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VwGH vom 28.02.2012, 2009/05/0268

VwGH vom 28.02.2012, 2009/05/0268

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde der Gemeinde L, vertreten durch Dr. Hermann Geissler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Neutorgasse 12, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-BR-1138/001-2009, betreffend Kanalanschlussverpflichtung (mitbeteiligte Partei: A J in L, vertreten durch Dr. Wolfgang Rumpl, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Babenbergergasse 7/3/16), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Mitbeteiligter) ist Eigentümer einer Liegenschaft im Gebiet der beschwerdeführenden Gemeinde, auf welcher sich ein Wohngebäude befindet.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 62 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 (im Folgenden: BO) iVm § 17 Abs. 1 NÖ Kanalgesetz 1977 (im Folgenden: KanalG) der Auftrag erteilt, die auf dieser Liegenschaft befindlichen Gebäude an den bestehenden öffentlichen Mischwasserkanal der Gemeinde innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Rechtskraft dieses Bescheides anzuschließen. Dazu führte der Bürgermeister (u.a.) aus, dass bestehende Senk- oder Sickergruben, die keine Kläranlagen darstellten, von einer Ausnahmeregelung (für die Anschlusspflicht) nicht umfasst seien und auf der gegenständlichen Liegenschaft mangels einer Landwirtschaft auch keine Güllewirtschaft betrieben werde. Der Gesetzgeber habe in Kenntnis von teilweise hohen Kosten für Anschlussleitungen bzw. Hebeanlagen und -pumpen dennoch die Anschlusspflicht normiert, weil der Schutz der Allgemeinheit vor einer Gewässerverunreinigung in diesem Zusammenhang als höherwertiges Rechtsgut anzusehen sei.

Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der beschwerdeführenden Gemeinde vom wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 62 Abs. 2 BO und § 17 KanalG der vom Mitbeteiligten gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung teilweise Folge gegeben und der Spruch dieses Bescheides dahin abgeändert, dass dieser auf § 62 Abs. 2 BO (anstelle von § 62 Abs. 1 leg. cit.) gestützt und die Frist zur Herstellung des Kanalanschlusses mit sechs Monaten ab Rechtskraft des Bescheides festgesetzt wurde. In Bezug auf das Berufungsvorbringen, dass eine andere Ableitungsmöglichkeit, nämlich jene im Bereich der Hauptplatz-Bachverrohrung, bestehe, führte die Berufungsbehörde aus, dass (in diesem Fall) die Strecke der Rohrleitung 190 m betragen würde, was bei einem Gefälle von 1 % einen Höhenunterschied von 1,9 m ausmachen würde. Unter Berücksichtigung der bei einer solchen weiten Streckenführung notwendigen Dämmung des Abflussrohres und der Errichtung der notwendigen jederzeit zugänglichen Wartungsöffnungen, deren Zugang durch den ständig wechselnden Wasserspiegel durch die Abkehrungen bei der 2. Wiener Hochquellwasserleitung erschwert wäre, seien die Kosten für die Errichtung der vom Mitbeteiligten vorgeschlagenen Leitungsführung mit ca. EUR 100.000,-- zu veranschlagen. Diese Summe sei für die Gemeinde nicht zu finanzieren. Im Übrigen sei bereits auf der Liegenschaft des Mitbeteiligten ein Kanalanschluss vorgesehen. Aus § 62 Abs. 2 BO ergebe sich die grundsätzliche Verpflichtung zum Anschluss an den öffentlichen Kanal, und es habe der Hauseigentümer dafür Sorge zu tragen, dass die Anschlussfähigkeit seiner Liegenschaft gegeben sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Vorstellung, in der er (u.a.) vorbrachte, dass sich auf der Liegenschaft eine voll funktionsfähige Senkgrube befinde, über die die Abwässer der Liegenschaft ordnungsgemäß entsorgt würden. Anlässlich einer am durchgeführten Bauverhandlung hätten seine Rechtsvorgänger mit der Baubehörde die Problematik der Abwasserentsorgung erörtert, und es sei von den Vertretern der Gemeinde darauf gedrungen worden, die Abwässer über eine Senkgrube zu führen. In weiterer Folge, und zwar auch nach Inkrafttreten der BO, habe es die Gemeinde bei der Abwasserentsorgung mittels Senkgrube belassen. Die Gemeinde sei sohin erst 11 Jahre nach Inkrafttreten der BO und sogar mehr als 26 Jahre nach dem Um- und Zubau auf der Liegenschaft tätig geworden, obwohl die Baubehörde für den Fall, dass die Voraussetzungen der Herstellung des Anschlusses an das öffentliche Kanalnetz vorlägen, die Herstellung unverzüglich zu veranlassen gehabt hätte.

In ihrer zur Vorstellung abgegebenen Stellungnahme vom brachte die beschwerdeführende Gemeinde (u.a.) vor, keine Aussagen zum Wahrheitsgehalt von Gesprächen im Jahr 1981 treffen zu wollen, damals jedoch eine völlig andere rechtliche Situation geherrscht habe.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Vorstellung des Mitbeteiligten Folge gegeben, der Berufungsbescheid behoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die Berufungsbehörde zurückverwiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass im gegenständlichen Bereich bereits seit 30 Jahren ein öffentlicher Kanal bestehe und im Zeitpunkt des Umbaus des Gebäudes des Mitbeteiligten im Jahr 1981 (zu diesem Zeitpunkt habe der Kanal bereits seit kurzem bestanden, weshalb in Bezug auf diesen Zeitpunkt noch von einer Neulegung eines Kanals gesprochen werden könne) die Anschlusspflicht nach den Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1976 eingetreten sein dürfte. Ein Anschluss wäre zu diesem Zeitpunkt jedenfalls möglich gewesen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen sei diese Verpflichtung nicht bescheidmäßig aufgetragen worden. Auch im Lichte der unwidersprochenen Angaben des Mitbeteiligten zur Vorgangsweise der Baubehörde in der Bauverhandlung am erschließe sich der belangten Behörde kein nachvollziehbarer Grund, der die Tatsache rechtfertigen würde, dass der Bürgermeister im Sinn des § 17 Abs. 3 KanalG seiner Verpflichtung zur unverzüglichen bescheidmäßigen Vorschreibung des Anschlusses in einem Zeitraum von nahezu 30 Jahren nicht nachgekommen sei und nunmehr meine, gestützt auf § 17 Abs. 3 leg. cit. und entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes einen Anschluss verspätet aufzutragen. Der Vollständigkeit halber sei abschließend informativ darauf hinzuweisen, dass angesichts der Aktenlage, wonach Kosten in den Umbau und die Erhaltung einer Senkgrube über drei Jahrzehnte hätten investiert werden müssen, "allenfalls schadenersatzrechtliche Folgen im Falle der nunmehrigen Vorschreibung zu gewärtigen sein könnten".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie der Mitbeteiligte - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 62 BO in der im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides geltenden und daher für die vorliegende Beurteilung maßgeblichen Fassung LGBl. 8200-15 hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

"§ 62

Wasserver- und -entsorgung

(…)

(2) Die auf einer Liegenschaft anfallenden Schmutzwässer sind, wenn eine Anschlussmöglichkeit besteht, grundsätzlich in den öffentlichen Kanal abzuleiten.

(3) Von dieser Anschlussverpflichtung sind Liegenschaften ausgenommen , wenn die anfallenden Schmutzwässer über eine Kläranlage abgeleitet werden, für die eine wasserrechtliche Bewilligung erteilt wurde oder erteilt gilt, und (…)

(4) Von der Anschlussverpflichtung sind auf Antrag des Liegenschaftseigentümers weiters ausgenommen:

1. landwirtschaftliche Liegenschaften mit aufrechter Güllewirtschaft (§ 3 Z. 14 NÖ Bodenschutzgesetz, LGBl. 6160) (…)

2. Liegenschaften, welche die anfallenden Schmutzwässer über einen Betrieb mit aufrechter Güllewirtschaft entsorgen, der im selben räumlich zusammenhängenden Siedlungsgebiet liegt (…)

(5) Ist der Anschluss an einen öffentlichen Kanal nicht möglich , sind die Schmutzwässer in eine Senkgrube zu leiten oder über eine Kläranlage, für die eine wasserrechtliche Bewilligung erteilt wurde oder erteilt gilt, abzuleiten.

(…)"

§ 17 KanalG in der für die vorliegende Beurteilung maßgeblichen Fassung LGBl. 8230-6 lautet (auszugsweise):

"§ 17

Hauskanäle, Anschlussleitungen

(1) Die Eigentümer von Liegenschaften oder Bauwerken oder Bauwerber, die zum Anschluss an die öffentliche Kanalanlage verpflichtet sind, haben Gebäude mit Abwasseranfall mit der öffentlichen Kanalanlage in Verbindung zu bringen. Der Hauskanal mitsamt dem Anschluss an die Anschlussleitung (Absatz 2) ist auf Kosten des Liegenschaftseigentümers (Bauwerbers) nach den näheren Bestimmungen der NÖ Bauordnung herzustellen. Die Liegenschaftseigentümer der im Zeitpunkt des Eintrittes der Anschlussverpflichtung bereits bestehenden Gebäude sind verpflichtet, die Aborte und sonstige Abwasseranlagen einschließlich der Regenwasserableitungen auf ihre Kosten nötigenfalls derart umzubauen, dass ein Anschluss an die Hausentwässerungsanlage (Hauskanal) möglich ist. Bei Neubauten ist im vorhinein auf die Anschlussmöglichkeit Bedacht zu nehmen.

(2) Der Hauskanal umfasst die Hausleitung bis zur Grenze der anschlusspflichtigen Liegenschaft, im Falle des § 18 Abs. 1 jedoch bis zur Einmündung in den öffentlichen Grund. Der Anschlussleitung umfasst das Verbindungsstück zwischen dem Hauskanal und dem Straßenrohrstrang.

(3) Bei Neulegung eines Hauptkanales der Gemeinde hat der Bürgermeister (Magistrat) den Liegenschaftseigentümern, für die dadurch eine Anschlusspflicht eintritt, rechtzeitig durch Bescheid den Anschluss aufzutragen. Die Liegenschaftseigentümer sind nach Rechtskraft des Bescheides verpflichtet, binnen 4 Wochen um die baubehördliche Bewilligung anzusuchen und unverweilt für den rechtzeitigen Anschluss der Hauskanäle Vorsorge zu treffen. Mit der Bauführung muss spätestens zwei Wochen nach Zustellung der baubehördlichen Bewilligung begonnen und diese längstens drei Monate nach Baubeginn beendet sein. Diese Fristen können in Einzelfällen vom Bürgermeister (Magistrat) auf begründetes schriftliches Ansuchen verlängert werden.

(…)"

Unstrittig ist im Beschwerdefall, dass (jedenfalls) seit dem Jahr 1981 im Gebiet der beschwerdeführenden Gemeinde ein öffentlicher Kanal besteht, kurz nach dessen Errichtung im selben Jahr das Gebäude des Mitbeteiligten umgebaut wurde, ihm (oder seinen Rechtsvorgängern) bis zur Erlassung des obgenannten erstinstanzlichen Bescheides vom kein bescheidmäßiger Auftrag zum Anschluss an den Gemeindekanal erteilt wurde, ein Anschluss der Liegenschaft an die öffentliche Kanalanlage grundsätzlich möglich ist und der Mitbeteiligte die auf seiner Liegenschaft anfallenden Schmutzwässer bisher mittels einer Senkgrube entsorgt hat.

Die Beschwerde wendet sich gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass der bekämpfte gemeindebehördliche Auftrag zum Anschluss an die öffentliche Kanalanlage im Hinblick auf § 17 Abs. 3 KanalG verspätet erteilt worden sei, und bringt vor, dass sich weder aus dieser Bestimmung noch aus dem gesamten NÖ Baurecht "im engeren wie auch im weiteren Sinn" das Institut einer Verjährung oder Ersitzung bzw. Verschweigung ergebe. Es bestehe daher nach wie vor für den Mitbeteiligten die gesetzliche Verpflichtung zum Kanalanschluss.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die Regelung über die Anschlussverpflichtung einer Liegenschaft an den öffentlichen Kanal enthält § 62 Abs. 2 BO, während das KanalG keine Anordnung beinhaltet, wann die Anschlusspflicht gegeben ist. Insbesondere kann - entgegen der Ansicht der belangten Behörde und des Mitbeteiligten - aus § 17 Abs. 3 KanalG nicht abgeleitet werden, wann eine Verpflichtung zum Anschluss an die öffentliche Kanalanlage eintritt. Diese Gesetzesbestimmung regelt nur den Fall, wie von der zuständigen Behörde und dem Liegenschaftseigentümer bei Neulegung eines Hauptkanals der Gemeinde vorzugehen ist, wenn "dadurch eine Anschlusspflicht eintritt". Eine solche tritt gemäß § 62 Abs. 2 BO dann ein, wenn auf dieser Liegenschaft Schmutzwässer anfallen und, wie etwa im Fall der Neulegung des Hauptkanals, bereits eine Möglichkeit besteht, diese Schmutzwässer in den öffentlichen Kanal abzuleiten. Wie vorzugehen ist, wenn keine Neulegung eines Hauptkanals erfolgt, aber auf Grund der Bauordnung eine Kanalanschlussverpflichtung vorliegt, regelt § 17 Abs. 1 KanalG (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/05/0035, mwN).

Mit Inkrafttreten der BO am ist eine wesentliche Änderung der Rechtslage bezüglich der bis dahin in der NÖ Bauordnung 1976 normierten Kanalanschlussverpflichtung eingetreten. Diese wesentliche Änderung bewirkte (bei Zutreffen der weiteren in der BO geregelten Voraussetzungen) eine Anschlussverpflichtung auch für bestehende Gebäude, selbst wenn diese nach der NÖ Bauordnung 1976 "nicht zum Anschluss verpflichtet" waren, und zwar auch zum Anschluss an einen bereits vor dem verlegten Kanalstrang (vgl. auch dazu das vorzitierte Erkenntnis, mwN).

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass dem öffentlichen Recht das Institut der Verjährung von Rechten und Pflichten fremd ist, sofern ein Gesetz nicht ausdrücklich anderes bestimmt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 0899/73, und vom , Zl. 2006/06/0048). Weder aus der BO noch dem KanalG ergibt sich eine Befristung für die in diesen Gesetzen festgelegten Befugnisse oder Pflichten des Bürgermeisters.

Wenn die belangte Behörde und der Mitbeteiligte in ihren Gegenschriften auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes bzw. den Grundsatz von Treu und Glauben hinweisen, der zu beachten sei, weil die beschwerdeführende Gemeinde jahrelang untätig geblieben sei, so führt dieses Vorbringen zu keiner anderen Beurteilung, wäre doch selbst dann, wenn die Liegenschaft des Mitbeteiligten einen in der NÖ Bauordnung 1976 normierten Ausnahmetatbestand für eine Anschlussverpflichtung erfüllt haben sollte, im Hinblick auf die Notwendigkeit eines "umfassenden Grundwasserschutzes" der Auftrag zum Anschluss - bei Zutreffen der weiteren in der BO normierten Voraussetzungen - nicht unverhältnismäßig (vgl. zum Gesichtspunkt der Notwendigkeit eines "umfassenden Grundwasserschutzes" nochmals das vorzitierte Erkenntnis, Zl. 2000/05/0035).

Die Auffassung der belangten Behörde, dass die Berufungsbehörde dem Mitbeteiligten den Auftrag zum Anschluss an den öffentlichen Kanal verspätet erteilt habe, steht daher mit dem Gesetz nicht im Einklang, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am