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VwGH vom 14.11.2013, 2013/21/0176

VwGH vom 14.11.2013, 2013/21/0176

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des KB in S, vertreten durch Mag. Rainer Hessenberger, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Alter Markt 7/2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom , Zl. UVS-110/82/13-2013, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im Juni 2013 unter Verwendung eines verfälschten bulgarischen Reisepasses nach Österreich ein. Am Abend des wurde er deshalb in Salzburg - wegen des Verdachts des Besitzes verfälschter, besonders geschützter Urkunden sowie des nicht rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet - festgenommen.

Im Zuge einer von der Landespolizeidirektion Salzburg am zwischen 13.30 und 13.50 Uhr vorgenommenen niederschriftlichen Befragung beantragte er die Gewährung von Asyl.

Am selben Tag verhängte die Landespolizeidirektion Salzburg über ihn mit um 14.05 Uhr zugestelltem Bescheid gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie der Abschiebung. Begründend erachtete sie die Haft als zur Sicherung dieser fremdenpolizeilichen Maßnahmen notwendig. Mangels Wohnsitzes, legaler Beschäftigung oder familiärer bzw. sozialer Kontakte in Österreich wäre bei Anwendung gelinderer Mittel die Annahme berechtigt, der Beschwerdeführer würde untertauchen, um sich dem Verfahren zu entziehen.

Am hielt die Landespolizeidirektion Salzburg, nach teilweiser Durchführung der Erstbefragung im Asylverfahren, in einem Aktenvermerk betreffend den Beschwerdeführer u. a. Folgendes fest:

"Die Schubhaft ist gem. § 76 Abs. 2 FPG gerechtfertigt, da kein erkenntlicher Asylgrund vorhanden ist, auch nicht bekannt ist, ob dublinrelevante Gründe vorhanden sind, weil er diesbezüglich keine Angaben gemacht hat und keinesfalls die Person feststeht. Er ist unter Verwendung eines gefälschten bulgarischen Reisepasses in das Bundesgebiet eingereist. Die Annahme ist gerechtfertigt, dass er sich bei Entlassung aus der Schubhaft dem Verfahren entziehen würde."

Der Beschwerdeführer wurde bis zum (Aufnahme in die Wohnung seiner Nichte in Salzburg) in Schubhaft angehalten. Am wurde das Asylverfahren zugelassen und dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt.

Am hatte der Beschwerdeführer Schubhaftbeschwerde erhoben, in der er die auf § 76 Abs. 1 FPG gestützte Haft als rechtswidrig und die Anwendung gelinderer Mittel im Hinblick auf seine Möglichkeit, bei (nunmehr genannten) Familienangehörigen in Salzburg zu wohnen, als jedenfalls ausreichend erachtete.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies der Unabhängige Verwaltungssenat Salzburg (die belangte Behörde) diese Beschwerde gemäß § 83 FPG als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlägen.

Über die bereits wiedergegebenen unstrittigen Tatsachen hinaus stellte die belangte Behörde fest, "abschließende Informationen über vorangegangene Asylverfahren in den Ländern Deutschland und allenfalls auch Ungarn" lägen bis dato nicht vor; lediglich eine aus den Niederlanden am eingelangte Rückantwort enthalte "keine hier verfahrenswesentlichen Inhalte". Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte "verwandtschaftliche Deckung des dringenden Wohnbedarfs und des gesamten Lebensunterhalts" müsse - nach den näher dargestellten Ergebnissen einer am durchgeführten mündlichen Verhandlung - "als nicht ausreichend gesichert angesehen werden".

Rechtlich bejahte die belangte Behörde unter Hinweis auf ein bereits in Deutschland (nach Aussage des Beschwerdeführers vom in den Jahren 1989 bis 1993) "oder auch in anderen Staaten" abgewickeltes Asylverfahren die Möglichkeit einer Zurückweisung des vom Beschwerdeführer gestellten Antrages auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit und damit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG; "die Verhängung und weitere Anhaltung in Schubhaft" stellten sich nach dieser Gesetzesstelle als rechtskonform dar. Eine Anwendung gelinderer Mittel komme im Hinblick auf die bisher gezeigte kriminelle Energie (Gebrauch eines "mit äußerst hoher Qualität" verfälschten bulgarischen Reisepasses zur Erleichterung der illegalen Einreise und des Aufenthalts) sowie die als nicht ausreichend erachtete Wohnmöglichkeit, etwa bei Verwandten, nicht in Betracht.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 2 erster Satz FPG ist - u.a. - § 76 Abs. 1 FPG auf Asylwerber nicht anzuwenden. Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 ist "Asylwerber" ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zur Verfahrensbeendigung (rechtskräftiger Abschluss, Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens). Gegen Asylwerber und - wie der Ausschussbericht (1055 BlgNR 22. GP 5) klarstellend bemerkt - auch gegen Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz erst gestellt (also noch nicht eingebracht) haben, kommt Schubhaft nur unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 oder Abs. 2a FPG in Betracht. Nach § 76 Abs. 1 FPG kann die Schubhaft somit nur gegen Fremde angeordnet werden, wenn sie (noch) keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben oder wenn deren Asylverfahren beendet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0349, mit weiteren Hinweisen). Vor diesem Hintergrund erweist sich die auf § 76 Abs. 1 FPG gestützte, nach der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz verhängte Schubhaft als unrechtmäßig (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/21/0037, mwN).

Die Schubhaftanordnung und die daran anschließende Haft konnten durch den erwähnten Aktenvermerk vom , wonach die Schubhaft gemäß "§ 76 Abs. 2 FPG" gerechtfertigt sei, nicht rechtmäßig werden. Ein einmal rechtswidriger Schubhaftbescheid kann nämlich nicht - quasi partiell für einen "Teilzeitraum" - konvalidieren, zumal dies im Ergebnis einer im Gesetz insoweit nicht vorgesehenen Schubhaftverhängung "auf Vorrat" gleichkommen würde. Auch die Bestimmung des § 76 Abs. 6 FPG steht dem nicht entgegen, weil die dort angeordnete Zulässigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft, wenn während der Anhaltung ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, einen rechtmäßigen Schubhaftbescheid nach § 76 Abs. 1 FPG vor Augen hat. Zu einer "Heilung" könnte es nur durch einen neuen Schubhafttitel kommen (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/21/0626, und vom , Zl. 2012/21/0114, mwN).

Als solcher käme zwar der gemäß § 83 Abs. 4 FPG erlassene Fortsetzungsausspruch der belangten Behörde in Betracht, dem diese erkennbar die Verwirklichung des Schubhaftgrundes nach § 76 Abs. 2 Z 4 FPG zugrunde legte. Dieser Tatbestand hätte es jedoch erfordert, dass auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers anzunehmen gewesen wäre, dass sein Antrag auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden würde. Davon kann allerdings nach den wiedergegebenen Feststellungen der belangten Behörde, die einerseits auf Vorgänge vor dem Inkrafttreten der Dublin II-Verordnung abstellt und im Übrigen (mangels Einlangens ausreichender Informationen) - im Gegenteil dazu - vom Fehlen konkreter Hinweise ausgeht, nach denen eine Zuständigkeit Österreichs zu verneinen gewesen wäre, auch bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht die Rede sein.

Dieser erweist sich daher, ebenso wie die damit zusammenhängende Kostenentscheidung, als inhaltlich rechtswidrig, sodass er insgesamt gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
PAAAE-88009