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VwGH vom 03.06.2020, Ra 2020/22/0015

VwGH vom 03.06.2020, Ra 2020/22/0015

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der J S in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Schöberl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Universitätsstraße 11, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-151/053/184/2019-4, betreffend Säumnisbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien) zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerberin, einer serbischen Staatsangehörigen, wurde aufgrund ihres Antrages vom unter Berufung auf ihre Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger am ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erteilt. Am stellte die Revisionswerberin beim Landeshauptmann von Wien (Behörde) einen Verlängerungsantrag.

2Mit Verständigung von der Beweisaufnahme vom teilte die Behörde der Revisionswerberin mit, dass beabsichtigt sei, das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren betreffend ihren Erstantrag vom wegen des Verdachtes einer Scheinehe wiederaufzunehmen. Weiters wurde der Revisionswerberin die Möglichkeit gegeben, zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen der Landespolizeidirektion Wien (Abschlussbericht vom ) Stellung zu nehmen.

3Mit Schriftsatz vom , bei der Behörde am eingelangt, erhob die Revisionswerberin Säumnisbeschwerde.

4Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Säumnisbeschwerde ab. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision unzulässig sei.

5Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, in dem Bericht der Landespolizeidirektion Wien vom sei diese Behörde zu dem Schluss gekommen, dass mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen sei, dass die Ehe nur geschlossen worden sei, um der Revisionswerberin einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Korneuburg vom sei die Revisionswerberin zwar vom Verdacht des Eingehens einer Aufenthaltsehe gemäß § 117 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz freigesprochen worden, weil nicht mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt habe werden können, dass die Revisionswerberin die Ehe eingegangen sei, ohne ein gemeinsames Familienleben führen zu wollen. Mit Verständigung von der Beweisaufnahme vom sei die Revisionswerberin darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass geplant sei, das Verfahren hinsichtlich des Erstantrages wiederaufzunehmen und den Verlängerungsantrag abzuweisen. Im Hinblick darauf, dass zur Rechtskonformität des Aufenthaltstitels bis dato noch keine Entscheidung vorliege, sei auch die Entscheidung über den Verlängerungsantrag noch nicht möglich. Eine Säumigkeit der Behörde liege daher allein durch die Überschreitung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist nicht vor.

6Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erhoben werden, wenn die Behörde die Sache (ausgenommen kürzerer oder längerer gesetzlicher Entscheidungsfristen) nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

8Im vorliegenden Fall stellte die Revisionswerberin den gegenständlichen Antrag auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels bei der Behörde am , sodass die sechsmonatige Entscheidungsfrist bei Einbringung der Säumnisbeschwerde am abgelaufen war.

9Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass seit der schriftlichen Verständigung vom keine weiteren Ermittlungsschritte von der Behörde gesetzt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen wäre, finden sich nicht.

10Sofern das Verwaltungsgericht der Auffassung ist, dass die Behörde wegen der (geplanten) Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Erstantrag nicht säumig sei, unterliegt es einem Irrtum. Die Verlängerung eines Aufenthaltstitels setzt eine aufrechte Titelerteilung voraus (vgl. § 24 und § 2 Abs. 1 Z 11 NAG). Gemäß der Aktenlage ist bisher keine Wiederaufnahme des Erstverfahrens erfolgt, sondern wurde diese lediglich in Aussicht genommen. Der am erstmalig erteilte Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ ist somit weiterhin Teil des Rechtsbestandes. Abgesehen davon würde selbst ein Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung nichts an der Entscheidungspflicht der Behörde ändern. Die Behörde (das Verwaltungsgericht) hätte im Verlängerungsverfahren zu prüfen, ob der zu verlängernde Aufenthaltstitel dem Rechtsbestand angehört, und ihre (allenfalls auch negativ ausfallende) Entscheidung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidungsfrist treffen müssen (vgl. , Rn. 27 und 28, mwN).

11Dies hat - wie die Revision zutreffend aufzeigt - das Verwaltungsgericht verkannt, sodass das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

12Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

13Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220015.L00
Schlagworte:
Verletzung der Entscheidungspflicht

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