VwGH vom 20.10.2020, Ra 2020/22/0036
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des A E, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , LVwG-750683/2/BP/CK, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit Antrag vom begehrte der Revisionswerber, ein marokkanischer Staatsangehöriger, gestützt auf seine Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin JF die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
2Mit Bescheid vom wies der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz (belangte Behörde) diesen Antrag ab. Begründend ging die belangte Behörde davon aus, dass dies ein Versuch sei, sich im Wege der Eheschließung ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe dürfe der Aufenthaltstitel gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG nicht erteilt werden.
3Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der ua. beantragt wurde, sowohl seine Ehefrau JF als auch ihn selbst zeugenschaftlich zum Beweis dafür einzuvernehmen, dass eine Liebesheirat und keine Aufenthaltsehe vorliege. Zudem wurde auf die ungenügende Berücksichtigung der im Verfahren erstatteten Stellungnahmen der JF und auf das mehrmonatige Zusammenleben vor der Ausreise des Revisionswerbers verwiesen.
4Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig.
Nach Darstellung des Verfahrensganges hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass von einer mündlichen Verhandlung entgegen dem darauf gerichteten Parteiantrag habe abgesehen werden können, weil die Akten erkennen ließen, dass eine weitere Erörterung angesichts der Tatsache, dass der Ehefrau vollinhaltlich geglaubt werde, ergebnisneutral wäre. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass JF den Revisionswerber im Jänner 2016 kennengelernt habe, die beiden sich im August 2017 verlobt und im November 2017 die gemeinsame Wohnung bezogen hätten. Am sei der Revisionswerber freiwillig aus Österreich ausgereist und am habe die Hochzeit in Marokko stattgefunden.
In seinen rechtlichen Erwägungen verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft dann anzunehmen sei, wenn die Ehepartner erkennbar in einer dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung zusammenleben wollten. Es komme allein auf die Absicht des Fremden und nicht auf die Beweggründe „des österreichischen Teils“ an. Das Verwaltungsgericht verwies darauf, dass das Kennenlernen im Jänner 2016 erfolgt sei, sodann offenbar regelmäßiger (platonischer) Kontakt stattgefunden habe, bevor im Mai 2017 eine Liebesbeziehung im Entstehen gewesen sei. Bereits im August 2017 und somit kurze Zeit nach dem Beginn der Liebesbeziehung habe die Verlobung stattgefunden. Kurz vor dem Zeitpunkt des Entstehens der Liebesbeziehung sei der Asylantrag des Revisionswerbers abgewiesen worden, kurz vor der Verlobung sei die dagegen erhobene Revision zurückgewiesen worden. Es dränge sich der Eindruck auf, „als hätte das Privatleben [des Revisionswerbers] auf die für [ihn] negativen Ereignisse im Asylverfahren reagiert“. Der Altersunterschied (zwischen JF und dem Revisionswerber) von 27 Jahren verstärke lediglich den Eindruck, dass das zeitliche Zusammenfallen der Ereignisse im Privatleben und im Asylverfahren nicht rein zufällig gewesen sei. Bei lebensnaher Betrachtung sei der Schluss zulässig, dass eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 11 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 NAG und damit ein absoluter Versagungsgrund vorliege.
5Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG, deren Behandlung vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , E 2955/2019, abgelehnt wurde. Über nachträglichen Antrag wurde die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
6In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision erhoben.
Revisionsbeantwortung wurde keine erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision ua. vor, das Verwaltungsgericht habe nicht nachvollziehbar begründet, warum es dem - zum Beweis dafür, dass es sich um eine Liebesheirat handle, gestellten - Beweisantrag auf Einvernahme (ua.) der Ehefrau des Revisionswerbers nicht entsprochen habe.
Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig.
8Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG auf Antrag eine mündliche Verhandlung durchzuführen, welche der Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie der Erhebung der Beweise dient. Als Ausnahme von dieser Regel kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Antrages gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Dies ist dann der Fall, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann, und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre (vgl. zu allem , Rn. 14, mwN).
9Darüber hinaus betont der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden kann, sondern der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt. Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof auch für die nach § 30 Abs. 1 NAG relevante Frage, ob Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen oder nicht, anwendbar erachtet (siehe dazu erneut VwGH Ra 2019/22/0156, Rn. 17, zu einem Fall, in dem - wie hier - lediglich die Ehefrau des Revisionswerbers in Österreich aufhältig war).
10Des Weiteren dürfen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge - ungeachtet der Ergebnisse des bisherigen Beweisverfahrens - nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. zu allem , Rn. 8 f, mwN).
11Im vorliegenden Fall beantragte der Revisionswerber in der Beschwerde (ua.) die Einvernahme seiner Ehefrau und trat dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt (im Hinblick auf die Annahme, es liege eine Aufenthaltsehe vor) entgegen.
12Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar festgehalten, dass es für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe nicht auf die Beweggründe des österreichischen Ehepartners, sondern allein auf die Absicht des Fremden ankommt (vgl. , Rn. 11, mwN). Das bedeutet aber nicht, dass der Einvernahme des österreichischen Ehepartners für die Beurteilung des Vorliegens einer Aufenthaltsehe von vornherein keine Bedeutung zukommen und ein darauf gerichteter Beweisantrag daher bereits aus diesem Grund abgelehnt werden kann (vgl. zu einer zu Unrecht unterbliebenen Einvernahme der Ehefrau des Drittstaatsangehörigen auch ). Es ist für den Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch nicht nachvollziehbar, wenn das Verwaltungsgericht ausführt, dass der Ehefrau des Revisionswerbers „vollinhaltlich geglaubt“ werde.
13Betreffend das Vorliegen einer Aufenthaltsehe und damit für die Beurteilung eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG konnte das Verwaltungsgericht somit nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehen. Das Verwaltungsgericht hätte demnach nicht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Einvernahme der Ehefrau des Revisionswerbers absehen dürfen. Auf Grund des ungeklärten Sachverhaltes hätte eine Verhandlung durch das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall auch nicht gemäß § 19 Abs. 12 NAG unterbleiben können, wonach unbeschadet des § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durch das Verwaltungsgericht unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt abschließend feststeht und der Revisionswerber im Ausland aufhältig und nicht zur Einreise in das oder zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist (vgl. wiederum VwGH Ra 2019/22/0156, Rn. 18).
14Aus den dargestellten Gründen war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
15Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220036.L00 |
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