten - nach ihrer Eheschließung mit einem Unionsbürger - ein Reisepass mit Gültigkeit bis ausgestellt. Angesichts der von der Mitbeteiligten dem VwG am persönlich übergebenen Unterlagen, unter anderem des Bescheides über die Verleihung eines akademischen Grades, des Nachweises über die Eheschließung mit einem Unionsbürger sowie der Einreichbestätigung betreffend den Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte, wäre das VwG gehalten gewesen, vor der Entscheidung über den Verlängerungsantrag zu ermitteln, ob die Mitbeteiligte ungeachtet der Änderungen im Sachverhalt nach wie vor an ihrem ursprünglichen Antrag vom Jänner 2017 festhält. Den Verfahrensakten des VwG ist zwar keine Willensäußerung der Mitbeteiligten zu entnehmen, wonach sie „den Aufenthaltstitel Studierende nicht mehr verlängern werde.“ Da die Mitbeteiligte jedoch über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügte, das auch im Fall eines später konstitutiv erteilten Aufenthaltstitels nicht gegenstandslos wird (vgl. ), und ihr bereits vor der Entscheidung des VwG eine Aufenthaltskarte ausgestellt wurde, durfte das VwG nicht ohne weiteres davon
ausgehen, dass die nicht rechtsfreundlich vertretene Mitbeteiligte weiterhin die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Studierende“ anstrebte.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220040.L00 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Inhalt des Spruches Diverses Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt |
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